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Weitgehende Abkehr vom Flächentarifvertrag in Ostdeutschland

Wirtschaftsanalyse

Neun von zehn ostdeutschen Industrieunternehmen sind nicht in einem tariffähigen Arbeitgeberverband organisiert. Diese Unternehmen, die in der Mehrzahl untertarifliche Löhne zahlen, haben keinen Wettbewerbsvorteil, so der aktuelle Wochenbericht 13/2004 des DIW Berlin. Die Abkehr von der kollektiven Lohnfindung war für diese Unternehmen notwendig, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein. Überdies gibt es keinen Hinweis, dass die ostdeutsche Industrie wegen des Lohnniveaus Probleme hat, sich gegen die osteuropäische Konkurrenz zu behaupten. Allerdings hat eine Abkehr von der kollektiven Lohnfindung für die Unternehmen häufig zur Folge, dass es für sie schwer wird, Fachkräfte zu finden.

Bei den Mitgliedsbetrieben handelt es sich überwiegend um größere Unternehmen, in denen insgesamt 30 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigt sind - ein weit geringerer Anteil als noch vor zehn Jahren, als in den organisierten Betrieben noch drei Viertel der Industriebeschäftigten angestellt waren. Vergleichsweise stark ist die Tarifbindung in der chemischen Industrie, schwach ist sie in der kleinbetrieblich strukturierten Metallindustrie.

Ursächlich für die sinkende Anzahl der tarifgebundenen Unternehmen sind vor allem die überzogenen Tariflohnsteigerungen Anfang der 90er Jahre. Länger laufende Tarifverträge wurden zum Teil gekündigt, und viele der privatisierten Betriebe verließen ihre Verbände. Vor allem schlug zu Buche, dass die zahlreichen Gründer den Verbänden gar nicht erst beitraten.

Der egalitäre Charakter des Flächentarifsystems fördert Innovationsanreize von Unternehmen. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Wochenbericht 13/2004 des DIW Berlin. Der Flächentarifvertrag garantiert ein Lohnniveau, das sich an der durchschnittlichen Produktivität aller Unternehmen einer Branche ausrichtet. Theoretisch lässt sich ableiten, dass hierdurch erfolgreiche Unternehmen vor überzogenen Lohnforderungen geschützt werden, und weniger innovative Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch Senkung ihrer Lohnkosten erhöhen können.

Haustarif- oder Ergänzungstarifverträge sowie Öffnungsklauseln bewirken dagegen, dass zum einen innovative Unternehmen überproportionale Lohnforderungen ihrer Belegschaften befürchten müssen; zum anderen verringern Lohnsenkungen bei wenig innovativen Konkurrenten die Bereitschaft, in Forschung und Entwicklung zu investieren.

Ein um Öffnungsklauseln ergänztes Flächentarifsystem scheint also das am wenigsten sinnvolle Lohnfindungsregime zu sein, weil es einerseits die Monopolmacht der Industriegewerkschaft unangetastet lässt, und weil es andererseits wegen betrieblicher Anpassungen der Lohnforderungen die Innovationsanreize der Unternehmen am stärksten schmälert, folgert das DIW.