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SPD und Opposition fordern den Abzug aller US-Atomwaffen

Demonstration der Friedensbewegung

Im rheinland-pfälzischen Büchel lagern bis zu 20 US-Atombomben vom Typ B61, die im Rahmen der "Nuklearen Teilhabe" im Kriegsfall von deutschen Tornados eingesetzt werden können. Ein interner Bericht der US-Luftwaffe vom Februar 2008 kam offenbar zu dem Ergebnis, dass die Lagerung der Atomwaffen im Fliegerhorst Büchel in der Eifel nicht den Sicherheitsanforderungen des US-Verteidigungsministeriums entspricht. Vor diesem Hintergrund werden nun Rufe nach einem Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland laut. SPD und Opposition forderten die Bundesregierung am Montag (23. Juni) auf, mit einem solchen Schritt ein Abrüstungssignal zu setzen. Auch die rheinland-pfälzische Landesregierung sprach sich für eine Abschaffung verbliebener Nuklearwaffen aus. Die Friedensbewegung ruft zu einer Demonstration am 30. August 2008 in Büchel auf. Die Bundesregierung will hingegen an der NATO-Strategie der atomaren Abschreckung festhalten.

Bezüglich möglicher Sicherheitsrisiken bei der Lagerung der Atomwaffen in Deutschland sagten Sprecher von Bundesregierung und Verteidigungsministerium, die Sicherheit genieße höchste Priorität und diesem werde "vieles untergeordnet". Deutsche Vertreter in der NATO würden sich regelmäßig über die sichere Lagerung "informieren".

Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden (CDU), sagte, die Waffen müssten zwar "selbstverständlich" nach den höchsten Sicherheitsstandards gelagert werden. "Wir können aber nicht auf sie verzichten, solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt. Sie schützen auch uns."

Nach Angaben des rheinland-pfälzischen Innenministeriums verfügt die Landesregierung über "keine Informationen" über die Lagerung von Atomwaffen. Das Land hält die Lagerung von US-Atomwaffen auf deutschem Boden angesichts der heutigen Bedrohungslage nicht mehr für gerechtfertigt.

US-Bericht: Die "meisten" US-Atomwaffenlager in Europa erfüllen die Sicherheitsanforderungen nicht

Offenbar erfüllen die "meisten" US-Atomwaffenlager in Europa nicht die Sicherheitsanforderungen des US-Verteidigungsministeriums. Das ist das zentrale Ergebnis des Berichts der US-Luftwaffe, den der US-amerikanische Friedensforscher Hans Kristensen aufgrund des US-amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes (Freedom of Informationen Act) erhielt. Inoffiziellen Schätzungen zufolge lagern die USA derzeit noch zwischen 200 und 350 thermonukleare Bomben vom Typ B-61 in Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei. Im deutschen Büchel lagern offenbar noch zehn bis zwanzig Atomwaffen.

Die größten Probleme wurden scheinbar im italienischen Ghedi Torre und in Büchel in der Eifel entdeckt. Der Bericht regt laut Kristensen an, die Nuklearwaffenstandorte in Europa "zu konsolidieren". Kristensen wurde angeblich informell mitgeteilt, dass die US-Luftwaffe plane, mindestens einen Standort aufzugeben.

Dem Bericht zufolge sind Reparaturen an Gebäuden, Zäunen, Beleuchtungen und Sicherheitssystemen erforderlich. Erstaunt stellten die US-Inspektoren fest, dass in Büchel Wehrpflichtige, die ihren neunmonatigen Wehrdienst ableisten, eingesetzt werden, um Atomwaffenlager zu schützen. Darüber hinaus seien einige Dienstposten in sicherheitsrelevanten Bereichen nur einfach besetzt, so dass schon Krankschreibungen oder Personalwechsel dazu führen könnten, dass bestimmte Aufgaben nicht mehr erledigt werden können. Häufig sei die Ursache, dass die Geschwader neben ihrer nuklearen Aufgabe auch für die konventionelle Kriegführung eingeplant seien.

Niebel: Ein deutliches Abrüstungssignal

Der Bericht setzt nun in Deutschland die Forderung nach einem Abzug der US-Atomwaffen auf die politische Tagesordnung. "Die Atomwaffen in Deutschland sind ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg und müssen weg", meint FDP-Chef Guido Westerwelle, dessen Partei im Rahmen der sozial-liberalen Koalition Anfang der 1980er Jahre gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung US-Atomraketen nach Deutschland holte. Das FDP-Präsidium der jetzigen Oppositionspartei forderte die Bundesregierung in einem Beschluss auf, den Abzug in den zuständigen NATO-Gremien auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben.

Generalsekretär Dirk Niebel sagte, der Abzug der Nuklearwaffen wäre ein "deutliches Abrüstungssignal" gerade auch gegenüber den Ländern, die sich atomar aufrüsten wollten.

Trittin: Auf die nukleare Teilhabe Deutschlands verzichten

Auch der Bundesvorstand der Grünen, die inzwischen zahlreiche Rüstungsvorhaben und alle Kriegseinsätze der Bundeswehr befürworten, forderte einen Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland. Parteichef Reinhard Bütikofer sagte nach einer Sitzung der Parteigremien, das wäre für eine globale Initiative zur Abrüstung "ein eigenständiger Beitrag" Deutschlands.

Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin forderte, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse auf die so genannte nukleare Teilhabe Deutschlands verzichten. Diese sieht eine aktive Beteiligung der Bundeswehr an einem von der NATO geführten Atomkrieg vor.

Gysi: Wenn die Bundesregierung ein Kreuz hätte ...

Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, sagte: "Wenn die Bundesregierung ein Kreuz hätte, würde sie unverzüglich von den USA den Abzug der Atomwaffen - möglichst unter deren Verschrottung - verlangen." Damit wären Deutschland und Europa sicherer.

Mützenich: Null-Lösung bei den taktischen Nuklearwaffen

Die SPD sprach sich ebenfalls für den Abzug von Atomwaffen aus. "Wir sind für Abrüstung", sagte Generalsekretär Hubertus Heil und warnte zugleich davor, diese Debatte allein auf Deutschland zu beschränken.

Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich betonte, für die SPD-Bundestagsfraktion gehe es nicht nur darum, Atomwaffen sicher zu lagern, sondern sie abzurüsten. "Dies gilt perspektivisch für alle Atomwaffen, erst Recht jedoch für die taktischen Nuklearwaffen, die sicherheitspolitisch und strategisch seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes keinerlei Bedeutung mehr haben. Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich eine Null-Lösung bei den taktischen Nuklearwaffen." Darüber hinaus halte die SPD-Fraktion unverändert am "Fernziel" einer atomwaffenfreien Welt fest.

Erfreulicherweise sei auch in den USA ein Umdenken zu beobachten, so Mützenich. Nicht nur Henry Kissinger, George W. Schultz und Sam Nunn engagierten sich seit längerem dafür, das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt wieder auf die sicherheitspolitische Tagesordnung zu setzen. Auch der Vorschlag des neuen russischen Präsidenten Medwedews für eine Aufwertung der OSZE und die Ankündigungen der beiden Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama, die Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder als Teil amerikanischer Außenpolitik zu betrachten, gibt nach Auffassung von Mützenich Anlass zur Hoffnung.

Friedensbewegung: Deutschland ist sicherer ohne Atomwaffen

Atomwaffengegner planen derzeit gemeinsam mit Nina Hagen und Barbara Rütting eine Großdemonstration am Fliegerhorst Büchel. 48 Friedensgruppen, darunter die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW, rufen für den 30. August zu einem Protestmarsch unter dem Motto "unsere Zukunft - Atomwaffenfrei" auf.

Die Abschaffung der Atomwaffen in Deutschland wäre nach Auffassung von Kampagnen-Sprecherin und IPPNW-Abrüstungsexpertin Xanthe Hall "ein deutscher Beitrag zur Fortführung der weltweiten Abrüstungsbemühungen". Ihrer Ansicht nach ist die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland in doppelter Hinsicht gefährdet: Einerseits durch den Mangel an Sicherheit vor Ort und andererseits durch die Existenz der Atomwaffen, "die natürlich auch als Ziel gelten. Deswegen müssen sie schnellstens weg und damit geben wir ein wichtiges Signal an die Welt – Deutschland ist sicherer ohne Atomwaffen", so Hall.

Nach Auffassung des Koordinators der "atomwaffenfrei"-Kampagne Roland Blach müssen die Bemühungen weltweit intensiviert werden, wenn die Gefahr eines Atomkrieges gebannt werden solle. Die "vollständige nukleare Abrüstung" müsse höchste Priorität auf der internationalen Agenda haben. "Es ist absolut verrückt und fahrlässig, mit der Hochrüstung durch Atomwaffen dauerhaft die Zukunft der Menschheit aufs Spiel zu setzen und notwendige Ressourcen zur Bekämpfung der Armut und des Klimawandels abzuziehen", meint Blach.