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Erbschaftsteuerrecht laut Bundesverfassungsgericht verfassungswidrig

Vermögenswerte

Das Erbschaftsteuerrecht in Deutschland muss neu geregelt werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss die Begünstigung von vererbtem Immobilienvermögen gegenüber den Finanzwerten für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat bis Ende 2008 Zeit für eine Neuregelung. Die Bewertung muss sich künftig am Verkehrswert ausrichten, egal ob Wertpapiere, Häuser, Ländereien oder Unternehmen vererbt werden. Dem Gesetzgeber bleibt aber Spielraum etwa durch "Verschonungsregelungen". "Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichtes macht den Weg frei für die Erbschaftsteuerreform für Betriebsvermögen", kommentierte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann.

"Das Gericht hält die geltende Bewertung von Immobilien und Unternehmensvermögen für verfassungswidrig", so Thumann. Es eröffne dem Gesetzgeber jedoch einen weiten Spielraum für die Ausgestaltung von zielgerichteten "Entlastungsmöglichkeiten".

70.900 Unternehmen mit rund 678.000 Arbeitnehmern stünden zur Übergabe in Deutschland an. "Diese Unternehmen warten nun auf ein deutliches Signal der Politik, die Rahmenbedingungen für Unternehmensübergaben so einfach wie möglich zu gestalten und für Rechtssicherheit zu sorgen", fordert der BDI-Präsident.

Die Erbschaftsteuer sei ein "belastender Faktor", sie entziehe Unternehmen "dringend benötigte Liquidität". Dem Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie geht es offenbar insbesondere um die Arbeitnehmer: "Der Erhalt und die Sicherung von Arbeitsplätzen sollte ein Rechtfertigungsgrund für eine Verschonung der Unternehmensnachfolge von der Erbschaftsteuer sein".

Die Bundesregierung habe mit dem Gesetz zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge "eine gute Vorlage für eine Reform" geliefert, die gerade den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes an einer zielgenauen Verschonungsregelung entspreche. "Der Regierungsentwurf sollte nun zügig beraten werden", fordert Thumann. Der Erfolg der Regelung hänge jetzt jedoch auch davon ab, wie der Gesetzgeber die Vorgaben des Gerichtes zur gleichmäßigen Bewertung von Unternehmen umsetze.

Die Parlamentarische Finanz-Staatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) kündigte eine "zeitnahe" Überarbeitung des Bewertungsgesetzes an.

Das Einfamilienhaus des Normalverdieners auf dem Prüfstand?

SPD-Chef Kurt Beck versicherte, das Einfamilienhaus des Normalverdieners werde von der Neuregelung nicht betroffen sein. Hendricks wies auf die Möglichkeit des Gesetzgebers hin, Erben über höhere Freibeträge oder neue Tarife vor "Mehrbelastungen" "schützen" zu können. Hendricks sagte, die Bundesländer wollten keine Mehreinnahmen durch das Urteil erzielen, aber auch nicht auf Einnahmen verzichten.

Beck sagte mit Blick auf die breite Bevölkerung, dass große Immobilienvermögen einen "angemessenen Beitrag" leisten müssen. Es könne nicht sein, dass jemand "von Beruf Erbe" sei, aber keinen Beitrag zum Erhalt der Infrastruktur leiste, sagte der SPD-Chef.

Gesetz zur Unternehmensnachfolge rückwirkend zum 1. Januar 2007?

Für das geplante Gesetz zur Unternehmensnachfolge, wonach bei Betriebsübergängen die Steuerschuld gestundet werden soll, wenn die Erben die Firma fortführen, ist aus Sicht von Unions-Politikern und Wirtschaft der Weg frei. Unions-Fraktionsvize Michael Meister (CDU) schloss nicht aus, dass das auf Eis liegende Gesetz noch rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft treten könnte.

Hendricks äußerte sich zurückhaltend. Ob und inwieweit das Gesetzgebungsverfahren fortgesetzt werden könne, werde das Finanzministerium mit den Verfassungsressorts und den Bundesländern rasch prüfen. Die Erbschaftsteuer steht den Ländern zu. Das Aufkommen betrug 2006 knapp 3,8 Milliarden Euro.

Lafontaine fordert die Wiedererhebung einer Vermögenssteuer

Links-Fraktionschef Oskar Lafontaine sagte, das Urteil rufe Erinnerungen wach: "Vor genau zehn Jahren ist die Vermögenssteuer aus eben diesem Grund ausgesetzt worden. Der Deutsche Bundestag hat es bis heute versäumt, eine verfassungskonforme Bewertung der unterschiedlichen Vermögensarten vorzunehmen."

Die Aussetzung der Vermögenssteuer treffe den sozialen Rechtsstaat an einer zentralen Stelle. Davor habe bereits der Verfassungsrichter Böckenförde im Urteil von 1995 zur Vermögenssteuer gewarnt. "Im Eigentum gerinnt die Ungleichheit der freigesetzten Gesellschaft zur Materie und wird Ausgangspunkt neuer Ungleichheiten", habe Böckenförde schon damals gewusst und dadurch die freiheitliche Rechtsordnung selbst gefährdet gesehen.

"Mehrwertsteuererhöhung, sinkende Reallöhne und die Kürzung sozialer Leistungen auf der einen Seite und steigende Gewinne und Unternehmenssteuersenkungen auf der anderen Seite haben seitdem die Umverteilung von unten nach oben dramatisch beschleunigt", kritisiert Lafontaine.

Nach dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftssteuer gebe es "keine Ausreden mehr: Die Bundesregierung muss endlich auch die Voraussetzungen für die Wiedererhebung einer Vermögenssteuer schaffen."

Bauernverband: Unternehmensnachfolge in der Land- und Forstwirtschaft muss möglich sein

Enttäuscht über das Urteil äußerten sich der Bauernverband sowie die Arbeitsgemeinschaften der Grundbesitzer und Waldbesitzer. Die Organisationen forderten, die Land- und Forstwirtschaft in das Modell der zehnjährigen Steuerstundung bei der Firmennachfolge einzubeziehen. Der Deutsche Mieterbund befürchtet als Folge des Urteils rückläufige Investitionen beim Wohnungsbau.

Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass die derzeitige Bewertung land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, aber auch von Immobilien und Betriebsvermögen bei der Erhebung der Erbschaftsteuer verfassungswidrig sei, so der Bauernverband. Zum ersten Mal solle nun land- und forstwirtschaftliches Vermögen nicht länger nach Ertragswerten, sondern nach Verkehrswerten berechnet werden.

Aus Sicht des Bauernverbandes ist jedoch das Ertragswertverfahren heute und künftig "das einzig sachlich richtige Verfahren" zur Bewertung landwirtschaftlichen Vermögens, das auch in anderen Bereichen Gültigkeit habe. Dieses Verfahren müsse deshalb auch im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes weiterhin Anwendung finden, fordert der Verband.

Die Politik sei aufgerufen, dies in einem Gesetzesvorschlag zu berücksichtigen, damit trotz der Erhöhung der Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens die Unternehmensnachfolge in der Land- und Forstwirtschaft weiterhin zu vernünftigen Bedingungen möglich sei.

Mieterbund: Ab 2009 höhere Erbschaftssteuern für Wohnungen und Häuser

Der Mieterbund wies darauf hin, dass Erben von Wohnungen oder Häusern im Regelfall spätestens ab 2009 höhere Erbschaftsteuern zahlen müssten als bisher. Allerdings dürfe der Gesetzgeber den Erwerb von Grundvermögen aufgrund von Erbschaft oder Schenkung auch künftig begünstigen.

"Bei einer vollständigen Aufhebung der Privilegierung der Immobilienerben könnte die Immobilie im Vergleich zu anderen Wertanlageformen an Bedeutung verlieren. Dann drohten rückläufige Investitionen in den Wohnungsbau und damit geringere Neubaufertigstellungen", fürchtet der Direktor des Mieterbundes, Franz-Georg Rips. "Deshalb muss der Gesetzgeber bei einer Neuregelung des Erbschaftsteuerrechts vor allem eine verfassungskonforme Verschonungsvorschrift für Immobilienvererbungen schaffen."