Seite 1 bei Google kann so einfach sein.

Zur Einwanderungspolitik

Beschluss

ngo-online dokumentiert den Beschluss des Parteirats von Bündnis 90/Die Grünen zum Gesetzentwurf von Innenminister Otto Schily zur Einwanderungspolitik:

Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich seit langem dafür ein, Einwanderung zu gestalten, Flüchtlinge zu schützen und Integration zu fördern. Deutschland ist ein Einwanderungsland - darüber besteht mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Es ist ein Erfolg grüner Politik, diesen Paradigmenwechsel wesentlich mit herbei geführt haben. Wir haben immer deutlich gemacht: Wir brauchen Einwanderung nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus demografischen Gründen. Die Integration der Migrantinnen und Migranten muss deutlich gestärkt und gefördert werden. Gleichzeitig darf die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte nicht gegen den menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsschutz ausgespielt werden.

Die von der Bundesregierung eingesetzte "Unabhängige Kommission Zuwanderung" unter Leitung von Prof. Rita Süßmuth hat wichtige Impulse für eine vernünftige Regelung der Einwanderung und Integration, aber auch zum Flüchtlingsschutz gegeben. Die Empfehlungen dieser Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte und politischen Lager zeigen, dass über die Parteigrenzen hinweg die Bereitschaft zu einer unaufgeregten Debatte nicht nur über Einwanderung, sondern auch über Schutzgewährung besteht.

Nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft ist die Gestaltung der Einwanderung eines der wichtigsten Modernisierungs- und Reformprojekte. Wir setzen uns deshalb dafür ein, noch in dieser Wahlperiode den Einstieg in eine moderne, zukunftsfähige und europataugliche Einwanderungspolitik zu schaffen.

Der Anfang August vorgelegte Referentenentwurf eines Zuwanderungsgesetzes vollzieht den Einstieg in eine Einwanderungs- und Integrationsgesetzgebung. Zu begrüßen ist die Öffnung nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der demografischen Zuwanderung mit dem von uns vorgeschlagene Verzicht auf eine Gesamtquote. Ein Anspruch auf Integration wird geschaffen, doch ohne die Bereitstellung entsprechender Finanzmittel bleibt der Integrationsanspruch auf dem Papier.

Gleichzeitig wird eine Gesamtrevision des Ausländerrechts unternommen. Das bisherige Ausländergesetz wird durch ein Aufenthaltsgesetz ersetzt.

Nach eingehender Prüfung des vorliegenden Gesetzesentwurfes stellen wir fest, dass sich aus der darin vorgesehenden Neuregelung des Ausländerrechts eine Reihe von erheblichen Verschlechterungen für hier lebende Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge ergeben würden. Dies ist für uns nicht akzeptabel.

Inzwischen ist der Entwurf auch auf erhebliche Kritik in der Öffentlichkeit gestoßen. Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie ausgewiesene Ausländerrechtler äußeren einhellige Kritik. Wir sehen uns dadurch in unserer Kritik am Referentenentwurf bestätigt.

Maßstab für die Neuregelung des Zuwanderungsrechts und damit für die Bewertung des vorliegenden Entwurf ist, ob

  • Rechtssicherheit gewährleistet ist
  • er sozial ausgewogen und humanitär
  • europatauglich
  • integrationsfreundlich ist
  • ein demokratisches Verfahren eingehalten wird und
  • Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention besteht.
  • Rechtssicherheit gewährleisten: Für viele bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten bleibt unklar, ob aus einem befristeten Aufenthalt ein dauerhafter Aufenthalt werden wird. Diese Entscheidung ist - wie viele andere- in ein weites Ermessen der Ausländerbehörden gestellt. Sie kann eine Aufenthaltsverfestigung jederzeit ausschließen. Auch für eine große Gruppe der Geduldeten bringt der Entwurf nicht mehr, sondern weniger Rechtssicherheit.
  • Sozial ausgewogen und humanitär: Die Süßmuth-Kommission hat vorgeschlagen, das Nachzugsalter für Kinder von 16 auf 18 Jahre heraufzusetzen. Der Referentenentwurf setzt dies nur für Kinder von Hochqualifizierten und anerkannten politischen Flüchtlingen um. Andere Migrantinnen und Migranten sollen darauf nur ein Recht haben, wenn sie gemeinsam mit den Eltern nach Deutschland kommen. Ist dies nicht der Fall, wird das Nachzugsalter auf 12 Jahre abgesenkt bzw. nach Ermessen entschieden. Ergebnis ist ein Zwei-Klassen-Recht, das Familien mit niedrigem Einkommen und Bildung schlechter stellt und Deutschland in Europa isoliert. Sozial unausgewogen ist auch die weitere Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Zeitlich sollen die Leistungen gemäß AsylblG über die Dauer von drei Jahren hinaus unbefristet abgesenkt werden. Gleichzeitig soll der Personenkreis, der unter das AsylblG fällt, erweitert werden um diejenigen, bei denen Abschiebungsschutz wegen drohender Folter, Todesstrafe, Bürgerkriegsgefahren etc. festgestellt wurde.
  • Europatauglich: Der Richtlinienvorschlag der Union schlägt ein Nachzugsalter von 18 Jahren vor, deswegen ist die vorgeschlage Nachzugsregelung für Kinder mit der Praxis und dem Diskussionsstand in den europäischen Staaten nicht vereinbar. Auch die nach wie vor fehlende asylrechtliche Anerkennung nichtstaatlicher bzw. geschlechtsspezifischer Verfolgung steht im Widerspruch zur Asylpraxis der übrigen EU-Mitgliedsstaaten und der Position der EU-Kommission. Mit diesen Positionen isoliert sich die Bundesrepublik in Europa weitgehend.
  • Integration: Dringend erforderlich ist die Integration der seit langem hier lebenden Geduldeten, die bisher ohne langfristige Perspektive leben. Der Referentenentwurf schafft die Duldung ab. Ob die heute ca. 250.000 in Deutschland lebenden Menschen mit Duldungsstatus - zumeist Flüchtlinge, wie z.B. Folteropfer, individuelle Bürgerkriegsflüchtlinge, nichtstaatlich und geschlechtsspezifisch Verfolgte - eine Aufenthaltserlaubnis erhalten werden, ist mehr als fraglich. Zahlreiche De-facto-Flüchtlinge werden lediglich eine "Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung" erhalten, die keinerlei soziale oder Aufenthaltsrechte nach sich zieht und den Arbeitsmarktzugang verwehrt. Wer nur aus tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden kann hat auch auf diese Bescheinigung keinen Anspruch. Die Kirchen weisen zurecht auf die Gefahr der Illegalisierung all derer, die keinen rechtmäßigen Aufenthalt erhalten.
  • Demokratisches Verfahren gewährleisten: Bundesrat und Bundestag sind bei der Erarbeitung des Kriterienkatalogs für die Zuwanderung und bei der Festlegung von Einwanderungskontingenten nicht beteiligt. Die Entscheidungen treffen das neue Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Bundesanstalt für Arbeit. Die Länderinteressen sind nicht berücksichtigt, eine Beteiligung aller einschlägigen Ressorts fehlt. Ingesamt ist eine Entparlamentarisierung zu befürchten. Deswegen plädieren wir für eine Beteiligung von Bundestag und Bundesrat.
  • Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention: Der Entwurf fällt u.a. hinter die Anerkennung nichtstaatl. Und geschlechtssp. Verfolgung zurück, wie sie von der Mehrheit der EU-Staaten im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention praktiziert wird.

Die Bundesrepublik braucht ein modernes Einwanderungsrecht. Eine Neuregelung muss sowohl wirtschaftlichen und demografischen Belangen gerecht werden als auch sozial verträglich sein. Die Ausgestaltung des Aufenthaltsrechts und der Integrationsangebote genügt dem noch nicht. Ein moderner, weltoffener Kurs erfordert einen menschenrechtlich begründeten, völkerrechts- und europafreundlichen Flüchtlingsschutz. Ein moderne Einwanderungspolitik muss Migration als Querschnittsaufgabe gestalten. Hierfür sind noch Lösungen zu suchen, denn die Einrichtung des neuen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kann dies allein nicht leisten. Ein modernes Recht muss ferner transpartent und bürgerfreundlich sein. Eine Vereinfachung ist trotz des Versuchs, die Aufenthaltstitel von fünf auf zwei zu reduzieren, angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen und Querverweise im Gesetzentwurf nicht gelungen. Auch diesen Anspruch kann der Referentenentwurf nicht erfüllen.

Gemessen an unsren Maßstäben ist der Referentenentwurf in hohem Maße unbefriedigend. In dieser Form ist er für die Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmungsfähig.

Uns geht es darum, Verschlechterungen gegenüber dem bestehenden Ausländerrecht zu vermeiden, rotgrüne Reformen der vergangenen Jahre nicht in Frage zu stellen und gewichtige Vorschläge der "Süßmuth-Kommission", der "Müller-Komission, der SPD und der Grünen zur Verbesserung der Situation von hier lebenden Ausländern und Flüchtlingen zu berücksichtigten. Der Einstieg in eine Einwanderungs- und Integrationsgesetzgebung darf nicht zu Lasten der Humanität beim Recht für hier lebende Migrantinnen und Migranten und beim Flüchtlingsschutz gehen. Wir gehen weiterhin davon aus, dass ein Einstieg in eine Einwanderungsregelung noch in dieser Wahlperiode möglich und konsensfähig ist.

Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner wollen wir unter der Berücksichtigung der oben genannten Empfehlungen ein zustimmungsfähiges Konzept vorbereiten.

Angesichts dieses komplexen Vorhabens ist eine ausreichende Beratungszeit dringend erforderlich. Bündnis 90/Die Grünen wollen ein gründlihhes ausführliches, demokratisches Beratungsverfahren für diese weitreichende Reform sicherstellen, an dem auch die Bundesländer, die Ausländerbeauftragten, die Verbände und Experten intensiv beteiligt sind. Eine Abstimmung allein mit den Innenressorts wie für die Sonderkonferenz der Innenminister am 10. September vorgesehen kann dem nicht genügen.