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Müntefering, Sommer und Lafontaine auf dem DGB-Kongress

Müntefering ausgelacht

Auf dem DGB-Bundeskongress in Berlin ist es zu einer harten Konfrontation zwischen Gewerkschaftern, Linkspartei-Chef Oskar-Lafontaine und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) gekommen. Während der SPD-Minister am Donnerstag die Reformen der großen Koalition verteidigte, musste er teilweise ein Pfeifkonzert und Lacher der knapp 400 Delegierten über sich ergehen lassen. Der Arbeits- und Sozialminister hatte die Gewerkschafter aufgefordert, sich konstruktiv "am Reformprozess" zu beteiligen. Die Delegierten des 18. DGB-Bundeskongresses haben sich mit überwältigender Mehrheit für einen gesetzlichen Mindestlohn von zunächst mindestens 7.50 € pro Stunde ausgesprochen. Tarifvertragliche Lösungen sollen Vorrang haben, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten dürfen. Der DGB fordert daher eine gesetzliche Regelung, die ein branchenbezogenes Mindestentgelt auf der Grundlage von Tarifverträgen ermöglicht. Zusätzlich ist der gesetzliche Mindestlohn nach Auffassung des DGB als Auffanglinie nach unten erforderlich, falls tariflich ausgehandelte Löhne zu niedrig oder keine Tarifverträge möglich sind.

Hintergrund ist laut DBG, dass etwa 2,5 Millionen Menschen in Deutschland zu Armutslöhnen arbeiten. "Arbeit darf nicht arm machen", hatte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer den Delegierten vor der Abstimmung zugerufen. "Von Arbeit muss man leben können." Sommer erinnerte Bundeskanzlerin Angela Merkel daran, dass Frankreich in Kürze den Mindestlohn auf über 8 € anheben werde. "Wir dürfen nicht den billigen Jakob in Europa machen."

Müntefering: Kein Staat darf gegen die Gesetze des globalen Marktes handeln

Müntefering sagte, die wichtigste Aufgabe sei es, für einen "handlungsfähigen Staat zu sorgen". Kein Staat könne aber gegen die Gesetze des globalen Markts handeln. "Aber wir werden nicht zulassen, dass Geld die Welt regiert. Wir wollen den Primat der Politik."

Müntefering forderte von den Delegierten, "nicht ideologische Diskussionen über die Instrumente" zu führen. Wichtiger sei es, sich um die richtigen Ziele zu streiten. Und da sei man sich doch einig: "Nicht Vorfahrt für Arbeit, sondern Vorfahrt für menschenwürdige Arbeit."

"Wir wollen keinen dauerhaften Niedriglohnsektor", bekannte Müntefering. Er werde im Herbst Vorschläge zu Arbeitsmarktinstrumenten für Geringqualifizierte machen. Dabei favorisiere er allerdings eine tarifvertragliche Lösung: "Mindestlohn wäre eine Einmischung in die Tarifautonomie - die ist mir heilig!" Aber Löhne von 600, 700, 800 Euro seien sittenwidrig: "Das darf so nicht bleiben!"

"Billig können andere Länder besser als wir", meint der deutsche Arbeitsminister. "Hochleistungs- und Hochlohnland ist die Chance, dafür werde ich in dieser Regierung kämpfen!"

Auf Kritik bei den Delegierten stieß Müntefering mit seinem Plädoyer für die Rente mit 67. Beim Thema Ausbildung ging er sogar geradezu auf Konfrontation. Es werde keine Ausbildungsplatzumlage geben, sagte er definitiv. Und das obwohl auch er die Ergebnisse des Ausbildungspaktes kritisiert.

Anstelle von gesetzlichen Maßnahmen beließ es der Arbeitsminister bei einem Appell an die Arbeitgeber: "Sorgen Sie dafür, dass ausreichend neue Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Wer morgen und übermorgen noch Facharbeiter haben will, der muss heute ausbilden!"

Sommer: Einführung einer Börsenumsatzsteuer

Sommer forderte in seiner Grundsatzrede die Einführung einer Börsenumsatzsteuer, wie sie in London schon praktiziert werde: "Diese Steuer würde kurzfristige Kapitalbewegungen verteuern und zu einem langfristigen strategischen Engagement mit realistischen Renditevorstellungen ermutigen." Er forderte, dass bei einer Regulierung durch internationale Institutionen auch "der Wert der menschlichen Arbeit Ausgangspunkt und Maßstab" werde.

"So lange es in diesem Land einflussreiche Wirtschaftsführer und Politiker gibt, die sowohl der Arbeitsarmut als auch der Altersarmut das Wort reden, so lange kann keiner behaupten, die Würde des Menschen sei unantastbar", sagte Sommer. Darum müsse die Politik die Unternehmen wieder in die Pflicht nehmen für Arbeit und Ausbildung. Sommer: "Wir brauchen mehr, nicht weniger Sozialstaat und an der Finanzierung müssen sich die Reichen und Besitzenden wesentlich stärker beteiligen als heute."

Armutslöhne seien nicht hinnehmbar und die Privilegierung der Minijobs müsse aufhören: "Wir wollen die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf alle Branchen", sagte Sommer. Darüber hinaus forderte er einen "gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro" und verbesserte Möglichkeiten, um Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären. Der unterste repräsentative Lohn in jeder Branche müsse allgemeinverbindlich werden und dürfe den "gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten". Einer "Zementierung oder Ausdehnung" des Niedriglohnsektors bezeichnete Sommer als "nicht hinnehmbar".

Der DGB-Vorsitzende warnte vor einem Wettlauf um die niedrigsten Löhne: "Gefordert ist eine europäisch harmonisierte Wirtschaftspolitik, die tatsächlich hilft, neue Beschäftigung zu schaffen, Forschung und Entwicklung in Europa voran zu bringen und jungen Menschen überall eine Chance auf Ausbildung zu ermöglichen."

Dafür brauche man in den nächsten Jahren politisch mehr Raum für Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in Europa. Sommer forderte, die "Rechte der europäischen Betriebsräte zu stärken sowie die Unternehmensbestimmung als Vorbild für Europa auszubauen".

Zur Belebung der Idee eines sozialen Europas müsse außerdem der Verfassungsprozess wieder angestoßen werden. "Wir sollten die Europawahl 2009 zugleich als Wahl zu einer Verfassung gebenden Versammlung organisieren", sagte der DGB-Bundesvorsitzende: "Nur ein von den Wählerinnen und Wählern Europas legitimiertes Parlament ist in der Lage, mit seiner höheren Autorität einen neuen Verfassungsentwurf zu erarbeiten." Der ausgearbeitet Entwurf müsse dann aber durch "eine europäische Volksabstimmung in Kraft gesetzt" werden.

Lafontaine: Einführung einer Börsenumsatzsteuer

Links-Fraktionschef Oskar Lafontaine forderte eine radikale Kehrtwende in der Finanz- und Sozialpolitik. Die Entscheidungen der großen Koalition in den vergangenen Monaten stünden für eine Fortsetzung der Reformagenda 2010. Das sei der falsche Weg, weil dies gravierende Kürzungen für die Mehrheit der Bürger mit sich bringe, sagte Lafontaine vor den Delegierten.

Lafontaine stellte sich in seiner Rede ausdrücklich hinter die ver.di-Kampagne gegen eine geforderte Arbeitszeitverlängerung. "Das ist ein zentrales Projekt der linken Politik." Der Begriff "Arbeitszeitverlängerung" bedeute in Wirklichkeit eine Stundenlohnkürzung, so Lafontaine. Das könne man als Gewerkschafter nicht einfach hinnehmen.

Der Linksfraktions-Chef warnte die Delegierten, die Sprache des Neoliberalismus kritiklos zu übernehmen. So bezeichne man zum Beispiel die Beiträge zur Rentenversicherung, Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und Pflegeversicherung als Nebenkosten. "Aber niemand würde seine Rente, seine Leistungen von der Krankenkasse, sein Arbeitslosengeld oder seine Leistungen der Pflegeversicherung als Lohnnebenkosten bezeichnen". Wer die Lohnnebenkosten kürzen wolle, der wolle in Wirklichkeit den Rentnern, den Kranken, den Arbeitslosen und den Pflegebedürftigen das Geld kürzen. "Und das muss man dann auch so aussprechen", rief Lafontaine unter dem Beifall der Delegierten.

"Globalisierung kann man in Kapitalismus übersetzen - denn das gibt die wirklichen gesellschaftlichen Machtverhältnisse wieder", so Lafontaine weiter: "Aber der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte." Wohlstand müsse vielmehr der lebendigen Arbeit folgen, nicht dem toten Kapital. "Die Fehlentwicklung, dass heute 40 Prozent des Volkseinkommens aus Zins- und Kapitalerträgen stammen und nur noch 60 Prozent aus Arbeit, muss gestoppt werden." Lafontaine weiter: "Die Steuer und Abgabenquote muss wenigstens auf europäischen Durchschnitt, die öffentliche Investitionsrate muss wie in den europäischen Nachbarländern angehoben werden und die großen Ersparnisse müssen endlich ihren Beitrag leisten."

Die Linkspartei unterstütze den gesetzlichen Mindestlohn. Die Lohnabschlüsse müssten in Zukunft deutlich höher sein als in den letzten Jahren. Hartz IV müsse verschwinden, da es faktisch eine brutale Enteignung älterer Arbeitnehmer bedeute. Gegen diese Politik müsse die Linke gemeinsam mit den Gewerkschaften entschlossen vorgehen, sagte der ehemalige SPD-Chef unter lang anhaltendem Applaus der Delegierten.

Peters: "Kein Spielball" wirtschaftlicher Interessen

Wie Sommer wandten sich auch die Vorsitzenden von IG Metall und ver.di, Jürgen Peters und Frank Bsirske, gegen den wachsenden Einfluss internationaler Investoren. Peters sagte, die Arbeitnehmer dürften "kein Spielball" wirtschaftlicher Interessen sein. Sommer forderte Gesetze, die das "ungebremste und ungehemmte Treiben der internationalen Finanzmärkte" regulieren und somit "wenigstens einige Spielregeln" wieder einführen.