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"Agenda 2010" spaltet weiter die Republik

Arbeitgeber sehen "Meilenstein"

Die "Agenda 2010" spaltet auch an ihrem fünften Jahrestag die Republik. Führende Koalitionspolitiker lobten am 13. März den vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 14. März 2003 eingeleiteten "Reformkurs". Die Arbeitgeber sprachen von einem "Meilenstein für den Wirtschaftsstandort Deutschland". Harsche Kritik am Richtungswandel in der deutschen Sozialpolitik kam dagegen von den Gewerkschaften und der Linken.

SPD-Chef Kurt Beck sagte, die "Agenda 2010" sei der "Auftakt zu einem großen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Erfolg" gewesen. Durch die Arbeitsmarktreformen gebe es heute wieder "beachtliche Wachstumsraten und eine Million zusätzliche Arbeitsplätze" in Deutschland. Allerdings müsse die große Koalition "die eine oder andere soziale Verträglichkeit" wiederherstellen.

Becks Stellvertreter Frank-Walter Steinmeier sprach von einer "alternativlosen" Entscheidung der Regierung Schröder. "Wir mussten diese Politik machen, wissend, dass sie zu Schmerzen und Verlusten führen könnte", sagte der Außenminister, der damals Kanzleramtschef war.

Die hessische SPD-Spitzendidatin Andrea Ypsilanti und viele andere SPD-Politiker hatten in der Vergangenheit hingegen heftige Kritik an der Agenda-Politik geübt. Die SPD hatte bei der vergangenen Landtagswahl kräftig zugelegt und der CDU erdrutschartige Verluste beschwert, während die SPD insgesamt sich seit der Ära Schröder in einem Stimmungstief befindet.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte es angesichts der jüngsten wirtschaftlichen Erfolge unverständlich, dass sich viele Sozialdemokraten von der Agenda abgrenzten und sich so "um die Früchte des eigenen Erfolges" brächten.

Schröder hatte den Kurswechsel der rot-grünen Koalition am 14. März 2003 mit einer aufsehenerregenden Rede vor dem Bundestag eingeleitet. Er kündigte eine Gesundheitsreform an, die kürzere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Unternehmensssteuern wurden reduziert. Schröder galt als "Genosse der Bosse". Unmittelbar nach seiner Zeit als Bundeskanzler erhielt er Mandate in der Wirtschaft.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte, die Reformen hätten maßgeblich dazu beigetragen, dass über eine Million neue Arbeitsplätze entstanden seien. Zu den Gewinnern gehörten vor allem Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte sowie ältere Arbeitnehmer. Die Mindestlohn-Pläne der Bundesregierung stellen diesen Erfolg allerdings in Frage.

Schreiner, Lafontaine, Gysi - Mehr Armut, nicht mehr Arbeit

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner sagte, die "Agenda 2010" habe "mehr Armut, nicht mehr Arbeit" gebracht. Auch DGB-Chef Michael Sommer betonte, fünf Jahre nach Verkündung der Reformen seien deren "teilweise fatalen Auswirkungen" nicht mehr zu verleugnen. Millionen Arbeitnehmer hätten wegen Hartz IV Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Absturz. "Wenn die Befürworter der 'Agenda 2010' behaupten, jetzt würden die arbeitenden Menschen die Früchte der Agenda-Politik ernten, dann ist das weitgehend ein Märchen," kritisierte Sommer.

Linke-Fraktionschef Oskar Lafontaine betonte: "Fünf Jahre Agenda 2010 bedeuten fünf Jahre neoliberaler Holzweg, Zerstörung des sozialen Friedens und des Vertrauens der Bevölkerung in die Politik. Wir haben wegen der Agenda 2010 einen wirtschaftlichen Aufschwung mit fallenden Reallöhnen und Renten. Das gab's noch nie", so Lafontaine. Nach wie vor seien deutlich mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland ohne Beschäftigung, "zählt man die versteckten Arbeitslosen mit". Wenn etwas zunehme, dann sei es prekäre und Niedriglohnbeschäftigung. "Der Aufschwung kommt bereits wieder zum Erliegen und ist den abhängig Beschäftigten ohnehin nie zugute gekommen", so Lafontaine. "Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden mit Armutsrenten leben müssen."

Sein Kollege Gregor Gysi bezeichnete die Agenda als den "größten Einschnitt in der Geschichte des deutschen Sozialstaates." Mit der Agenda 2010 sei "der neoliberale Irrglaube", dass Abbau von Sozialleistungen und Entlastung der Unternehmen zu mehr Arbeitsplätzen führen, von SPD und Grünen unter dem Beifall der CDU/CSU und FDP in die Tat umgesetzt worden. "Das Bündnis mit den Gewerkschaften wurde aufgekündigt, Konzerne und Bestverdienende wurden entlastet, der Staat um seine fiskalische Handlungsfähigkeit gebracht. Die Bürgerinnen und Bürger wurden im Gesundheitsbereich mit hohen Zuzahlungen und der Praxisgebühr belastet, die Axt an die gesetzliche Rente gelegt. Durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Einführung von Hartz IV wurden Hunderttausende in Armut und soziale Ausgrenzung getrieben."

Die drastische Verkürzung des Arbeitslosengeldes und die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien hätten die Beschäftigten erpressbar gemacht und Lohndumping Vorschub geleistet, so Gysi. "Während in Großbritannien diese Entwicklung von den Konservativen mit Frau Thatcher an der Spitze durchgesetzt wurde, waren es in Deutschland die SPD und Grünen unter Führung von Schröder. Das führte nicht nur zu dramatischen Wahlverlusten für die SPD, sondern auch zu faktisch zwei Parteien in der SPD."