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Was nicht nur auf der CeBit 2014 fehlte

Nicht zu Ende gedacht – oder:

Die Ansiedlung von IT im ländlichen Raum scheint aus vielerlei Gründen geboten. Der Landflucht entgegen wirkenDie CeBit in Hannover ist vorbei. Geblieben ist zunächst der für diese Messe übliche Eindruck: Sie hat auch im Jahr 2014 wieder eine kaum überschaubare Fülle von Neuerungen im Bereich der IT-Branche, Hard- wie Software, präsentiert, von 3D-Druckern bis hin zu den aktuellsten Entwicklungen im Bereich der Robotertechnik, von der Datensicherheit bis zu speziellen Anwendungen für die unterschiedlichsten Lebensbereiche.

Technik verändert den Alltag – in vielerlei Hinsicht

Gerade auch auf Sektor „Medizin/Gesundheit/Pflege“ wurden diverse Neuheiten vorgestellt, Programme zur Optimierung der Verwaltung von Patientendaten ebenso wie etwa Software zur Unterstützung heimischer Pflegeaufgaben. Trotzdem waren und sind speziell hier nie für alle Probleme Lösungen parat und werden es auch nie sein. Dieser Umstand ist jedoch weniger erstaunlich als die Bandbreite der vorhandenen Innovationen. Ärgerlich wird er allerdings, wenn eigentlich offensichtliche Fragen ohne Antwort bleiben oder wenn sie sogar aus Phantasielosigkeit, vielleicht auch aus Ignoranz gar nicht erst gestellt werden. Wobei dies umso mehr zutrifft, je bedeutender die so ausbleibenden Antworten für unsere Gesellschaft und auch speziell für die Wirtschaft wären.

Mag sein, die Konzentration auf den Bereich der Technik verstellt den Blick auf die Menschen, die sie nutzen sollen und ihre Lebens- und speziell auch ihre Arbeitsbedingungen. Denn natürlich gilt in der Branche selbst nur der Gedanke, durch Geräte und Anwendungen mehr oder minder relevanten Fortschritt zu bieten, Erleichterung für diverse Aufgaben, Hilfs- oder Ersatzmittel zur Beschleunigung, Vereinfachung oder andere Formen der Verbesserung irgendwelcher Tätigkeiten des privaten oder beruflichen Alltags.

Dass damit dieser Alltag selbst in immer stärkerem Maße an Geräten und vor Bildschirmen stattfindet, ist nicht nur eine logische, sondern eine erwünschte Folge und wird daher natürlich in keiner Weise hinterfragt.

Burnout als Folge unserer Lebens- und Arbeitsweise

Gleichzeitig jedoch wächst sich in unserer Gesellschaft das mit der vagen Bezeichnung „Burnout“ bezeichnete Phänomen immer mehr zu einem Problem aus. Schon jetzt verursachen die Arbeitsausfälle, die auf die unterschiedlichen mit diesem Begriff verbundenen Erscheinungen zurückgeführt werden, unserer Wirtschaft jährlich einen Schaden in Milliardenhöhe.

Die Ursachen sind vielfältig. In jedem Fall jedoch scheinen sie unmittelbar verbunden mit der Lebens- und vor allem der Arbeitsweise der Menschen. Unterschiedliche Faktoren führen hier zu einer Überforderung, die sich gerade und umso deutlicher dort bemerkbar macht, wo Menschen besonders motiviert arbeiten. Dieses Engagement verführt leicht dazu, die Grenzen des noch Gesunden und Tragbaren unbemerkt zu überschreiten.

Manche Mediziner gehen davon aus, dass zumindest eine Reihe der Burnout-Fälle in früheren Zeiten als „Depression“ oder „depressiver Erschöpfungszustand“ bezeichnet worden wäre. Wobei sich allerdings die Frage stellt, wie weit eigentlich das Wissen über die genauen Ursachen von Depressionen reicht.

Die enorme Zunahme von „Bunout“-Fällen während der letzten Jahre wirft unweigerlich die Frage nach ihren Ursachen und damit nach den realen Veränderungen in der Arbeits- und Lebensumwelt der Menschen auf. Denn entweder hat sich die grundsätzliche psychische Konstitution der Menschen verändert (was in gewissem Umfang durchaus möglich sein kann und vermutlich auch der Fall ist), oder es haben sich gravierende Umwälzungen in den äußeren Lebensbedingungen ergeben. Oder aber die Ursachen liegen in beiden Bereichen.

Welche wirklich deutlichen Veränderungen hat unser Leben, hat speziell auch unsere Arbeitswelt während der jüngsten Vergangenheit erfahren? Die Frage dürfte relativ leicht zu beantworten sein. Oder gab es neben der elektronischen Revolution der vergangenen Jahrzehnte noch andere, ähnlich massive und weitreichende Neuerungen?

Verlust von sinnlichen Reizen und seine Folgen

Wir haben uns nicht nur daran gewöhnt, mit Computern am Arbeitsplatz zu leben, viele fokussieren auch einen großen Teil ihres Privatlebens auf Bildschirme: neben dem Fernsehen haben längst Smartphones, Tablets und Kindles die Freizeit erobert. Aber daran ist doch nichts Schlimmes … oder?

Nein, es ist nicht schlimm, wenn „schlimm“ eine moralische Wertung enthält. Es kann in gewisser Weise destruktiv für soziale Kontakte und für die Kommunikation der Menschen untereinander sein, auch wenn es gerade nach dem Gegenteil aussieht. Doch das soll im Moment nicht interessieren. Hier geht es einfach nur um die schlichte Situation „Mensch vor Bildschirm“ und ihre möglichen Folgen.

Die Fokussierung auf ein Geschehen, das über einen Bildschirm vermittelt wird, heißt zunächst eine eindeutige Dominanz optischer Reize, auch wenn akustische Signale ebenfalls eine (allerdings untergeordnete) Rolle spielen. Es bedeutet auch – trotz der Mobilität von Smartphones und Tablets, von Notebooks und Kindles – eine stärkere Konzentration auf Aktivitäten in geschlossenen Räumen.

Was die Beschäftigung mit elektronischen Angeboten jeder Art auf Bildschirmen mit sich bringt, ist also langfristig eine Überflutung mit optischen und teilweise auch akustischen Reizen, der gleichzeitig ein Mangel an anderen Sinneswahrnehmungen gegenübersteht.

Überspitzt formuliert befinden sich heute viele Menschen auf einer Reise in sensorische Deprivation, dem (in diesem Fall bewusst und sich mehr oder weniger selbst zugefügten) Entzug von bestimmten Reizen, denen wir in einer natürlichen Umwelt ständig ausgesetzt sind. Das heißt wiederum, dass das Gehirn unter diesen Umständen einseitig be- und möglicherweise überlastet wird, während es an anderer Stelle unterversorgt bleibt und gewissermaßen darben muss.

Es gibt gute Gründe, warum sensorische Deprivation als ein anerkanntes Mittel der Folter gilt: Sie zerrüttet den Geist der Betroffenen, sie führt in letzter Konsequenz zum psychischen Zusammenbruch. Es ist also durchaus erwiesen, was aus einer einseitigen Reizüberflutung folgen kann und das nicht nur kurzfristig. Denn inzwischen ist ebenfalls u.a. bekannt, dass sich das menschliche Gehirn gemäß seiner Nutzung verändert. Auch beim Erwachsenen ist es nicht einfach ein „fertiges“ Organ, sondern zu ständiger Umstrukturierung fähig. Es ist in der Lage, sich Umweltbedingungen anzupassen und sich auf entsprechende positive Herausforderungen durch den Input von sinnvollen, verwertbaren Informationen einstellen. Es beantwortet sie, indem es eine stärkere interne Vernetzung schafft, was zur Leistungssteigerung führt.

Es kann ebenso auf Unterversorgung oder auf eine Überflutung mit negativen, Ängste auslösenden Reizen durch den Abbau von Strukturen und so mit „Verödung“ reagieren. Das Ergebnis bedeutet eine Reduktion von Kreativität und in gewissem Umfang auch eine Einschränkung des Merkvermögens. Ganz abgesehen davon, dass dies mit einer Veränderung des psychischen Zustands und des Verhaltens einhergeht.

Was wir uns selbst antun – und wie man es besser machen kann

Wohlgemerkt: Die Behauptung hier ist nicht, dass hierin der alleinige Auslöser dessen zu sehen ist, was als „Burnout“-Syndrom bezeichnet wird. Die Hypothese lautet stattdessen, in diesem Umstand einen der möglichen Auslöser zu vermuten und dieser Vermutung mit der dem Phänomen und seinen gesellschaftlichen Folgen angemessenen Intensität wissenschaftlich nachzugehen. Wobei – und hier schließt sich der Kreis noch nicht ganz, aber doch fast – diese Forschung und ihre Ergebnisse zu einem festen Bestandteil von Veranstaltungen wie der CeBit werden sollten.

Ein erster „Lackmustest“ kann schlicht schon darin bestehen, einmal zu überprüfen, ob sich signifikante Korrelationen zwischen der Verbreitung von IT-Anwendungen und der des „Burnout“-Syndroms im Vergleich einzelner Länder ergeben.

Sollte sich die oben formulierte Hypothese bestätigen, müssten daraus Konsequenzen gezogen werden. Einige Unternehmen, die möglicherweise in die gleiche Richtung denken, sind bereits aktiv geworden. Sie haben, so weit dies möglich ist, kleine „Grünanlagen“ in die Ausgestaltung der Arbeitsplätze integriert, um bewusst Zonen der sensorischen Rekreation zu schaffen. Sehr viel einfacher jedoch und auch näherliegend ist es, entsprechende Unternehmungen, die in hohem Maß PC-Arbeit erfordern, in ländlichen Räumen anzusiedeln. Dort kann die sensorische Balance, anders als in Ballungsräumen, schlicht durch einen Spaziergang vor der Haustür zurückgewonnen werden.

Gute Argumente allein genügen nicht

Dank des Internets ist es heute in vielen Fällen nicht mehr nötig, die unmittelbare räumliche Nähe der Produktionsstätten seiner Kunden zu suchen … zumindest in der Theorie. In der Praxis fehlt noch immer an vielen Orten auf dem „flachen Land“ die Anbindung an entsprechend schnelle Breitbandverbindungen. Und jetzt schließt sich der Kreis wirklich. Denn völlig zu Recht war dies auch ein Thema, das anlässlich der CeBit aufgeworfen und diskutiert wurde.

Es scheint, dass der Gedanke an sich bei den Politikern durchaus angekommen ist. Falls sie trotzdem noch Argumente für die entsprechenden Investitionen benötigen, dann sind sie hier zu finden: Entsprechende Kabelversorgung der ländlichen Regionen schafft die Möglichkeit zur Ansiedlung moderner Unternehmen mit IT-Schwerpunkten. Dadurch kann die bereits in vielen Gebieten der Bundesrepublik dramatische Ausmaße annehmende Landflucht gestoppt werden. Gleichzeitig kann die im Vergleich zu Ballungsräumen wesentlich gesündere Arbeitsumwelt zu einer Reduktion von krankheitsbedingten Ausfällen führen, woraus sich in gleicher Weise eine Entlastung für die Unternehmen und das Gesundheitssystem ergibt.

Fazit: Eine simple Lösung, bei der alle gewinnen … wenn man es nur bis zum Ende denkt.

Herbert Jost-Hof