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Der Verteilungskampf spitzt sich zu und wird zum Generationenkonflikt

Den Löffel abgeben

Auf der einen Seite erhöhen sich Manager ihre Gehälter, werden Belastungen von Unternehmen reduziert und es wird eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gefordert. Auf der anderen Seite verschärfen sich die Konflikte zwischen denjenigen, die wenig haben oder die Sorge haben, künftig nicht hinreichend am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren zu können. Der FDP-Politiker und Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen ("JuLis"), Jan Dittrich, hatte am 2. März 2005 in einer Pressemitteilung mit dem Titel "Alte, gebt den Löffel ab!" erklärt: "Der neue Armutsbericht macht klar: Die Alten leben auf Kosten der Jungen. Während es jungen Menschen immer schlechter geht, ist die Altersarmut fast beseitigt. Es wird Zeit, dass die Alten von ihrem Tafelsilber etwas abgeben – einen Löffel oder besser gleich ein paar davon!" Am 4. März erklärte Dittrich seinen Rücktritt. Er war unter massiven Druck nicht zuletzt auch der eigenen Partei geraten.

"1,1 Millionen Kinder unter 18 Jahren lebten Ende 2003 von Sozialhilfe", heißt es in der Pressemitteilung von Dittrich vom 2. März weiter. "Das sind 7,2 %. Bei den über 65-Jährigen sind es nur 0,7 %. Hier ist die Quote innerhalb eines Jahres um die Hälfte gesunken. Vom Ziel der Generationengerechtigkeit sind wir so weit entfernt wie nie!"

Es ist nach Auffassung von Dittrich an der Zeit, die Lasten endlich gerecht zu verteilen. "Wir brauchen eine radikale Rentenreform. Die Rentenversicherung vom Umlageverfahren auf Kapitaldeckung umzustellen, ist nicht genug. Auch die heutigen Rentner müssen einen Teil ihrer Kohle rausrücken. Wir Jungen können nicht gleichzeitig unseren Lebensunterhalt verdienen, ihre Rente finanzieren und obendrein noch für unser eigenes Alter vorsorgen. Diese Dreifach-Belastung ist zuviel."

Politiker aller Parteien reagierten empört über die Äußerungen von Dittrich. Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) sagte: "Das ist eine Verhöhnung alter Menschen, die unser Land aufgebaut haben." Solche Jungpolitiker dürften "weder Macht noch Einfluss bei uns bekommen". Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) betonte: "Der soll sich um seine fehlenden Tassen im Schrank kümmern, bevor er die Löffel der Alten fordert." Auch Blüm-Nachfolger Walter Riester (SPD) erklärte, Dittrich vergifte das Klima zwischen Jung und Alt.

Nach Ansicht des Präsidenten beim Sozialverband VdK, Walter Hirrlinger, ist Dittrichs Wortwahl "völlig inakzeptabel und verkörpert die Masche der jungen Wohlstandsbürger". Auch FDP-Chef Guido Westerwelle reagierte der Zeitung zufolge entsetzt. Das Blatt zitiert Vertraute mit seiner Reaktion: "Die Wortwahl ist geschmacklos!"

Die FDP-Führung kritisiert in scharfer Form die Äußerungen des JuLi-Chefs Jan Dittrich. Das Statement sei "eine ebenso geschmacklose wie unreife Entgleisung", die nicht die Auffassung der FDP und "gewiss auch nicht die der Jungen Liberalen" vertrete, sagte Parteichef Guido Westerwelle am Freitag in Berlin. Der Fraktionschef der Liberalen, Wolfgang Gerhardt, betonte, die Äußerung Dittrichs sei in Wortwahl und Stil ein "völlig falscher Generationenkampf".

Der FDP-Arbeitsmarktexperte Dirk Niebel vertrat den Standpunkt, dass die Diskussion über Generationengerechtigkeit "richtig und notwendig" sei.

"Mir war es wichtig, auf die dramatische Zunahme der Kinderarmut in Deutschland hinzuweisen", erklärte Dittrich am 4. März nach seinem Rücktritt. "Dieses Problem generationenübergreifend zu lösen, ist mir ein Anliegen." Weiterhin erklärte er: "Ich habe hier den Bogen überspannt. Deswegen bitte ich die Menschen in Deutschland in aller Form um Entschuldigung ... Durch meine Aussage habe ich die Gefühle vieler Menschen verletzt. Diese Entgleisung ist ein Fehler von mir gewesen, den ich bereue."

Klar ist, so Dittrich, dass wir ein Problem mit der Belastung der Jungen in Deutschland haben. "Klar ist aber auch, dass die älteren Menschen dieses Land aufgebaut haben und meine Generation ihnen unglaublich viel verdankt. Nur gemeinsam können alt und jung Deutschland wieder nach vorne bringen."

In einer Pressemitteilung der "Julis" vom 5. März zollten diese Jan Dittrich nach seinem Rücktritt "Respekt" für diesen Schritt und erklärten, sie würden sicher "weiterhin vertrauensvoll mit ihm zusammenarbeiten". Weiter heißt es: "Jan DITTRICH hat die unglaubliche Tatsache, dass in Deutschland 1,1 Millionen Kinder in Armut leben auf die Tagesordnung gebracht – das hat die große Politik bis dato nicht interessiert."

Umfrage: 90 Prozent der mittelalten Generation hat wenig oder kein Vertrauen in Sozialsysteme

Die 40- bis 59-Jährigen haben in ihrer Zukunftsplanung das Vertrauen in den Staat verloren. Fast 90 Prozent dieser Altersklasse besitzt "eher wenig oder kein Vertrauen" in die Sicherheit der Sozialsysteme, wie das Nachrichtenmagazin "Focus" unter Berufung auf eine repräsentative Emnid-Umfrage berichtet. Die gesetzliche Rentenvorsorge schneide besonders schlecht ab. Nur neun Prozent der Befragten glaubten, dass ihre Rente sicher sei. Ähnlich negative Werte erreichten die Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Mehr Glaubwürdigkeit (22 Prozent) genössen gesetzliche Krankenkassen.

Gedanken ans Alter bereiteten den Menschen große Sorgen: 54 Prozent befürchteten hohe private Kosten, 49 Prozent prognostizierten eine zunehmende Altersarmut. 42 Prozent der Befragten gingen davon aus, dass sie ihren Lebensstandard im Alter nicht halten könnten. Die Einschränkungen beträfen aber vor allem Annehmlichkeiten, wie Reisen, Ausgehen, Auto und Hobbys.

Im Auftrag der Marseille-Kliniken hatte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im vergangenen Jahr die heute mittlere Generation zu ihren Einschätzungen und Vorstellungen im Rentenalter befragt.