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Bundesverfassungsgericht setzt der Rasterfahndung gewisse Grenzen

"Konkrete Gefahr" statt fiktive "Schläfer"

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeleiteten Rasterfahndung nach "islamistischen Terroristen" - damals war die Rede von angeblich vorhandenen "Schläfern" - Grenzen gesetzt. Eine "präventive polizeiliche Rasterfahndung" ist der Entscheidung zufolge mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur vereinbar, wenn zumindest eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist. "Als bloße Vorfeldmaßnahme entspricht eine solche Rasterfahndung verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht", entschieden die Richter. "Daher reichen eine allgemeine Bedrohungslage, wie sie in Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11. September 2001 durchgehend bestanden hat, oder außenpolitische Spannungslagen für die Anordnung der Rasterfahndung nicht aus." Vorausgesetzt ist vielmehr das Vorliegen weiterer Tatsachen, aus denen sich eine "konkrete Gefahr", etwa für die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge, ergibt.

Die Rasterfahndung sei eine besondere polizeiliche Fahndungsmethode unter Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung. Die Polizeibehörde lasse sich von anderen öffentlichen oder privaten Stellen "personenbezogene Daten übermitteln, um einen automatisierten Abgleich mit anderen Daten vorzunehmen". Durch den Abgleich solle diejenige Schnittmenge von Personen ermittelt werden, auf welche bestimmte, vorab festgelegte und für die weiteren Ermittlungen als bedeutsam angesehene Merkmale zutreffen.

Die Rasterfahndung habe vor allem bei der Bekämpfung des RAF-Terrorismus in den 1970er Jahren in Deutschland eine Rolle gespielt. Auch nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 haben nach Angaben des Gerichts die Landespolizeibehörden unter Mitwirkung des Bundeskriminalamtes eine bundesweit koordinierte Rasterfahndung nach islamistischen Terroristen durchgeführt. Ziel sei insbesondere die Erfassung so genannter "Schläfer" gewesen.

"Die Landesämter erhoben Daten unter anderem bei Universitäten, Einwohnermeldeämtern und dem Ausländerzentralregister und rasterten die Datenbestände nach den folgenden Kriterien: männlich, Alter 18 bis 40 Jahre, (ehemaliger) Student, islamische Religionszugehörigkeit, Geburtsland", teilte das Bundesverfassungsgericht mit. Die gewonnenen Daten seien anschließend mit weiteren, durch das Bundeskriminalamt erhobenen Datenbeständen abgeglichen worden. Fazit: Die Rasterfahndung habe nicht dazu geführt, dass "Schläfer" aufgedeckt wurden.

An der Rasterfahndung habe sich auch das Land Nordrhein- Westfalen beteiligt. "Im Oktober 2001 ordnete das Amtsgericht Düsseldorf auf Antrag des Polizeipräsidiums die Rasterfahndung an. Die Anordnung stützte sich auf Paragraph 31 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein- Westfalen in der Fassung vom 24. Februar 1990 (PolG NW 1990)." Nach dieser Vorschrift könne die Polizei von öffentlichen Stellen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zwecke des automatisierten Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen, "soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist".

Die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen eine präventive polizeiliche Rasterfahndung angeordnet werden könne, seien in den Bundesländern unterschiedlich geregelt "und in den letzten Jahren in vielen Ländern gemildert worden". Nach mehreren Landesgesetzen sei die Rasterfahndung seither "auch ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr" zulässig. "Die Ermächtigung zur Rasterfahndung ist also zu einer polizeilichen 'Vorfeldbefugnis' umgestaltet worden", kritisiert das Bundesverfassungsgericht.

Beschwerdeführer: Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt

Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erwirkte ein marokkanischer Staatsangehöriger islamischen Glaubens. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Rasterfahndung sei er Student gewesen. "Seine gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingelegten Rechtsmittel waren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erfolglos." Auf seine Verfassungsbeschwerde hin habe aber der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts "festgestellt, dass die angegriffenen Beschlüsse den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen". Das Verfahren sei an das Landgericht zu erneuter Entscheidung zurückverwiesen worden.

Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass Paragraph 31 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen - "der das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung beschränkt" - nur dann verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge, wenn er so interpretiert würde, dass eine "auf Tatsachen gegründete, konkrete Gefahr" vorliege.

Die in Paragraph 31 geregelte Rasterfahndung diene dem Schutz hochrangiger Verfassungsgüter: Mit dem Bestand und der Sicherheit des Bundes und eines Landes sowie Leib, Leben und Freiheit einer Person, die vor Gefahren geschützt werden sollen, seien Schutzgüter von hohem verfassungsrechtlichem Gewicht bezeichnet. Zum Schutz dieser Rechtsgüter seien Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich zulässig.

Die Rasterfahndung berge allerdings für die betroffenen Personen "ein erhöhtes Risiko, Ziel weiterer behördlicher Ermittlungsmaßnahmen zu werden". Dies habe der Verlauf der nach dem 11. September 2001 durchgeführten Rasterfahndung auch tatsächlich gezeigt. Auch könne eine solche Rasterfahndung "Vorurteile reproduzieren" und die betroffenen Bevölkerungsgruppen wie Angehörige islamischen Glaubens "in der öffentlichen Wahrnehmung stigmatisieren".

Angesichts des Gewichts der mit der Durchführung einer Rasterfahndung einhergehenden Grundrechtseingriffe ist diese nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts "nur dann angemessen, wenn der Gesetzgeber rechtsstaatliche Anforderungen dadurch wahrt, dass er den Eingriff erst von der Schwelle einer hinreichend konkreten Gefahr für die bedrohten Rechtsgüter an vorsieht".

Im Vorfeld einer konkreten Gefahr scheide eine Rasterfahndung aus. Selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung könne "auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht verzichtet werden". Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete, dass der Gesetzgeber intensive Grundrechtseingriffe erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorsehen dürfe.

"Konkrete Gefahr" - "Gegenwärtige Gefahr" nicht erforderlich

Paragraph 31 des nordrhein-westfälischen des Polizeigesetzes nenne als Eingriffsschwelle "die gegenwärtige Gefahr". Diesen Maßstab hält das Bundesverfassungsgericht zwar für verfassungsgemäß, für die Praxis der Gefahrenverhütung dann aber wiederum für zu hoch: Denn unter dieser Voraussetzung würde die Rasterfahndung "regelmäßig zu spät kommen, um noch wirksam sein zu können". Verfassungsrechtlich ausreichend sei es daher, wenn der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Rasterfahndung an das Erfordernis einer "konkreten Gefahr" für die betroffenen hochrangigen Rechtsgüter knüpfe.

Wann eine "konkrete Gefahr" konkret vorliegt, bleibt in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dann allerdings relativ unbestimmt: Voraussetzung sei eine Sachlage, bei der "im konkreten Fall" die "hinreichende Wahrscheinlichkeit" bestehe, dass "in absehbarer Zeit" ein Schaden für diese Rechtsgüter eintreten werde.

Eine konkrete Gefahr in diesem Sinne könne aber "auch eine Dauergefahr" sein. Für die Annahme einer etwa von so genannten terroristischen Schläfern ausgehenden "konkreten Dauergefahr" seien allerdings "hinreichend fundierte konkrete Tatsachen" erforderlich. Eine "allgemeine Bedrohungslage", wie sie in Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11. September 2001 durchgehend bestanden hätte, oder außenpolitische Spannungslagen "reichen für die Anordnung der Rasterfahndung nicht aus". Die der Gefahrenfeststellung zugrunde gelegten Annahmen und Schlussfolgerungen müssten vielmehr "auf weiteren konkreten Tatsachen" beruhen, "etwa solchen, die auf die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge hindeuten".

Rüge für Landgericht und Oberlandesgericht

Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts genügen nach Auffassung der Karlsruher Richter "den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht". Sie beruhten auf einer diesen Grundsätzen widersprechenden "ausweitenden Auslegung" des Polizeigesetzes. Sie ließen außer Acht, dass die Verfassungsmäßigkeit der Anordnung an das Vorliegen "zumindest einer konkreten Gefahr" gebunden sei und der "dafür geforderte Grad der Wahrscheinlichkeit" einer Rechtsgutverletzung "nicht nur mit Rücksicht auf die Größe eines möglichen Schadens, sondern auch im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs und die Eignung der Maßnahme zu seiner Abwehr zu bestimmen ist".

Das Bundesverfassungsgericht rügte, dass das Landgericht es schon für hinreichend erachtet habe, dass "die Möglichkeit eines besonders gravierenden Schadenseintritts nicht ausgeschlossen" sei, und dass das Oberlandesgericht eine nur "entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts" ausreichen lassen wolle. Das Oberlandesgericht habe festgestellt, dass "konkrete Anzeichen für Terroranschläge in Deutschland nicht bekannt" waren, sondern die Zulässigkeit der Rasterfahndung allein die "Möglichkeit solcher Anschläge" gestützt.

Sondervotum: Rasterfahndung ist ein Eingriff von minderer Intensität

Zur Mehrheitsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts schrieb die Richterin Haas ein abweichendes "Sondervotum". Haas vertritt darin die Auffassung, dass der Staat "mit der Sicherheit zugleich auch die Freiheit des Einzelnen" gewährleiste, denn "Sicherheit sei Grundlage der Freiheit und deshalb Teil derselben".

Demgegenüber seien die zur Stärkung der Freiheit durch die Rasterfahndung notwendigen Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen, die wie alle anderen Personen auch von eben dieser Freiheitssicherung profitieren, von "nur geringem Gewicht". Die Maßnahme der Rasterfahndung sei ein "Eingriff von minderer Intensität" schon deshalb, weil nur solche Daten erfasst und abgeglichen würden, die bereits vom Betroffenen offenbart und in Dateien mit seiner Kenntnis gespeichert worden seien.

Anders als die Senatsmehrheit sieht Richterin Haas daher keinen Grund, die Auslegung und Anwendung des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes durch das Oberlandesgericht verfassungsrechtlich zu beanstanden. Das Oberlandesgericht sei zu Recht von einer "hinreichenden Tatsachengrundlage für eine terroristische Gefahr" ausgegangen.

Nach Auffassung von Haas ist die Mehrheit der Verfassungsrichter mit ihrer Festlegung auf die konkrete Gefahr als Einschreitschwelle der Rasterfahndung über den vom Fall her gebotenen Prüfungsumfang hinausgegangen. Der Rechtsstaat erfahre durch diese Entscheidung keine Stärkung, sondern die von der Senatsmehrheit formulierten Voraussetzungen an die Rasterfahndung machten den Staat gegenüber drohenden Terrorangriffen wehrlos.