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Koalition will Vorratsdatenspeicherung am Freitag "durchpeitschen"

In nur 30 Minuten

Bereits am Freitag und mit nur 30 Minuten Zeit soll der Bundestag die umstrittene Vorrats-Speicherung sämtlicher Kommunikations-Daten beschließen. Gegenüber ngo-online bestätigte das Parlament am Dienstag eine entsprechende Änderung der Tagesordnung. Die Opposition kritisierte das geplante "Schnellverfahren", in dem die Regierungskoalition die sogenannte Vorratsdatenspeicherung "durchpeitschen" wolle. Der Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung sieht vor, ab dem nächsten Jahr alle Telekommunikationsunternehmen verpflichten, Daten über die Kommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Um Straftaten besser verfolgen zu können, soll gespeichert werden, wer im vergangenen halben Jahr per Handy, Festnetz-Telefon oder E-Mail mit wem in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS sollen auch der jeweilige Standort des Benutzers und die eindeutige Seriennummer des Telefons festgehalten werden. Bis spätestens 2009 soll zudem die Nutzung des Internet nachvollziehbar werden. Juristen halten die Pläne für verfassungswidrig. Kritiker rufen dazu auf, den Bundestags-Abgeordneten des eigenen Wahlkreises zur Nein-Stimme aufzufordern: Die Abstimmung ist namentlich.

In der aktuell noch veröffentlichten Tagesordnung ist unter Tagesordnungspunkt 36 noch die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht zu finden. Die Koalition hat aber nun kurzfristig beschlossen, die entscheidende Abstimmung über die Vorratsdatenspeicherung bereits am Freitag durchzuführen. Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion nannte die Koalition angesichts dieser Planungen "unbeirrbar, unbelehrbar und unschlagbar ignorant gegenüber Grundrechten". "Trotz der seit Monaten anhaltenden deutschlandweiten Proteste, trotz der für die Koalition verheerenden Sachverständigenanhörung, trotz der schon jetzt vorbereiteten Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht und trotz der bereits anhängigen Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof" wollten CDU/CSU und SPD die Vorratsdatenspeicherung im Bundestag "durchpeitschen".

Jan Korte, Mitglied im Innenausschuss für Die Linke, warnte, die Regierung riskiere einen Verfassungsbruch: "Die meisten Experten bezweifeln, dass die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform ist." Er kritisierte das "Schnellverfahren" mit nur 30 Minuten Debatten-Zeit. Der Gesetzentwurf sei eine Unterhöhlung des Berufsgeheimnisses von Ärzten und Rechtsanwälten. Für Journalisten seien das Redaktionsgeheimnis und der Quellenschutz und damit die Pressefreiheit in Gefahr. "Kein Telefonat, keine SMS, keine Einwahl ins Internet wird mehr privat bleiben", so Korte.

Zeitungsverleger hatten gewarnt, Informanten würden künftig abgeschreckt, weil mindestens sechs Monate nachvollziehbar sei, wann sie mit welchem Journalisten Kontakt aufgenommen haben. Die Aufdeckung künftiger Skandale werde dadurch kaum mehr möglich, weil die Tipp-Geber mit ihrer Enttarnung rechnen müssen. Auch Ärzte und Beratungsstellen wie die Aids-Hilfe warnten vor den Plänen.

Juristen halten den Gesetzentwurf für verfassungswidrig. Das geplante Gesetz stelle jeden Bürger unter Generalverdacht und erlaube eine lückenlose Kontrolle des Kommunikationsverhaltens jedes einzelnen Bürgers. Alle Daten sollen gespeichert werden, ohne dass es auch nur einen Anfangsverdacht gibt, um dann später "mal zu schauen". Eine solche Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat sei verfassungswidrig.

Den Gesetzentwurf begründet die Koalition mit der Pflicht, eine EU-Richtlinie umzusetzen. Allerdings halten Juristen die Richtlinie für rechtswidrig; Irland hat bereits Klage dagegen eingereicht. Die Grünen haben daher einen Änderungsantrag im Bundestag eingebracht: Die Vorratsdatenspeicherung solle wenigstens dann automatisch außer Kraft treten, wenn der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie für nichtig erkläre.

Eine andere Gefahr droht dem Gesetz, das am Freitag beschlossen werden soll, auch vom Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe: Bereits 6800 schriftliche Vollmachten sind bei Rechtsanwalt Meinhard Starostik eingegangen, um unmittelbar nach Beschluss des Gesetzes Verfassungsbeschwerde einzureichen. Jeder Nutzer von Telefon, E-Mail und Co. kann sich an dem kostenfreien Verfahren beteiligen.

Damit es gar nicht erst zu einer Verfassungsbeschwerde kommen muss, haben Kritiker noch eine weitere Idee: Sie rufen dazu auf, den Bundestags-Abgeordneten aus dem eigenen Wahlkreis anzurufen und aufzufordern, am Freitag mit Nein zu stimmen. Rausreden ist dann nicht: Die Opposition hat eine namentliche Abstimmung durchgesetzt.