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Studie widerspricht Argumenten für Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken

Öko-Institut

Das Öko-Institut hat im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung (hbs) alle in der Öffentlichkeit vorgebrachten Argumente für den Ausstieg aus dem Atomausstieg analysiert. In der am Mittwoch dazu veröffentlichten Studie kommt das Institut zu dem Schluss, die im Vorfeld des Energiegipfels der Bundesregierung von Atomkraftwerksbetreibern, industriellen Energieverbrauchern und Unionspolitikern vorgebrachten Gründe für eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten seien vorgeschoben. Weder würde die Strompreisentwicklung gedämpft, noch seien Entlastungseffekte beim Klimaschutz zu erwarten. Auch die verlängerten Reaktorlaufzeiten zugeschriebene „Brückenfunktion“ beim Übergang zu einem Energiesystem auf Basis Erneuerbarer Energien erweise sich eher als Fiktion, sagte das Ökoinstiut.

Eine Laufzeitverlängerung um acht oder gar 15 Jahre würde laut der Studie den notwendigen klimagerechten Erneuerungsprozess des deutschen Kraftwerksparks behindern und letztlich den Bau neuer Atomkraftwerke vorbereiten. Für eine forcierte Energieforschung oder Entwicklung Erneuerbarer Energien sei die Laufzeitverlängerung eher kontraproduktiv. Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich Böll Stiftung sagte: „Diese Untersuchung belegt im Detail, wie die Öffentlichkeit bei der Debatte um Laufzeitverlängerungen hinters Licht geführt wird. Man spielt mit den Sorgen der Bevölkerung wegen der steigenden Energiepreise und des Treibhauseffekts. Tatsächlich geht es darum, den seit dem Desaster von Tschernobyl von einer stabilen Bevölkerungsmehrheit gewollten Atomausstieg aufzuhalten und letztlich umzukehren“.

Dabei sei der Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Atomkraft angesichts des wachsenden Risikos eines atomaren Rüstungswettlaufs umso dringlicher geworden. Die auf die deutsche Debatte gerichtete Analyse des Öko-Instituts ergänze die von der Stiftung herausgegebene Studie "Mythos Atomkraft. Ein Wegweiser", die sich mit der internationalen Entwicklung befasst. In dieser Untersuchung unterziehen internationale Experten, die Autoren des Öko-Instituts und die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) die Argumente pro und contra Kernenergie einer umfassenden Neubewertung.

Klaus Töpfer befürwortet Ausstieg aus der Kernenergie

Der scheidende Direktor des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer (CDU), hat sich in der ZEIT vom Donnerstag kritisch zur weltweiten Nutzung der Atomenergie. "Die gegenwärtig Strom produzierenden Kernkraftwerke in einem vereinbarten Zeitplan abzuschalten halte ich für sehr sinnvoll", erklärt Töpfer. Erneut plädiert er für eine "Zukunft ohne Kernenergie". Wenn aber, wie in vielen Ländern der Welt, Nukleartechnik genutzt werde, "dann wenigstens solche Kraftwerke, die technologische Barrieren gegen das Proliferationsrisiko bewirken, die inhärente Sicherheit und bessere Entsorgungseigenschaften aufweisen".

80 Prozent aller weltweiten Umwelt- und Entwicklungsprobleme hingen von Energiefragen ab, erklärt Töpfer, das Spannungspotenzial sei "immens". Um Ressourcenkonflikte zu verhindern, müssten sich "unsere Konsummuster definitiv verändern". Töpfer beklagt, Deutschland sei in internationalen Institutionen zu wenig präsent. Die Lage sei dermaßen problematisch, dass man sagen müsse: "Stell dir vor, es ist Globalisierung, und die Deutschen gehen nicht hin."

Ökoinstitut sieht jährlich 300 Millionen Euro Zusatzgewinne für AKW-Betreiber

Felix Matthes, der Koordinator des Bereichs Energie und Klimaschutz des Öko-Instituts und Hauptautor der Analyse „Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke“ erklärte, im Ergebnis einer Betriebsverlängerung deutscher Atomkraftwerke würden die heute schon dominierenden Energiekonzerne E.on, RWE, Vattenfall Europe und Energie Baden-Württemberg (EnBW) mit Zusatzerträgen in zweistelliger Milliardenhöhe weiter gestärkt. Pro Kraftwerksblock und Jahr würden die AKW-Betreiber im Mittel Zusatzgewinne von etwa 300 Millionen Euro einfahren.

„Die mit dem Ausstiegsfahrplan eröffnete Chance, den in den vergangenen Jahren vollzogenen Konzentrationsprozess bei der Stromerzeugung wenigstens in Teilen rückgängig zu machen, wird mit einer Laufzeitverlängerung leichtfertig vertan. Potenzielle neue Wettbewerber hätten ohne die Kraftwerkslücke, die mit der Abschaltung der Atomkraftwerke entsteht, wesentlich schlechtere Möglichkeiten, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen“, erklärte Matthes.

Alle öffentlich von den Verfechtern des Weiterbetriebs vorgebrachten Argumente seien laut Matthes bei näherer Betrachtung „theoretisch und empirisch schwach fundiert“. Letztlich gehe es auch bei der Debatte über die Übertragung von Stromkontingenten von neueren auf ältere Meiler darum, „Milliardengewinne mitzunehmen, den Ausstiegskompromiss auszuhebeln und letztlich das Land reif zu machen für den Wiedereinstieg in die Atomenergie.“

Deutsche Umwelthilfe wirft Energiekonzernen Wortbruch vor

Gerd Rosenkranz, Leiter Politik der Deutschen Umwelthilfe, erinnerte an den Wortlaut der Atomkonsensvereinbarung vom 14. Juni 2000. Darin hatten sich die Konzerne verpflichtet, dazu beizutragen „dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird“. Es sei verwunderlich, dass „führende Unternehmen öffentlich und offensiv den eigenen Wort- und Vertragsbruch propagieren können, ohne dass eine Aufschrei der Empörung durch das Land geht“. So habe die rot-grüne Regierung dem Essener RWE-Konzern im Rahmen des Atomkonsenses die Errichtung einer auch von unionsgeführten Regierungen in Hessen und Bonn seit 1989 verlangten verbunkerten Notwarte für das Atomkraftwerk Biblis A erlassen, weil der Altreaktor laut Ausstiegsfahrplan etwa zum Zeitpunkt der Fertigstellung einer solchen Warte im Jahr 2007 hätte abgeschaltet werden müssen. Rosenkranz: „Jetzt sagt RWE: April, April, wir beantragen den Weiterbetrieb – natürlich ohne Notwarte.“

Rosenkranz plädierte für eine umfassende Neubewertung der Kernenergie. Seit die islamistischen Extremisten um Mohammed Atta im Vorfeld der Angriffe auf New York und Washington vom 11. September 2001 auch Atomkraftwerke als Ziele in Erwägung gezogen hätten, sei ein Flugzeugabsturz auf ein Kernkraftwerk nicht länger dem so genannten „Restrisiko“ zuzurechnen. „Selbst ein fehlgeschlagener Luftangriff auf ein laufendes Atomkraftwerk irgendwo auf der Welt würde den Weiterbetrieb dutzender Meiler im selben Moment in Frage stellen – das ist das Gegenteil der von der Atomwirtschaft versprochenen Versorgungssicherheit.“