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Der Ausverkauf der Vereinten Nationen

Hintergründe zum Umweltgipfel in Johannesburg

"Die Einstellung der Vereinten Nationen gegenüber dem Privatsektor hat sich in den vergangenen Jahren radikal verändert. Kooperation kommt heute vor Konfrontation." Mit diesen Worten wirbt Kofi Annan, Generalsekretär der UN, für den "Global Compact", einem Abkommen zwischen ursprünglich 44 multinationalen Konzernen und den Vereinten Nationen. Aus Deutschland dabei: die Chemie-Konzerne BASF, Aventis und Bayer, die Autobauer BMW und DaimlerChrysler sowie die Deutsche Bank. In dem vor zwei Jahren unterzeichneten Compact bekennen sich die Unternehmen zu neun Grundsätzen aus den Bereichen Umweltschutz, Arbeitssicherheit und Einhaltung der Menschenrechte. Die Prinzipien basieren auf der Erklärung der Menschenrechte von 1949, dem Weltsozialgipfel von 1995 und dem Umweltgipfel von Riode Janeiro 1992. Außerdem verpflichten sich die Konzerne, Musterprojekte zu initiieren und somit ihr Engagement zu belegen. Um den Fortschritt im Rahmen der Kooperation zu dokumentieren, will die UN geprüfte Fallbeispiele veröffentlichen, die der Öffentlichkeit zur Begutachtung freistehen.

Die Bekanntgabe der Vereinbarung, der sich mittlerweile mehrere hundert Firmen angeschlossen haben, erfolgte nach einjährigen Verhandlungen von Kofi Annan mit der International Chamber of Commerce (ICC), der weltweit größten Lobbyorganisation multinationaler Unternehmen. Die ICC vertritt weltweit rund 7000 Firmen, wird jedoch von rund 50 Großkonzernen dominiert. In den Verhandlungen mit der UN setzte der Lobbyverband eine unternehmerfreundliche Formulierung der "Prinzipien" des Compact sowie - vor allem - deren völlige Unverbindlichkeit durch.

Mit der ICC suchte sich Annan ausgerechnet diejenige Organisation aus, die sich in der Vergangenheit am vehementesten gegen internationale Umwelt-Abkommen gewehrt hat. Sowohl die Formulierung des Kyoto-Protokolls zur Senkung des CO2-Ausstoßes als auch die Biodiversitäts-Konvention, das Protokoll von Montreal zum Schutz der Ozonschicht und die Basel-Konvention gegen Giftmüllhandel wurden von der ICC als unpraktikabel und wirtschaftsfeindlich gegeißelt und durch anhaltenden Druck auf die Politik abgeschwächt.

Erstmals wurden die Konzerne bei der Vorbereitung des Umweltgipfels von Rio 1992 als gleichberechtigte Partner internationaler Institutionen behandelt. Das 160 Konzerne umfassende World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) war maßgeblich bei der Erstellung der Tagesordnung und des Abschlussdokumentes beteiligt. So setzte sich die neoliberale Sichtweise durch, nach der freie Märkte und Wirtschaftswachstum eine Voraussetzung von Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind und nach der die Industrie ein solches Wachstum nur garantieren könne, wenn sie weitgehend ohne bindende Rahmenbedingungen arbeiten kann. Stattdessen werden seit Rio "freiwillige Selbstverpflichtungen" propagiert, bei deren Nicht-Einhaltung jedoch keine Konsequenzen drohen.

Ebenfalls 1992 wurde die UN-Kommission zu Transnationalen Konzernen (UNCTC) ersatzlos aufgelöst. Die UNCTC war die einzige UN-Organisation, die seit den 70er Jahren die Aktivitäten multinationaler Konzerne überwachte. Der Versuch der UNCTC, weltweit bindende Regeln für Arbeitssicherheit, Einhaltung von Gesetzen und Umweltschutz aufzustellen, war der Industrie ein ständiger Dorn im Auge.

1995 bildeten ICC und WBCSD gemeinsam, speziell für die Vorbereitung des Gipfels in Johannesburg, einen weiteren Lobbyverband, die Business Action for Sustainable Development (BASD) unter dem blumigen Motto "People, Planet, Prosperity" (Menschen, Planet, Wohlstand). Geleitet wird die BASD von Sir Mark Moody Stuart, zuvor Chef des Ölkonzerns Shell, der seit Jahren Ziel zahlreicher Kampagnen von Umweltschützern und Menschenrechtlern ist. Stuart hat als Shell-Konzernchef die Versenkung der Ölplattform Brent Spar sowie das Engagement in Nigeria, das zur tragischen Exekution von Ken Saro-Wiwa führte, zu verantworten. Die Rolle des BASD in Johannesburg beschreibt Stuart so: "Wir möchten auf dem Umweltgipfel eine konstruktive Rolle spielen. Die Industrie ist Teil der Lösung bei der Schaffung einer nachhaltigen Entwicklung".

Weder WBCSD noch BASD stellen Mindestanforderungen bei der Aufnahme neuer Mitglieder. So finden sich im WBCSD, dem "grünen Gewissen der Industrie", Ölfirmen wie BP, StatOil, TotalFinaElf und ChevronTexaco, die Autobauer DaimlerChrysler, Nissan, Ford und General Motors, Chemie-Konzerne wie Dow, DuPont, BASF, ICI und Aventis sowie Gentechnik-Anbieter wie Monsanto, PowerGen und Bayer. Zu den Unterstützern des BASD gehören neben dem Weltverband der Chemischen Industrie und dem Bund der Deutschen Industrie (BDI) auch das Europäische Atomforum und die World Nuclear Association.

Hauptaktivität des BASD ist die Veröffentlichung von "Musterprojekten" einzelner Firmen, darunter mehrere Atomenergie-Projekte sowie ein Gas-Pipeline-Projekt. Schon Anfang 2002 freute sich BASD-Chef Stuart, dass der Verband "sehr enge Verbindungen zu den Vereinten Nationen aufgebaut hat, um die Ideen der Wirtschaft für die Struktur des Gipfels einzubringen". Offenbar mit Erfolg, denn hieß es im Januar im Entwurf für das Abschlussdokument noch, "ein multinationales Abkommen, das die Verantwortlichkeiten von Unternehmen benennt, soll auf den Weg gebracht werden", so finden sich im letzten Entwurf vor Beginn des Gipfels unscharfe Formulierungen wie "Förderung der Verantwortung der Wirtschaft im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung". Bindende Regeln bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten oder des Umweltschutzes sind in dem Entwurf nicht mehr enthalten.

Der Global Compact stellt den vorläufigen Höhepunkt der Kooperation von Vereinten Nationen und multinationalen Unternehmen dar. Nach Angaben der UN haben mittlerweile mehrere hundert Konzerne den Vertrag unterschrieben, allerdings werden bislang nur 81 Unternehmen öffentlich genannt, darunter Shell, BP, Novartis, Nokia, Nike, ABB und Deutsche Bank.

Annan wirbt um weitere Mitglieder, indem er sich zum Anwalt einer konzerngesteuerten Globalisierung macht: "Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Wirtschaft dienen einem höheren Zweck: dem Schutz der Menschheit." Das Abkommen werde einen Dialog zwischen der Industrie und "anderen sozialen Gruppen" ermöglichen, so dass "Unternehmen, die sich zu den Prinzipien des Global Compact bekennen, dem Druck der Zivilgesellschaft viel besser begegnen können."

Bei der Auswahl der Partner aus der Wirtschaft legen die UN keine noch so tiefe Messlatte an: alle Unternehmen - vom Hersteller von Atomkraftwerken bis hin zu Ölkonzernen - werden akzeptiert. Informationen unabhängiger Beobachter über das Verhalten der Firmen holen die UN nicht ein. Nach der Unterzeichnung durch das jeweilige Unternehmen erfolgt keinerlei Überprüfung der Einhaltung der Prinzipien oder der "Musterprojekte", sämtliche Übereinkünfte sind "non-binding", also unverbindlich.

Die Firmen nutzen die publicity-trächtige Verbindung mit der wichtigsten internationalen Organisation intensiv. Fast alle beteiligten Unternehmen werben mit ihrem vorbildlichen Engagement im Rahmen des Abkommens auf ihren Internetseiten und in eigens veröffentlichten Broschüren. In den Geschäftsberichten von DaimlerChrysler und Bayer ist sogar eine Rede von Kofi Annan als Grußwort mit Foto und UN-Logo abgedruckt.

Seit Anfang des Jahres wird die Kritik am Appeasement-Kurs der UN mit der Wirtschaft lauter. Zahlreiche Gruppen kritisieren, dass profitorientierte Konzerne ihre eigenen Regeln aufstellen, statt durch die Legislative zu verbindlichen Standards gezwungen zu werden. Der internationale Umweltverband Friends of the Earth, dessen deutscher Zweig der BUND ist, beklagt eine "schleichende Übernahme der Vereinten Nationen durch die Privatwirtschaft" und befürchtet, dass "auf Freiwilligkeit beruhende Abkommen die Verabschiedung bindender Regeln verzögern" und damit mehr Schaden anrichten als Gutes tun.

In der Allianz für eine wirtschaftsunabhängige UN haben sich 20 Umwelt-, Gesundheits- und Entwicklungs-Organisationen aus allen Teilen der Welt zusammengeschlossen. Der Verband kritisiert die Einflussnahme der Konzerne als undemokratisch und befürchtet eine Gefährdung des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen - mit weitreichenden Konsequenzen für die zahlreichen Missionen der UN.

In einem gemeinsamen Brief an Kofi Annan fordert die Allianz die UN auf, keine Partnerschaften mit Unternehmen einzugehen. Der Unterschied zwischen gemeinnützigen und demokratisch legitimierten Institutionen auf der einen und profitorientierten Konzernen auf der anderen Seite dürfe nicht verwischt werden. Die UN müsse ein Forum einrichten, das Bewertungen der "Musterprojekte" entgegennimmt, Verstöße gegen die Prinzipien des Compact untersucht und lernunwillige Firmen ausschließt. Die teilnehmenden Unternehmen müssten alle Ziele und Konventionen der UN und ihrer Tochterorganisationen aktiv unterstützen - anderenfalls könnten sich Firmen gleichzeitig im Licht der UN sonnen und deren Ziele, z.B. das Kyoto-Abkommen gegen die Erderwärmung, hintertreiben.

Die bisherigen Veröffentlichungen über die Anstrengungen der Unternehmen zeigen, dass es auch innerhalb der UN Bedenken gegen die Zusammenarbeit gibt. Auf einem "Learning Forum" 15 Monate nach Inkrafttreten des Abkommens äußerten UN-Offizielle, dass "keines der eingebrachten Musterprojekte die Kriterien eines Fallbeispiels im Rahmen des Global Compact erfüllt". Auch zwei Jahre nach Unterzeichnung des Vertrags findet sich auf der Internetseite der UN keine anerkannte Fallstudie. Die zahlreichen vorgestellten Projekte werden unverbindlich als "Beispiele des Engagements der Wirtschaft" geführt.

Kritiker fragen, wie die Öffentlichkeit die Fortschritte des Compact begutachten soll, wenn selbst die "Musterfirmen" zwei Jahre nach Unterzeichnung der Vereinbarung kein einziges Beispiel für nachhaltiges Verhalten anführen können. Selbst die unternehmerfreundliche New York Times kritisierte, dass "der Global Compact den größten und reichsten Unternehmen erlaubt, sich in eine blaue UN-Flagge zu hüllen, ohne irgendetwas Neues dafür zu tun".

Um die fehlende Bereitschaft der Unternehmen aufzuzeigen, wirkliche Schritte in Richtung eines sozial und ökologisch verantwortungsbewussten Handelns zu gehen, sollen hier exemplarisch die Referenzprojekte der Bayer AG untersucht werden. Der Leverkusener Chemie-, Pharma- und Gentechnik-Riese, der jährlich rund 28 Milliarden Euro umsetzt und dessen Imperium rund 240 Tochterfirmen umfasst, gehört zu den Erstunterzeichnern des Global Compact. Auf seiner Internetseite befindet sich ein eigener Bereich, der umfangreich über die Kooperation mit der UN informiert. Neben einem leicht verfremdeten Logo der Vereinten Nationen findet sich folgendes Bekenntnis: "Die Global Compact Prinzipien decken sich mit den unternehmenspolitischen Prinzipien von Bayer. Unsere technische und wirtschaftliche Kompetenz ist für uns mit der Verantwortung verbunden, zum Wohle des Menschen zu arbeiten und unseren Beitrag für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung zu leisten."

In der Realität hatten in der fast 140jährigen Bayer-Geschichte die Gewinne stets Vorrang gegenüber Umweltschutz und sozialen Werten. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts vermarktete der Konzern aggressiv das "Hustenmittel" Heroin, obwohl die drohenden Abhängigkeiten längst bekannt waren. Im Ersten Weltkrieg erfand die Firma chemische Kampstoffe und setzte sich vehement für deren Verwendung ein. Im Rahmen der IG Farben war der Konzern tief in das Dritte Reich verstrickt und für Menschenversuche, den Tod Tausender Zwangsarbeiter und die Plünderung der eroberten Gebiete mitverantwortlich. In den 1980er Jahren wurden mehrere tausend Bluter durch Bayer-Produkte mit HIV infiziert, da der Konzern trotz Kenntnis des Ansteckungsrisikos auf Testverfahren verzichtet hatte und noch mehrere Jahre nach Auftreten der ersten Infektionen alte Chargen verkaufte. Aktuelle Skandale umfassen die lange bekannten Nebenwirkungen des Cholesterinsenkers Lipobay, denen mindestens 100 Patienten zum Opfer fielen, sowie die umstrittenen Versuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen.

Bayer ist Mitglied in mehreren hundert einflussreichen Lobbygruppen. Neben der oben genannten ICC und dem WBCSD sind die wichtigsten der European Roundable of Industrialists (ERT), der Trans-Atlantic Business Dialogue (TABD), die Global Crop Protection Federation sowie EuropaBio. Um das Engagement im Rahmen des Compact zu belegen, dokumentiert Bayer auf seiner Internetseite vier Projekte:

Erstens finanzielle Unterstützung für die brasilianische Abrinq-Stiftung, die gegen Kinderarbeit kämpft; zweitens Medikamenten-Spende an die Weltgesundheitsorganisation WHO im Rahmen eines Programms gegen die Schlafkrankheit; drittens Anstrengungen gegen die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen; sowie viertens Trainingsprogramme für brasilianische Bauern und Landarbeiter. Außerdem spendete Bayer nach den Erdbeben in Indien und El Salvador Medikamente und nach dem 11. September eine Million Dollar an amerikanische Hilfsorganisationen.

Die genaue Bewertung der Spenden an die WHO, an die Abrinq-Stiftung sowie nach den genannten Naturkatastrophen fällt schwer, da Bayer die Höhe der Aufwendungen nicht veröffentlicht. Im Geschäftsbericht des Unternehmens wird jedoch keine Spende erwähnt, die höher als 1 Million Euro ist. Es ist instruktiv, diese Summen mit den von Bayer gezahlten bzw. nicht gezahlten Steuern zu vergleichen: Lagen die weltweiten Unternehmens-Steuern von Bayer im Jahr 2000 noch bei rund 1,15 Milliarden Euro, so wurden diese im vergangenen Jahr um fast 90% reduziert: Nur noch 150 Millionen Euro überwies der Konzern an Bund und Länder. Allein das Land Nordrhein-Westfalen musste 250 Millionen Euro abschreiben.

Zu verdanken hatte Bayer dieses Steuer-Geschenk Heribert Zitzelsberger. Bevor Hans Eichel ihn als Staatssekretär mit der Unternehmenssteuer-Reform betraute, war er Leiter der Steuer-Abteilung bei Bayer. "Keinem der Berliner Großkopfeten hat die deutsche Groß-Industrie so viel Wohltaten zu verdanken wie Heribert Zitzelsberger", kommentierte die Berliner Zeitung.

Sämtliche Spenden und wohltätigen Programme von Bayer machen also nur einige Prozent der eingesparten Steuern aus. Die Öffentlichkeit wäre mit angemessenen Steuern, über die sie frei verfügen könnte, also weit besser bedient als mit einzelnen, willkürlich verteilten Spenden.

Bayer ist weltweit der zweitgrößte Pestizidhersteller. Im Bereich der hochgefährlichen Insektizide, mit denen sich jährlich mehrere zehntausend Landarbeiter tödlich vergiften, ist der Leverkusener Konzern führend. 1995 versprach das Unternehmen, innerhalb von fünf Jahren alle Pestizide der Gefahrenklasse 1 ("extrem gefährlich") vom Markt zu nehmen. Bis heute wurde dies allerdings nicht umgesetzt.

Um "die Risiken für Mensch und Umwelt zu minimieren", startete Bayer in Südbrasilien die Initiative "Agrovida". Im Rahmen des Programms sollen "mehrere tausend Menschen" in den sicheren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln eingeführt werden. Die Firma selbst räumt ein, dass "das Training vielleicht nur ein erster Schritt" sein könne.

Abgesehen davon, dass wohl nur eine Einführung in den organischen Landbau eine wirklich nachhaltige Maßnahme gewesen wäre, ändert die Schulung einiger tausend Personen nichts an der Tatsache, dass mehrere Millionen Landarbeiter in Ländern des Südens hochtoxische Bayer-Produkte verwenden, ohne jemals eine Schulung erhalten zu haben und ohne über angemessene Schutzkleidung zu verfügen.

Nach Angaben der UN treten jährlich mehr als 10 Millionen Pestizid-Vergiftungen auf. Ein von der UN-Abteilung FAO initiierter Kodex zum Verkauf von Agrogiften wurde von Bayer zwar unterschrieben, wird jedoch von der Firma täglich verletzt: laut Kodex sollen Pestizide der Gefahrenklasse 1 nur an "trainierte und zertifizierte Personen" verkauft werden, die einen Ganzkörperschutz tragen. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, sollen die Mittel laut Kodex vom Markt genommen werden. Zahlreiche Recherchen von Journalisten und Umweltverbänden belegen jedoch, dass sämtliche Bayer-Produkte an jedermann verkauft und von Landarbeitern ohne Kenntnis der Gefahren und ohne Schutz verwendet werden.

Die im Rahmen des Global Compact vorgestellte Initiative muss also als Augenwischerei bezeichnet werden. Ein verantwortungsbewusstes Handeln wäre nur durch eine Einhaltung des FAO-Kodex und einen Verkaufs-Stopp der risikoreichsten Wirkstoffe zu erreichen.

Nach Angaben der WHO gehören Antibiotikaresistenzen zu den größten medizinischen Problemen des 21. Jahrhunderts. Längst besiegt geglaubte Krankheiten breiten sich wieder aus, da resistente Keime mit herkömmlichen Antibiotika nicht mehr bekämpft werden können. Einer der Hauptgründe für die Ausbreitung von Resistenzen ist der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht. In der EU kommen mehr als die Hälfte aller Antibiotika in Tierställen zur Anwendung. So entstehen resistente Bakterienstämme, etwa von Salmonellen, die über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen und unbehandelbare Infektionen auslösen können.

Bayer gehört weltweit zu den größten Herstellern von Antibiotika und ist zudem drittgrößter Hersteller von Veterinärprodukten. Die Substanzklasse der Fluoquinolone vermarktet der Konzern sowohl für Menschen ("Ciprobay") als auch für Tiere ("Baytril"). In Deutschland ist Baytril seit 1995 zugelassen und wird in großem Umfang zur Behandlung von Schweinen verwendet, als Fütterungsarznei wurde das Präparat nach Protesten wieder vom Markt genommen. In den USA wird das Präparat an Hühner, Truthähne und Rinder verfüttert.

Das Unternehmen hat die Initiative "Libra" gestartet, in derem Rahmen "Ärzte, Patienten und Entscheidungsträger" über die Gefahren von Resistenzen informiert werden, um "den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika einzuschränken". Dazu heißt es auf der Bayer-Internetseite: "Libra ist das lateinische Wort für Waage. Sie symbolisiert die Ausgewogenheit der Antibiotika-Therapie." Und weiter: "Nur so kann die Wirksamkeit dieser Arzneimittel zum Schutze der Bevölkerung erhalten bleiben. Damit passt das Bayer-Engagement in idealer Weise zum Global Compact und seinen Zielen."

In der Realität trägt aber gerade der massenhafte Verkauf von Baytril zur Entstehung von Resistenzen bei: Nach Erkenntnis der US-Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) entstehen allein durch die Verfütterung von Fluoquinolonen an Hühner resistente Keime, mit denen jährlich mehr als 5.000 US-Amerikaner infiziert werden. Nach Angaben der FDA sind Fluoquinolone eine "wichtige Ursache" für Infektionen mit Campylobacter-Bakterien. Bis zu 80% der verkauften Hühner enthalten zum Teil resistente Campylobacter-Bakterien.

Die Behörde ersuchte daher die beiden Hersteller, Abbott und Bayer, das Präparat vom Markt zu nehmen. Während Abbott direkt reagierte, legte das deutsche Unternehmen Beschwerde ein. In den USA bildete sich daraufhin eine Koalition von Ärzteverbänden und Umweltorganisationen, um ein Einlenken von Bayer zu erreichen. Vertreter der Initiative befürchten, dass im Laufe des mehrjährigen Beschwerdeverfahren die Zahl der Resistenzen stark ansteigt und Fluoquinolone unbrauchbar geworden sind.

Kritische Anfragen von Journalisten oder engagierten Privatpersonen beantwortet Bayer seit dem vergangenen Jahr routinemäßig mit einem Verweis auf den Global Compact und die darin enthaltenen Anstrengungen. Es bleibt der Zivilgesellschaft überlassen, diese Aktivitäten als Ablenkungsmanöver zu enttarnen.