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Bundesregierung beschloss Neuregelungen für Versicherungsverträge

Druck aus Karlsruhe und Brüssel

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Entwurf eines neuen Versicherungsvertragsgesetzes verabschiedet. Ab 2008 sollen Versicherungen ihre Kunden dann vor Vertragsabschluss "umfassend beraten und die Gespräche dokumentieren". Das bisher geltende Gesetz stamme aus dem Jahr 1908. Die Neuerung soll auch für laufende Verträge, allerdings nur für die Zukunft und nicht rückwirkend gelten. "Grundsätzlich" soll mit den Neuregelungen nach Darstellung der Bundesregierung "der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber dem Versicherer verbessert werden". Die Bundesregierung verschweigt auf ihrer Website, dass die verbraucherfreundlichen Änderungen vom Bundesverfassungsgericht beziehungsweise von der EU-Kommission erzwungen werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Juli 2005 entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen für den Bereich der kapitalgebundenen Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung nicht den verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen genügen. Die EU-Kommission droht Deutschland derzeit mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Beteiligung an Reserven

Versicherte werden laut Bundesregierung durch das neue Gesetz deutlich besser gestellt. Es sehe bei Lebensversicherungen im Regelfall den Anspruch auf die Überschussbeteiligung vor. Dazu gehörten dann erstmals die so genannten stillen Reserven: Die Versicherten sollen auch auf die Gewinne Anspruch haben, "die nicht realisiert wurden, soweit sie durch deren Beiträge erwirtschaftet worden sind".

Kunden, die ihre Lebensversicherungen bereits wenige Jahre nach Vertragsschluss kündigen wollen, sollen künftig einen höheren Rückkaufswert als bisher üblich erhalten. Die derzeitige Rechtslage: "Zurzeit werden die gezahlten Prämien häufig in den ersten beiden Vertragsjahren mit den Abschlusskosten des Vertrags verrechnet. Daher erzielt der Versicherte, wenn er in diesem Zeitraum kündigt, in der Regel keinen oder nur einen sehr geringen Rückkaufswert." Künftig soll diese Verrechnung auf die ersten fünf Jahre gestreckt werden.

Lebensversicherungen haben laut Bundesregierung "eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung". Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft bestanden 2005 in Deutschland 94 Millionen Versicherungsverträge mit gebuchten Brutto-Beiträgen von 72,6 Milliarden Euro.

"Besser beraten und informieren

Neu soll auch sein, dass alle relevanten Unterlagen dem Kunden vor der Unterzeichnung ausgehändigt werden. Die Kunden müssten über "Vertragsdetails wie Staffelungen und Laufzeiten" vorab informiert werden. Die Beratung soll zudem dokumentiert werden. Im Streitfall erleichtere dies "dem Versicherungsnehmer" die Beweisführung. "Verletzen Versicherer und Vermittler ihre Beratungs- und Dokumentationspflichten, sind sie schadensersatzpflichtig."

Außerdem soll der Versicherungsnehmer nach dem Gesetzentwurf vor der Unterzeichnung nur noch diejenigen Umstände anzuzeigen müssen, nach denen der Versicherer schriftlich gefragt habe. Damit liege das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand für das versicherte Risiko erheblich sei, nicht mehr beim Kunden.

"Alles-oder-Nichts"-Prinzip aufgehoben

Die Versicherung soll dann auch bei grob fahrlässigem Verhalten den Schutz nicht mehr komplett versagen können. Das sei zum Beispiel bei Hausratsversicherungen der Fall. "Angenommen der Mieter hat ein Fenster auf Kippe und es wird in seiner Abwesenheit eingebrochen. In solchen Fällen können die Versicherungsleistungen nur noch je nach Schwere des Verschuldens gekürzt werden." Eine komplette Streichung soll künftig nicht mehr möglich. "Einfach fahrlässige Verstöße" sollen für den Versicherungsnehmer folgenlos bleiben.

"Unteilbarkeit der Prämie" abgeschafft

Dem Gesetzentwurf zufolge soll der Versicherungsvertrag im Laufe des Versicherungsjahres von der Versicherung gekündigt oder durch Rücktritt beendet werden können. Nach geltendem Recht müsse der Versicherte trotz Kündigung die volle Jahresprämie zahlen. Ab dem 1. Januar 2008 soll der Versicherungsnehmer nach Vorstellung der Bundesregierung die Prämie nur bis zum Zeitpunkt der Kündigung zahlen müssen.

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde vom Juli 2005

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Juli 2005 entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen für den Bereich der kapitalgebundenen Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung nicht den verfassungsrechtlichen Schutzanforderungen genügen. Damit war die nach Art eines Musterprozesses mit Unterstützung des Bundes der Versicherten erhobene Verfassungsbeschwerde eines Versicherungsnehmers, der eine kapitalbildende Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung abgeschlossen hatte, im Kern erfolgreich.

Der Versicherungsnehmer hatte zuvor – ohne Erfolg – die Zivilgerichte angerufen, um zu erreichen, dass bei der Berechnung seiner Überschussbeteiligung insbesondere stille Reserven des Versicherungsunternehmens berücksichtigt werden.

Das Bundesverfassungsgericht stellte in ihr Begründung fest, dass der Wettbewerb um das Produkt Lebensversicherung für die Versicherten nur in beschränkter Weise funktioniere. Ihnen fehlten praktisch realisierbare Möglichkeiten, selbst und eigenständig auf Änderungen der Praxis zu ihren Gunsten hinzuwirken, da die Vertragsbedingungen der Lebensversicherer praktisch nicht verhandelbar seien.

Der Versicherungsnehmer habe keine Chance, einen Versicherungsvertrag mit Überschussbeteiligung so abzuschließen, dass die stillen Reserven jedenfalls teilweise auch ohne Realisierung berücksichtigt und Möglichkeiten der Querverrechnung transparent gemacht und inhaltlich begrenzt würden. Angesichts dessen treffe den Gesetzgeber ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag, dem dieser aber bisher in nicht ausreichender Weise nachgekommen sei.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hatte das Urteil begrüßt. Es zeige, dass viele Praktiken der Versicherungsunternehmen nicht nur verbraucherfeindlich, sondern sogar verfassungswidrig seien. "Der Abbau von Intransparenz, die Schaffung von Vergleichbarkeit und der Schutz der Verbraucher vor falschen und überteuerten Policen" müsse eine der ersten Aufgaben einer neuen Bundesregierung sein, hatte der Verband damals gefordert.

Das Bundesverfassungsgericht ließ dem Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2007 Zeit, die festgestellten Mängel zu beheben. Termingerecht zum 1. Januar 2008 soll sich jetzt etwas ändern.

Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland

Die EU-Kommission geht derzeit gegen Deutschland mit rechlichen Mitteln vor, weil die derzeitigen deutschen Rechtsvorschriften "über vorvertragliche Verpflichtungen der Versicherungsunternehmen gegenüber den Versicherten und über das Recht auf Rücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag" nach Auffassung der Kommission gegen EU-Recht verstoßen. Die Kommission hat daher jetzt beschlossen, Deutschland "eine mit Gründen versehene Stellungnahme" - der unmittelbaren Vorstufe einer Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu übermitteln.

In der Praxis bewirkten die derzeitigen deutschen Vorschriften über den Abschluss von Versicherungsverträgen, das so genannte "Policenmodell", dass der Versicherungsvertrag bereits als abgeschlossen gelte, auch wenn der Versicherungsnehmer noch nicht alle Informationen erhalten habe, die gemäß den EU-Lebens- und Nichtlebensversicherungsrichtlinien gefordert würden. Nach Meinung der Kommission läuft diese Situation dem Grundsatz dieser Richtlinien zuwider, dem zufolge die Versicherungsnehmer vor Beginn der Vertragsverpflichtungen angemessen zu informieren sind.

Die Versicherungsnehmer seien überdies nicht berechtigt, ein Jahr nach Zahlung der Erstprämie vom Versicherungsvertrag zurück zu treten, "und zwar unabhängig davon, ob sie zuvor über dieses Rücktrittsrecht informiert wurden oder nicht", bemängelt die Kommission weiter. Dies laufe der Richtlinie 2002/83/EG zuwider, die Versicherungsnehmer zum Rücktritt von einem Versicherungsvertrag binnen 14-30 Tagen nach der Unterrichtung über den Vertragsabschluss berechtige.

Der Kommission zufolge erhält der Versicherungsnehmer der deutschen Regelung zufolge nicht die Gelegenheit, von diesem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen. Die deutschen Behörden haben jetzt zwei Monate Zeit, um auf die mit Gründen versehene Stellungnahme der EU zu antworten.