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Hessischer "Stimmenkauf"-Untersuchungsausschuss beendet

Staatliche Zuschüsse

Der Untersuchungsausschuss zur hessischen "Stimmenkauf-Affäre" um die Freien Wähler (FW) und Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ist nach sieben Monaten mit unterschiedlichen Bewertungen von Regierung und Opposition zu Ende gegangen. Während SPD und Grüne am Dienstag in Wiesbaden betonten, der Ausschuss habe die Vorwürfe der FW gegen Koch bestätigt, sahen CDU und FDP den Ministerpräsidenten entlastet. Die FW hielten derweil an ihrer Darstellung fest, Koch habe sie mit der Aussicht auf staatliche Zuschüsse von der Teilnahme an der nächsten Landtagswahl abhalten wollen.

"Koch hat den Freien Wählern Steuergelder angeboten", sagte SPD-Obfrau Nancy Fester. Die Bewertung müsse nun der Wähler am 27. Januar 2008 übernehmen. Der Obmann der Grünen, Tarek Al-Wazir, sagte, der Ausschuss habe "etwas gebracht". Die CDU habe den Sachverhalt vorher immer als falsch dargestellt, im Ausschuss selbst habe Koch aber die Wahrheit eingeräumt.

"Die von den Freien Wählern erhobenen Vorwürfe gegen Roland Koch und die CDU treffen zu", erklärten SPD und Grüne. Um das Antreten der Freien Wähler bei der Landtagswahl 2008 zu verhindern, sei die Regierung Koch bereit gewesen, "Steuergeld in die Hand zu nehmen".

Den Eindruck, den die CDU nach dem Aufkommen der ersten Vorwürfe habe erwecken wollen, nämlich dass eine 'Doppelfinanzierung' für an Kommunal- und Landtagswahlen teilnehmenden Wählergruppen rechtlich unzulässig sei, "ist schlicht und einfach falsch und wurde selbst von Roland Koch nicht aufrechterhalten". Er habe bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss "dies alles eingestanden und sein Vorgehen mit der ihm eigenen Chuzpe zur politischen Normalität erklärt", so Faeser und Al-Wazir, die für ihre Fraktionen einen eigenen, gemeinsamen Bericht vorlegten.

Vorgeschichte - kommunale Wahlkampfkostenerstattung

"Wir haben durch die Ausschussarbeit zu Tage gebracht, dass es seit 1994 Überlegungen gab, allen unabhängigen Wählergruppen aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Parteienfinanzierung aus dem Jahr 1992 eine kommunale Wahlkampfkostenerstattung zu gewähren." Ein Gutachten der Staatskanzlei habe diesen Anspruch bestätigt. "Obwohl die Versuche des damaligen Innenministers Bökel (SPD), dies länderübergreifend zu regeln, keinen Erfolg hatten, legte Hessen einen Regierungsentwurf vor und führte formal korrekt eine Regierungsanhörung durch. Der damalige Oppositionsführer Roland Koch (CDU) sprach sich mit der Übersendung eines Gutachtens an das Innenministerium gegen eine Wahlkampfkostenerstattung aus. Auch der Landkreistag war aufgrund einer falschen überzogenen eigenen Berechnung gegen die Erstattung. Dies waren unter anderem damals die Gründe, das Vorhaben aus der Novelle des hessischen Wahlrechts herauszunehmen", so Faeser und Al-Wazir zur Vorgeschichte.

Nachdem die CDU im Jahr 1999 die Regierung übernommen hatte, habe die Regierung Koch zunächst nichts unternommen. Erst als das Thema verstärkt von den freien Wählern angesprochen worden sei, habe Innenminister Volker Bouffier (CDU) erneut einen Vorstoß zur Schaffung einer bundesweiten Regelung unternommen, der aber gescheitert sei.

In der Folge kam es nach Darstellung von SPD und Grünen zu verschiedenen Gesprächen zwischen CDU und den Freien Wählern, bei denen auch die Wahlkampfkostenerstattung angesprochen worden sei. Eine zwingende Verknüpfung zwischen der Wahlkampfkostenerstattung auf kommunaler Ebene und einem Verzicht des Antretens der Freien Wähler bei der Landtagswahl sei "nicht vorgenommen" worden. "Das angebliche Junktim wurde von der CDU erst präsentiert, als sie im Herbst 2006 in die öffentliche Kritik geriet", so Faeser und Al-Wazir.

2005: Grundzüge eines Eckpunktepapiers

Seit Anfang 2005 habe die CDU bemerkt, dass sie den Freien Wählern mehr hätten bieten müssen als die Aussicht auf eine bundesweite Regelung am "Sankt-Nimmerleinstag". "So wurden im Juli 2005 während eines Gesprächs im Innenministerium die Grundzüge eines Eckpunktepapiers verabredet, mit dem eine kommunale Wahlkampfkostenerstattung für Wählergruppen geschaffen werden sollte. Der Entwurf aus der Fachabteilung enthielt nicht das von der CDU oft erwähnte Junktim", so SPD und Grüne.

Erst im Oktober habe Innenminister Bouffier den scheidenden Landesvorsitzenden der Freien Wähler telefonisch informiert, dass es den Entwurf gebe, eine Übersendung habe aber nicht stattgefunden. "Beim ersten Gespräch mit dem neuen Landesvorsitzenden Thomas Braun versuchte die CDU-Spitze wieder auf Zeit zu spielen, in dem sie den Eindruck erweckte, der Entwurf des Gesetzes liege bei diesem nicht vor, weil die Akten nicht korrekt von seinem Amtsvorgänger übergeben worden seien oder andere Mitglieder des Landesvorstandes der Freien Wähler ihn nicht richtig informiert hätten. Als jedoch die Freien Wähler bei der Kommunalwahl am 26. März 2006 außergewöhnlich gut abschnitten, wurde den Freien Wählern der Gesetzentwurf von Innenminister Bouffier präsentiert."

"Genau dies hat Koch in seiner Aussage vor dem Ausschuss bestätigt"

Die von Ministerpräsident Koch benannte "Bedingung für das Zustandekommen des Gesetzes" sei gewesen, dass die Freien Wähler nicht bei der Landtagswahl 2008 antreten, so Faeser und Al-Wazir. Eine endgültige Verabschiedung im Landtag könne es erst geben, nachdem ein Delegiertentag der Freien Wähler dies beschlossen habe. "Genau dies hat Koch in seiner Aussage vor dem Ausschuss bestätigt", erklärten Faeser und Al-Wazir.

"Der den Freien Wählern danach von Bouffier übersandte Gesetzentwurf enthält handschriftliche Änderungen des Ministers, die gerade dieses Kaufangebot unterstreichen. Es sollten nur solche Wählergruppen in den Genuss der Wahlkampfkostenerstattung kommen, die 'ausschließlich', so die Einfügung Bouffiers, an örtlichen Wahlen teilnehmen. Die Rückdatierung der Erstattungsregelung sollte garantieren, dass schon für die vergangene Wahl Geld geflossen wäre", so Faeser und Al-Wazir, um deutlich zu machen, "dass der Kaufversuch stattgefunden hat".

CDU/FDP: "Bewusste Inszenierung"

CDU und FDP werteten die Vorwürfe als "bewusste Inszenierung" der Freien Wähler. Der "ungeheuerliche Vorwurf" des Stimmenkaufs sei vom Ausschuss entkräftet worden, das Gremium habe "in der Sache nichts Neues gebracht", sagte CDU-Obmann Axel Wintermeyer. "Es wurde etwas skandalisiert, was nicht zu skandalisieren war", sagte sein FDP-Kollege Heinrich Heidel.

Die Ausschussmehrheit hat im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses festgehalten, dass in den Zeugenvernehmungen Widersprüche zu den Aussagen von Ministerpräsident Koch und von Innenminister Bouffier in der Sitzung des Hauptausschusses und Innenausschusses am 15. November 2006 "nicht festzustellen waren". Wesentlich neue oder unterschiedliche Darstellungen der Tatsachen hätten sich durch die Beweisaufnahme nicht ergeben. Unterschiede bestünden ausschließlich in der politischen Bewertung der Tatsachen, meinen CDU und FDP.

Daher hätten SPD und Grüne auch bereits in einer Pressekonferenz am 16. Februar, vier Tage nach der letzten Beweisaufnahme, "den Rückzug antreten müssen und auf weitere Beweisaufnahmen oder gar die Vereidigung oder Gegenüberstellung von Zeugen verzichtet, die einziges Ziel und Zweck dieses Untersuchungsausschusses sein sollten", so Wintermeyer und Heidel. Damit seien Kosten von 70.000 Euro für einen obskuren Untersuchungsausschuss in den Sand gesetzt worden.

Die Landesspitze der Freien Wählergemeinschaft habe spätestens seit Juli 2005 Kenntnis von den Eckpunkten des Gesetzentwurfes gehabt, der auch im April 2006 Gesprächsgegenstand gewesen sei, so CDU und FDP. Die Spitze der Freien Wähler habe aus dem Gespräch am 3. April 2006 "den Auftrag mitgenommen, mit anderen Parteien zu sprechen, um eine breite parlamentarische Mehrheit für eine Regelung der kommunalen Wahlkampfkostenerstattung zu schaffen." Darüber bestehe auch nach dem Minderheitenbericht von SPD und Grünen Übereinstimmung. Die Freien Wähler hätten diese Gespräche - erfolglos – mit SPD und FDP geführt.

Gegenüber der Landesspitze der Freien Wähler sei stets klargestellt worden, dass sich eine staatliche Finanzierung auf der kommunalen Ebene und eine Teilnahme an der Landtagswahl auf der anderen Seite ausschließen, "damit es nicht zu einer Doppelfinanzierung und einer damit verbundenen Ungleichbehandlung von örtlichen Gliederungen der Parteien kommen könne". Diese Frage habe sich allerdings erst gestellt, seit die Freien Wähler einen neuen Landesverband gegründet hätten, um an der Landtagswahl teilnehmen und damit auch "doppelt kassieren" zu können. Hinweise im Minderheitenbericht, dass eine Abhängigkeit zwischen einer kommunalen Wahlkampfkostenerstattung und einer Teilnahme an Landtagswahlen in der Vergangenheit nicht thematisiert wurde, könnten daher nicht verfangen, meinen Wintermeyer und Heidel.

"Pressemitteilungen der Freien Wähler formulierten Drohung"

Als geradezu 'abstrus' bezeichnete Wintermeyer die Behauptung im Minderheitenbericht, es habe seitens der Freien Wähler keine Verknüpfung zwischen der Frage der Wahlkampkostenerstattung und der Drohung, als Konkurrent bei den Landtagswahlen anzutreten, gegeben. "Dem stehen sämtliche Pressemitteilungen der Freien Wähler aus dieser Zeit, die eben diese Drohung ausdrücklich formulieren, entgegen", erklärten die Obmänner von CDU und FDP.

"Roland Koch hat immer klar gemacht, dass in seiner Partei keine Mehrheit für ein Gesetz zu erwarten ist, mit dem die Freien Wähler im Falle eines Antritts bei der Landtagswahl zweimal kassieren würden. Damit würden sie gegenüber den 'normalen Parteien' bevorteilt. Auch nachdem dieses der neuen Landesspitze der Freien Wähler am 3. April 2006 mitgeteilt wurde, erfolgte kein empörter Abbruch der Gespräche", so Wintermeyer.

Erstmals öffentlich wahrgenommen worden sei die Behauptung eines Kaufversuches durch den Landesvorsitzenden Braun auf dem Landesdelegiertentag der Freien Wähler erst am 4. November 2006. In der Folge hätten die Teilnehmer einer Landtagswahlbeteiligung der Freien Wähler mit knapper Mehrheit zugestimmt.

"Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die insbesondere in dem Gespräch am 3. April 2006 erörterten Tatsachen nie streitig waren, kann das Vorgehen der Landesspitze der Freien Wähler nur als bewusste Inszenierung bewertet werden, um die Delegierten zu einer Zustimmung zur Teilnahme an der Landtagswahl zu bewegen", so Wintermeyer und Heidel.