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Millionen faulenzten vier freie Tage lang

Gedanken nach Ostern

Karfreitag, Ostersamstag, Ostersonntag, Ostermontag. Millionen Beschäftigte, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosengeld-II-Bezieher, Beamte, Selbständige, Familien, Kinder, Jugendliche, Senioren faulenzten vier Tage lang. Millionen Menschen genossen vier freie Tage. Viele erlebten, wie schön es sein kann, einfach die Beine baumeln zu lassen. Noch gibt es sie, die vier freien Tage über Ostern. So Manchem gelang es, in Gedanken abzuschweifen von Ausbildung, Arbeit, Alltag. Manche mussten arbeiten, viele Krankenschwestern und Altenpfleger zum Beispiel. Auch hunderte von Journalisten waren am Platz und produzierten die Dienstagsausgaben.

Das Volk wurde nach Ostern auf die neuesten "Reformen" vorbereitet. Der Bundestagsabgeordnete Wiefelspütz zum Beispiel verbreitete die Botschaft, die Geheimdienste sollten künftig einen direkten Zugriff auf die Buchungsdaten von Reiseunternehmen bekommen. Arbeitgeberpräsident Hundt verlangte, dass die Unternehmen weniger in die Unfallversicherung einzahlen. Der Weg zur Arbeitsstätte als "allgemeines Lebensrisiko" solle nicht mehr abgedeckt werden. Das Institut der deutschen Wirtschaft forderte eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent. Die Zeitungen waren am Dienstag gefüllt mit Vorschlägen, die eine "Reformpause" unwahrscheinlich werden lassen. Die Menschen kamen wieder an im Alltag. Einige kamen am Dienstagmorgen jedoch nicht an bei ihren Arbeitsstätten. Nach einem Unfall auf dem Weg zur Arbeit wurden sie ins Krankenhaus eingeliefert. Dort können sie derzeit noch damit rechnen, auf Kosten der Unfallversicherung versorgt zu werden. In vielen Fabriken wurde auch über Ostern in Schichtdiensten weiter produziert. Seit Dienstag machen sich die Vertriebs-Manager und Werbefachleute wieder Gedanken darüber, wo die über Ostern produzierten Güter abgesetzt werden könnten. Es ist kein leichtes Geschäft, denn es gibt alles im Überfluss, von Knappheit keine Spur. Güter und Dienstleistungen sind in dieser Volkswirtschaft im Überfluss vorhanden.

Damit noch mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden können, plädieren Wirtschaftsforscher, Unternehmen und Politiker immer wieder dafür, Feiertage zu streichen. Die meisten Menschen in Deutschland "wissen" inzwischen, dass wir uns die Feiertage "nicht mehr leisten können", wird gesagt. Zeitungen schreiben das. Meinungsumfragen bestätigen anschließend, dass die millionenfach verbreitete Botschaft ankommt.

Zurück zu den vier freien Ostertagen. In so manche ostdeutsche Kleinstadt sind über die Feiertage die jungen Leute zu Besuch gekommen. Sie sind weggezogen, weil sie nur im Westen Arbeit gefunden haben. Arbeit gibts manchmal noch im Westen, aber manche Ossis tun sich als "Zugezogene" schwer damit, in der Fremde im Westen Freunde zu finden. Daher fuhren viele über Ostern nach Hause in Orte, in denen oftmals fast nur noch Senioren leben. Dort verbrachten sie vier freie Tage bei ihrer Familie und bei Freunden und genossen die freie Zeit. Die ersten Frühjahrsblumen hatten bereits ihre Blütenblätter entfaltet. Blühende Landschaften.

Hunderttausende spazierten am Wochenende durch blühende Landschaften in Wald, Feld, Wiese und Heide. Paare, Singles, Familien und Gruppen hatten Zeit für sich und füreinander, plauderten, lachten, stritten, schwiegen, genossen. Vier freie Tage. Für viele Gelegenheit, abzuschalten und einmal auf andere Gedanken zu kommen. Viele wunderten sich, dass es noch ein Leben jenseits des Alltags gibt. Kinder suchten Ostereier und andere Geschenke. Das Frühjahr hat begonnen, der Sommer steht vor der Tür. Viele haben sich über Ostern - angesteckt von der Wohltat der Freiheit der freien Zeit - Gedanken darüber gemacht, wie sie den Sommerurlaub verbringen möchten. Sie haben Pläne geschmiedet für die Freizeit.

Seit Dienstag sind viele, die über Ostern frei hatten, wieder "produktiv". Manche, die vier Tage lang einsam waren, freuen sich, wieder ihre Mitschüler und Kollegen zu treffen. Für andere war es der Weg zurück in die Hölle, weil sie sich bei der Arbeit gemobbt fühlen. Paare, die eine Fernbeziehung führen, haben sich wieder getrennt und verbringen die Woche in verschiedenen Städten. Mütter und Väter, deren Partner bei der Arbeit sind, ziehen seit Dienstag wieder alleine mit dem Kind und dem Kinderwagen durch die Straßen.

Arbeitslose gehen zum Arbeitsamt oder zwingen sich, Bewerbungen für Stellen zu schreiben, auf die sich tausende andere ebenfalls bewerben. Arbeiter sind wieder auf Montage. Kleinkriminelle bereiten wieder den nächsten Deal vor. Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen verbringen wieder einen Großteil der Arbeitszeit damit, sich um die Verlängerung ihres Beschäftigungsverhältnisses zu kümmern. Ich-AG-Inhaber machen sich wieder Gedanken darüber, warum die "Kunden" trotz der großartigen Geschäftsidee weitgehend ausbleiben. Gut bezahlte, junge Mitarbeiter in den Personalabteilungen bauen wieder Stellen ab und merken noch nicht, dass auch sie mal an der Reihe sind.

Beamte und Angestellte des Öffentlichen Dienstes widmen sich wieder den niemals versiegenden Aktenbergen und versuchen, den ständigen Umstrukturierungen und Neuerungen zu folgen. Obdachlose registrieren wieder das geschäftige Treiben in den Städten und hoffen, auch diese Woche auf der Parkbank zu überleben. Putzfrauen säubern wieder Büros und Fensterwischer die Fassaden der Hochhäuser. Umweltschützer wundern sich wieder, dass auch nach 20 Jahren Dieselrußfilter noch immer erst "langfristig" kommen sollen. Lobbyisten laden wieder Politiker und Journalisten zum Essen ein. Journalisten sitzen wieder mit den Vorständen in Pressekonferenzen, bangen um ihren eigenen Job, und bringen die neuen Reformvorschläge unters Volk.

Forscher und Entwickler bemühen sich wieder darum, neue innovative Produkte mit noch kürzerer Lebensdauer zu kreieren. Ältere Arbeiter trauern wieder der deutschen Wertarbeit nach und unterhalten sich darüber, dass "Made in Germany" mal etwas wert war. Müllsortierer staunen wieder über die große Menge fast neuer Elektrogeräte im Müll. Werbegrafiker und Werbetexter sinnieren wieder über neue Bilder und flotte Slogans, mit denen die "noch besseren" Produkte und Dienste verkauft werden können. Außendienstler rasen wieder über die Autobahnen. Unternehmensberater steigern wieder die Effizienz der Arbeit, bringen Abläufe in Betrieben und Behörden durcheinander und helfen den Vorständen beim Freisetzen von Humankapital.

Die Wirtschaft brummt, Umsätze und Gewinne steigen. Das Bruttoinlandsprodukt wächst stetig Jahr für Jahr. Folglich ist auch jedes Jahr mehr Geld da. Jedes Jahr. Mehr Geld.

Spekulanten transferieren wieder die Millionen in die Steueroasen. Vorstände denken wieder 60 bis 70 Stunden in der Woche darüber nach, wie sich Umsatz und Gewinn weiter steigern lassen und wann sie sich ihr Gehalt erhöhen können. Politiker "vermitteln" wieder die Reformvorschläge der Wirtschaft, blicken neidisch auf die Millionengehälter der Top-Manager und ärgern sich darüber, dass das Volk ihnen noch nicht einmal ihre vergleichsweise geringfügigen "Diäten" und Nebeneinkünfte gönnt. Die Besserverdienenden kaufen wieder neue Mietobjekte und hoffen, dass die Aktien bald wieder steigen.

Das Volk stöhnt beim Einkauf wieder über den Euro und geht auf Diät. Die jüngere Generation fragt sich wieder, ob sie im Alter noch eine Rente oder wenigstens ein bisschen Sozialhilfe bekommt. Die Kranken zahlen wieder Praxisgebühren und Medikamente oder trauen sich nicht, krank zu sein, und gehen zur Arbeit. Die Armen ziehen am Spätnachmittag wieder an den Biergärten vorbei und erinnern sich schmerzvoll daran, dass sie sich vor Jahren dort auch noch eine Tasse Kaffee, ein Bier oder ein Eis leisten konnten.