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Gesundheitsreform macht Arme noch kränker

Soziale Herkunft bestimmt über den Gesundheitszustand

Die soziale Herkunft bestimmt nach Ansicht von Fachleuten zunehmend über den Gesundheitszustand eines Menschen. Neue Studien bewiesen, dass der soziale Status der Geburt gerade in Deutschland entscheidend sei für gesundheitsbewusstes Verhalten und Krankheitsverläufe, sagte der Medizinsoziologe Jürgen Collatz. Die im Zuge der Gesundheitsreform geplanten höheren Belastungen für Versicherte und Patienten dürften diesen Trend noch verstärken: Vor allem untere soziale Gruppen seien bezogen auf ihre Gesundheit bereits jetzt erheblich benachteiligt, betonte der Medizinsoziologe Andreas Mielck. "Untersuchungen zeigen, dass Männer aus der unteren Einkommensgruppe 10 Jahre weniger leben als Männer aus dem oberen Einkommensviertel", sagte Mielck. Bei Frauen betrage der Unterschied fünf Jahre. Auch die Nationale Armutskonferenz warnte, dass medizinische Leistungen von einkommensschwachen Haushalten künftig nicht mehr oder viel zu spät in Anspruch genommen werden und die Menschen von den Leistungen öffentlicher Gesundheitshilfe ausgegrenzt werden könnten.

Daher komme es darauf an, mit der Gesundheitsreform kompensatorische und gesundheitsfördernde Angebote zu stärken, so Collatz. Dies werde auch zu Spareffekten führen. Die sozialen Unterschiede in der Gesundheitsversorgung zeigen sich laut Collatz bereits bei Schwangerschaft und Geburt, in der Versorgung von Müttern und ihren Kindern, bis hinein in die Versorgung alter Menschen und Sterbender.

Vor diesem Hintergrund zeigte er sich enttäuscht von der zwischen Regierung und Opposition ausgehandelten Gesundheitsreform. "Die Beschlüsse müssen in wesentlichen Bereichen geändert werden und weisen auf weiteren Reformbedarf hin", sagte der Experte. So sei die Herausnahme von Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung "katastrophal". Eine sozialdemokratische und christliche Politik dürfe sich nicht auf eine solche "Spaltung der Gesundheitsversorgung" einlassen. Für die eher weniger informierten unteren sozialen Schichten sei es besonders schwierig, sich eine ausreichende Zahnersatzversorgung zu sichern und zu leisten. Bereits bei der Zahngesundheit im Kindesalter lasse sich "der Sozialstatus" bereits heute eindeutig "am Zahnstatus" erkennen, warnte sein Kollege Mielck.

Als problematisch bezeichnete Collatz auch die geplante Erhöhung der Eigenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalten. "Wer in eine Klinik geht, hat wirklich eine ernste Erkrankung. Das zu sanktionieren ist absolut unsinnig", sagte er. Notwendig seien durchgreifende Strukturreformen, die auf eine Minderung sozialer Ungleichheit zielen. Die Politik müsse sich dazu über die Interessen der mächtigen Lobbyistengruppen hinwegsetzen.

Mielck verwies darauf, dass alle schweren Krankheiten - vom Herzinfarkt bis hin zu Diabetes - bei sozial Benachteiligten wesentlich häufiger vorkämen. Die Ursachen für diese "Ungleichheit" lägen im geringeren Einkommen und der schlechteren Schulbildung begründet. Aber auch die Arbeitsbedingungen seien oft sehr belastend. Außerdem fehlten die Mittel und Möglichkeiten, um den beruflichen Stress in der Freizeit auszugleichen. Das Wohnumfeld biete ebenfalls häufig wenig Gelegenheit, um Ressourcen zu regenerieren. Hinzu komme in unteren Statusgruppen ein weitaus gesundheitsschädlicheres Verhalten wie Rauchen, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel.

Die im Zuge der Gesundheitsreform geplanten höheren Eigenbeteiligungen, Zuzahlungen und Praxisgebühren werden nach Ansicht des Medizinsoziologen die Hemmschwelle für Arztbesuche bei Geringverdienern erheblich vergrößern. "Am Ende werden die Armen noch kränker", warnte Mielck. Notwendig sei, dass Mediziner stärker in das Lebensumfeld der Menschen eindringen und etwa in Kindergärten, Schulen und Betrieben Vorsorgeuntersuchungen anbieten oder über Gesundheitsgefahren informieren.