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Verzicht auf Pflügen ist Hochwasserschutz

Forschungsprojekt

Landwirte können aus Sicht von Experten einen größeren Beitrag zum Schutz vor Hochwasser leisten. Aus einer am Montag in Dresden erstmals der Öffentlichkeit vorgestellten Studie geht hervor, dass der Ackerboden durch eine konservierende Bearbeitung als Wasserspeicher wiederbelebt werden kann. Wenn die durch Pflügen verursachte Zerstörung der Bodenstruktur unterbliebe und Ernterückstände stattdessen nur oberflächlich eingearbeitet würden, könnte der Boden unter Ackerflächen selbst bei extremen Niederschlagsmengen mehr Wasser aufnehmen.

Ein im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) erstelltes Computermodell liefert laut DBU-Generalsekretär Fritz Brickwedde die Bestätigung dafür, dass der Boden ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Hochwasser ist. Diese könnten durch die Speichernutzung zwar nicht vermieden, ihr Ausmaß jedoch verringert werden.

Am Beispiel der Lausitzer Neiße hatten Experten der Landwirtschaft, Bodenkunde, Wasserwirtschaft und Raumordung nachgewiesen, dass die Wiederbelebung des Bodens als Wasserspeicher insbesondere in der Landwirtschaft neue Wege für den Hochwasserschutz eröffnet und durch konservierende Bodenbearbeitung ein Hochwasserspeicher mit einer Million Kubikmeter Fassungsvermögen geschaffen werden kann, ohne auch nur einen Quadratmeter Flussaue dafür in Anspruch zu nehmen. "Das Hochwasser dort zu bekämpfen, wo es entsteht, anstatt nur die Schäden zu begrenzen", muss nach Siekers Worten das Ziel des künftigen Hochwassermanagements sein.

Das Grundprinzip des Hochwasserschutzes ist nach Siekers Worten eigentlich sehr einfach: Für das Niederschlags- oder Schmelzwasser müssen Speicher gefunden werden, in denen das Wasser bis zu seinem Abtransport durch Bäche und Flüsse verweilen kann. Trotz dieses einfachen Prinzips sei es bis heute nicht gelungen, einen ausreichenden Hochwasserschutz in Deutschland zu verwirklichen. Sieker: "Schlimmer noch: Es scheint, dass wir uns in den letzten Jahren von diesem Ziel noch entfernt haben, da die Häufigkeit der Hochwasserereignisse mit erheblichen Schäden offensichtlich zugenommen hat. Die Konsequenz der alljährlichen Hochwasserkatastrophen muss daher lauten: Wir brauchen größere Speicher für das Regenwasser oder mehr Abflusskapazitäten für die Bäche und Flüsse."

So berechtigt diese Forderungen seien, so schwer scheine ihre Umsetzung zu sein. Der Ausbau von Flüssen und Bächen sei kostspielig und stehe im Gegensatz zu den ökologischen Bestrebungen des Gewässerschutzes. Der Bau konventioneller Hochwasserspeicher sei nicht weniger kostenintensiv, schließlich geht es hierbei um Speicher von mehreren tausend Kubikmetern Fassungsvermögen. Erschwerend komme bei der Planung von Speicherbecken ein enormer Flächenbedarf hinzu und zwar in Gebieten, in denen viele andere Flächennutzungen in Konkurrenz träten. Die Flächen der Flusstäler würden intensiv durch Siedlungen, Industrie und Landwirtschaft genutzt und nur ungern von den betroffenen Gemeinden für den Hochwasserschutz reserviert. Es falle schwer, Gemeinden von konventionellen Hochwassermaßnahmen zu überzeugen, da ihr Engagement nicht ihnen, sondern den Gemeinden flussabwärts zugute komme - für soviel Uneigennützigkeit fehle den meisten Gemeinden das Geld. Sieker: "Die Verbesserung des Hochwasserschutzes droht im Geflecht aus Ökonomie, Ökologie und Verwaltungsgrenzen stecken zu bleiben."

Das DBU-Forschungsprojekt habe einen Ansatz gewählt, mit dem dieser Gordische Knoten durchschlagen werden könne. Unabhängig davon, ob es sich um Städte oder landwirtschaftliche Betriebe handele, hätten die hier betrachteten Maßnahmen des vorbeugenden Hochwasserschutzes den Vorteil, dass sie sowohl dem nutzten, der sie ergreife, als auch den Anliegern flussabwärts.

Eine zweite Eigenschaft, mit der sich der vorbeugende Hochwasserschutzes vom konventionellen Hochwasserschutz grundsätzlich unterscheide, sei die Art des Speichers. Auf der Suche nach mehr Speichervolumen für Regenwasser lohne es sich, über den Rand der Flusstäler hinauszuschauen und einen Speicher wiederzubeleben, der einen der größten natürlichen Wasserspeicher auf dem Land darstelle - den Boden.

In Siedlungsgebieten lasse sich der Bodenwasserspeicher mit Hilfe der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung aktivieren. Dabei werde das Niederschlagswasser von Dach- und Verkehrsflächen über sogenannte Mulden-Rigolen-Systeme in den Untergrund versickert und fließe von dort allenfalls stark verzögert Bächen und Flüssen zu. Dagegen nehme man bei der konventionellen Regenentwässerung durch Kanäle in Kauf, dass der Boden unter Städten als Wasserspeicher verloren gehe. Häufig werde in diesem Zusammenhang die zunehmende Versiegelung der Landschaft pauschal als Grund für die Häufung der Hochwasser genannt. Aus der Sicht des Hochwasserschutzes sei es jedoch das falsche System der Entwässerung, das zu negativen Folgen führe.

Dass es auf Ackerflächen notwendig sei, durch gezielte Maßnahmen den Bodenwasserspeicher zu erschließen, überrasche auf den ersten Blick - schließlich seien landwirtschaftliche Flächen abgesehen von den Wirtschaftswegen unversiegelt. Untersuchungen der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) zeigten aber, dass konventionell bearbeitete, also gepflügte Ackerflächen weit weniger Wasser aufnehmen könnten als Wald- oder Wiesenböden. Ursache hierfür sei die durch das Pflügen gestörte Bodenstruktur. In ihrem Bemühen, den erhöhten Abfluss auf der Oberfläche und die damit einhergehende Bodenerosion auf den sächsischen Lößböden zu verringern, seien die Experten der LfL auf die konservierende Bodenbearbeitung gestoßen. Bei dieser auch als Mulchsaat-Technik bezeichneten Form des Ackerbaus verblieben Ernterückstände auf dem Feld und würden, statt untergepflügt zu werden, nur oberflächlich in den Boden eingearbeitet. Das Resultat seien mehr Bodenorganismen, eine stabilere Bodenstruktur, mehr Wasseraufnahmefähigkeit selbst bei extremen Niederschlagsmengen und somit ein optimal genutzter Bodenspeicher unter Ackerflächen.

Es bleibe zu beantworten, wie groß das Speichervolumen des reaktivierten Boden nun tatsächlich sei und welche Auswirkungen die Aktivierung dieses Speichers auf Hochwasser der Vergangenheit gehabt hätte. Dies sei die zentrale Frage dieses Forschungsvorhabens gewesen und habe konkret für das Beispiel Lausitzer Neiße im Bereich zwischen Zittau und Görlitz beantwortet werden sollen. Basierend auf den Untersuchungen und Analysen von Bodenkundlern und Landwirtschaftsexperten erstellten Wasserwirtschaftler ein Computermodell, das in der Lage sei, die Wege des Wassers im Einzugsgebiet der Lausitzer Neiße detailliert nachzubilden. Je nach Art der Landnutzung, Bodenbeschaffenheit und Topographie könne mit dem Computer berechnet werden, wie sich der vorbeugende Hochwasserschutz auswirke. Die Computer-Berechnungen hätten die Bestätigung dafür geliefert, dass der Wasserspeicher Boden ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Hochwasser sei.

Würden 25 Prozent der Ackerfläche im deutschen Einzugsgebiet der Lausitzer Neiße mit Mulchsaat-Technik bewirtschaftet, würde sich die abfließende Wassermenge bei mittleren und extremen Hochwassern um drei bis vier Prozent verringern. Sieker: "Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass eine Million Kubikmeter weniger Wasser in der Hochwasserwelle abfließen." Ein Beispiel, das deutlich mache, wie wirksam der vorbeugende Hochwasserschutz sei, der damit Gemeinden in den Tälern der Nebenflüsse und der Lausitzer Neiße neue Wege zum Hochwasserschutz eröffne. Ganz konkret sei in diesem Projekt der Fall der Stadt Ostritz mit dem Kloster St. Marienthal untersucht worden, die in der Vergangenheit mehrfach von Hochwasser heimgesucht worden seien. 25 Prozent konservierende Bodenbearbeitung entschärften nachhaltig die Hochwassersituation im Neißetal. Dadurch werde eine zurzeit umstrittene Eindeichung für das Kloster und die Stadt möglich, ohne dass es durch den Verlust von diesen bisherigen "Überschwemmungsflächen" zu einer sonst zu erwartenden Verschärfung der Hochwassersituation flussabwärts komme.