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Emanzipation: Sexismus in der linken Szene

Geschlechterordnung in der Gesellschaft

SexismusUnsere gesellschaftlichen Strukturen sind männlich dominiert und die Aufrechterhaltung der hierarchischen Geschlechterordnung trägt stark zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems bei. Die Aufteilung von Öffentlichkeit und Privatheit, Produktion und Reproduktion zeigt, dass Frauen noch immer weniger Gehalt für die gleiche Arbeit bekommen, noch immer die Kindererziehung Teil des privaten Bereichs ist und es wie selbstverständlich primär weiblich konnotierte Aufgaben gibt. Geschlechterrollen werden nicht nur unreflektiert übernommen, sondern auch gesellschaftlich wie wissenschaftlich reproduziert und naturalisiert. Einem Patriarchat wird ein Matriarchat entgegengesetzt, obwohl es niemals ein Matriarchat gab, wenn man den Begriff dem Patriarchat entsprechend mit "Herrschaft der Frau über den Mann" übersetzt. Unsere Gesellschaft ist neben weiteren Herrschaftsstrukturen durchsetzt von strukturellen, hierarchischen sowie physischen Gewaltzuständen.

Staatliche Bemühungen hinterfragen nicht

Das hierarchische und gewalttätige Geschlechterverhältnis drückt sich vor allem im Alltag aus. Frauen fühlen sich bewusst in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt, während Männer sich eher in diesen daraus entstehenden Einschränkungen der gesellschaftlichen Freiheit einrichten können, da sie alltägliche individuelle Bedrohungen, sexistische Sprüche, Angrabschen bis hin zu Vergewaltigungen wesentlich seltener zu spüren bekommen. Die potentielle Möglichkeit, Opfer eines sexuellen Übergriffes zu werden, ist für Männer sehr viel geringer und somit auch die damit verbundenen Ängste.

Debatten über die Frauenquote machen eines klar: Die staatlichen Bemühungen um Gleichstellung, Gender Mainstreaming und die Erfüllung einzelner Forderungen der Frauenbewegung stellen gesellschaftliche Zustände weder grundsätzlich in Frage, noch werden dadurch ökonomische Verhältnisse oder Konstruktionen hinterfragt. Wie immer beweist sich das kapitalistische System auch hier als zu flexibel, um auf Veränderungen einzugehen.

Boys Day und andere Irrealitäten

Ein Beispiel naturalisierter Stereotypen ist die Aussage Kristina Schröders, Ponys und Schmetterlinge seien natürliche Interessen von Mädchen, während Jungen sich eben mehr für Fußball interessieren würden. Doch nun gründen sich auch Männer- und Väterbewegungen, die über eine Unterdrückung durch dominante Frauen ihre eigene Opferrolle darzustellen versuchen. Ein gefundenes Fressen für unsere Familienministerin, um einen "Boys Day" zur Unterstützung der "neuen Bildungsverlierer" zu initiieren, obwohl sich Männer trotz schlechterer Schulnoten noch immer in einflussreicheren Postionen wiederfinden. Wenn Feminismusgegner nun behaupten, eine Gleichberechtigung hätte sich durchgesetzt, da es auch Kapitalistinnen gäbe, ist dies nichts weiter, als eine Unterstützung patriarchalischer Strukturen und zudem in der Quantität völlig realitätsfern.

Stereotypen der linken Szene

Und was hat das jetzt mit politisch linksstehenden Menschen zu tun? Sind sie nicht die Guten, die Aufgeklärten, die Emanzipierten? Offiziell gibt es in der linken Szene keinen Sexismus. Die linke Szene versteht sich als antisexistisch und was nicht sein darf, das ist auch nicht. Punkt. Ende der Diskussion. Tatsache ist aber: Sexismus ist präsent in der linken Szene, denn auch sie steht nicht außerhalb der Gesellschaft. Auch in der linken Szene gibt es den sexistischen Sprachgebrauch, dominantes Sprachverhalten, Aufgabenverteilungen in gemischten Gruppen nach naturalisierten Stereotypen, es gibt Alpha- und Betatypen, wie selbstverständlich übernommen und es gibt Auswahlkriterien nach männlicher Wortgewalt und weiblicher Schönheit - am besten noch gepaart mit Intelligenz, was wie eine Ausnahme erscheinen soll.

Hinzu kommt ein martialisches Auftreten bei Demonstrationen und dessen Propagierung auf Plakaten, Transparenten oder in Aufrufen, in denen Militanz und Stärke glorifiziert werden und mit denen sich identifiziert werden soll, ohne dass dies ausreichend reflektiert wird. Diese Umstände führen dazu, dass sich in dieser Atmosphäre fast nur noch "WHAM" (white heterosexual able-bodied men) wohlfühlen und barrierefrei politisch partizipieren können. Das kann für eine emanzipatorische Linke nicht tragbar sein.

Don Quichotterien

Ein Grund dafür, dass sich wenig mit diesen Zuständen beschäftigt wird, liegt wohl noch immer in der starken Trennung und unterschiedlicher Bewertung von politischen und privaten Angelegenheiten. Dabei gehört die Erkenntnis, dass das private politisch ist seit mehr als dreißig Jahren zum offiziellen Kanon der emanzipatorischen Linken. Heute scheint es jedoch so zu sein, dass eine sich allein auf Antikapitalismus und Antineoliberalismus - eine auf Ökonomie beschränkte Linke den Ton angibt.

Der Antisexismus ist zu einem bloßen Schlagwort reduziert worden. Offenes sexistisches Verhalten ist zwar verpönt, eine theoretische Diskussion über die Verwobenheit des Sexismus in Herrschaftsverhältnissen findet nicht statt. Ein wesentlicher Teil der hierarchischen Strukturen bleibt so unberücksichtigt und es ist somit möglich, dass die moderne Linke Szene zu einer Don Quichotterie wird, mit all jenen unberücksichtigten Dualitäten.

Vorwürfe

Die Erkenntnis, dass auch Männer den patriarchalischen Verhältnissen entstammen und daher von eben diesen geprägt sind, führt leicht zu dem Fehlschluss, man könne das eigene Verhalten nicht ändern und somit auch zu einer Verweigerung radikaler Selbstkritik. Das "irgendetwas nicht stimmt" wird vielen Männern erst dann bewusst, wenn sie in ihrem Rollenverhalten einen Fehler begingen und ihnen dann gönnerhaft von einem anderen Mann Hilfe angeboten wird. Von den Frauen wird jedoch gefordert, dass sie einfach mal "den Mund aufmachen" müssten, wenn ihnen etwas nicht passt. Sie werden nicht gehindert, sondern erleben eine ständige gönnerhafte Unterstützung, solange Männer dabei nicht ausgeschlossen werden. So löst die Forderung nach Frauenräumen oftmals den Vorwurf der Spaltung und Sektiererei hervor und Frauenräume müssen ihre Legitimation beweisen. Diese Frauenräume stehen u#unter dem permanenten Druck, sich beweisen zu müssen und perfekt zu sein, was patriarchalische Strukturen nur festigt.

Selbstbestimmung wird zur Diffamierung

Warum finden sich kaum Männer in nicht-separatistischen feministischen Gruppen wieder? Die Aufgebrachtheit einiger Linker mag an der Tatsache liegen, dass Männern, vor allem weißen, deutschen und heterosexuellen Männern ansonsten ein "Kein Zutritt-Schild" auch historisch unbekannt ist. Es hat etwas Unerhörtes. Dabei wird hier ein Freiraum, eine Selbstorganisation und -bestimmung als Diffamierung betrachtet. Diese Betrachtungsweise ist alles andere, als linke Kultur. Es scheint, als würde die Reflexion der Geschlechterverhältnisse outgesourct und als Aufgabe von Frauen betrachtet. Die Wahl zu haben, sich mit Sexismus zu beschäftigen oder nicht, ist ein rein männliches Privileg. Männer finden Antisexismus-Diskussionen dann zwar richtig und gut, legen aber ihre Prioritäten lieber auf andere politische Spektren, wie zum Beispiel auf einen Anti-Neoliberalismus, den es ohne Patriarchat nicht geben könnte. Es fehlt noch immer ein Bewusstsein über die eigenen männlichen Privilegien, eine darauf folgende Auseinandersetzung, und vor allem fehlen ernsthafte Überlegungen zu einem Umgang mit Geschlechterverhältnissen, ihrer Sichtbarmachung und ihrem Abbau. Auch Männer, die sexistische Mechanismen benennen und versuchen, dagegen vorzugehen, haben oftmals mit negativen Konsequenzen zu rechnen. "Bestenfalls" werden sie als Opfer feministischer Propaganda# dargestellt, wobei dieser "Opfervorwurf" nur einem Denken in patriarchalischen Strukturen entspringen kann.

Marx wird nicht helfen

Eine herrschaftsfreie Gesellschaft lässt sich auf diese Weise jedenfalls nicht erreichen. Es muss ein Bewusstsein über diese Sexismen und antifeministische Abwehrmechanismen geschaffen und sexistische Strukturen müssen konsequent und praktisch angegriffen werden. Für viele "alte" Linke liegt hier eine Diskrepanz zu Marx vor, denn hier hilft auch der von ihm erdachte Akkumulationsprozess nicht weiter, wenn schon seine Wertformanalyse den Theoretiker zu einem Wert macht, was wiederum nur patriarchalische Strukturen fördern könnte. Könnte - nicht müsste. Ohne eine Reflexion des eigenen männlichen Verhaltens wird Marxismus hier zu einem diffusen Raum voller Illusionen.

Uwe Koch