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Bundestag debattierte über direkte Demokratie

Volksentscheide

Die Oppositionsfraktionen im Bundestag dringen auf die Einführung plebiszitärer direkt-demokratischer Elemente auch auf Bundesebene. Über entsprechende Gesetzentwürfe von FDP, Linksfraktion und Grünen debattierte das Parlament am vergangenen Donnerstag in erster Lesung in Berlin. Ziel der drei Vorlagen ist es, auch auf Bundesebene Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu ermöglichen. Für die dazu notwendige Grundgesetzänderung wäre in Bundestag und Bundesrat jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. In der Aussprache warb auch die SPD-Fraktion für mehr plebiszitäre Elemente. Ablehnend äußerte sich dagegen die Unions-Fraktion.

Wellenreuther: "Bei Plebisziten besteht die Gefahr des Missbrauchs"

Der CDU-Abgeordnete Ingo Wellenreuther erinnerte daran, dass das bestehende System der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie seit mehr als 50 Jahren für politische Stabilität in der Bundesrepublik sorge. Dagegen bestehe bei Plebisziten die Gefahr des Missbrauchs und der politischen Destabilisierung. So hätten in der Weimarer Republik Volksabstimmungen "das Land politisch aufgewühlt und gespalten und letztlich mit zu deren Scheitern beigetragen". Der Grünen Abgeordnete Wolfgang Wieland bezeichnete diese geschichtliche Darstellung in einem Zwischenruf als "falsch".

Nach Auffassung von Wellenreuther könnten im parlamentarischen Verfahren unterschiedliche Interessenslagen ausgewogen bewertet werden, während es bei Plebisziten nur um Zustimmung oder Ablehnung gehe. Ein Grund gegen Plebiszite seien "die immer komplexer werdenden Fragestellungen unserer pluralistischen Gesellschaft". Um diesen gerecht zu werden, sei "ein ausgewogenes, auf Kompromissbereitschaft basierendes Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren erforderlich", so Wellenreuther. Im Gegensatz zu Plebisziten könnten im parlamentarischen Verfahren verschiedene Interessen, insbesondere auch die von Minderheiten, berücksichtigt und gewichtet werden. Bei Volksentscheidungen sei dieses ausgewogene Verfahren nicht möglich, man könne nur mit Ja oder Nein stimmen.

Wellenreuther sieht auch eine "Gefahr der weiteren Abwertung des Parlaments". Das hänge unter anderem mit der gestiegenen Neigung zusammen, politische Debatten in Talkshows anstatt im Plenum des Bundestages auszutragen. Kämen noch Plebiszite hinzu, dann wären "die großen Stunden des Parlamentes" Vergangenheit, fürchtet Wellenreuther.

Der Abgeordnete sieht zudem bei Plebisziten eine Gefahr, die heute insbesondere dem Parlamenarismus vorgeworfen wird: So würden laut Wellenreuther bei Plebisziten "Sachfragen nicht nach sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden werden". Es sei zu befürchten, "dass sich das Volk und der Einzelne von Stimmungen und subjektiver Betroffenheit leiten lassen, vor allem deswegen, weil organisierte und öffentlichkeitswirksame Lobbyarbeit noch mehr Einfluss erhalten könnte als heute schon. Populismus, Stimmungsmache, schlagwortartige Parolen können die Entscheidung über Sachfragen zum unsachlichen Abstimmungskampf degradieren".

Nach Auffassung des Unionsabgeordneten zeichnen die Befürworter der direkten Demokratie oft "ein unrealistisches Bild nach dem Motto: In der Mitte des Volkes entsteht ein Gesetzentwurf, es folgt eine breite gesellschaftliche sachliche Diskussion, jeder stimmberechtigte Bürger beteiligt sich, wägt alle Argumente intensiv ab und entscheidet auf dieser Grundlage nach objektiven Kriterien, wobei er das Allgemeinwohl und die Minderheiten ganz fest im Blick hat. Ich glaube", so Wellenreuther, "mit der politischen Wirklichkeit von direktdemokratischen Entscheidungen hat dieses Bild nur sehr wenig zu tun".

Bisky: "Es funktioniert"

Der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, verwies darauf, dass in Brandenburg gemeinsam mit der FDP und "dem damaligen Bündnis 90" die "direkte, dreistufige Volksgesetzgebung" durchgesetzt worden sei. Fazit laut Bisky: "Es funktioniert". Auch damals hätte es "Reden von der CDU" gegeben, in denen die Gefahren "beschworen" worden seien. Diese seien aber nicht eingetreten. "Sie können Ihre Kollegen in der CDU fragen", so Bisky. "Natürlich ist das die Landesebene und wir sprechen hier über die Bundesebene. Alle Gefahren und auch manche Wunder, die sich einige erhofft hatten, sind aber eben nicht eingetreten, sondern es ist zu einem vernünftigen Umgang der Bürgerinnen und Bürger und, wie ich denke, auch der Politiker mit diesem Instrument gekommen."

Man wolle den Bürgern auf Bundesebene mehr direkte Einflussmöglichkeiten verschaffen. Das richte sich aber in keiner Weise gegen die parlamentarische Demokratie, so Bisky. "Ich sehe das als eine untrennbare Einheit und ich möchte mich nicht weiter auf die Gegensatzdiskussion einlassen."

Bisky betonte, dass die Linksfraktion im Gegensatz zur FDP und den Grünen "nicht nur Gesetzesvorlagen zum Gegenstand der dreistufigen Volksgesetzgebung machen" will, "sondern auch politische Entscheidungen". Es gehe zum Beispiel um Fragen der Privatisierung. "Die Bürgerinnen und Bürger müssen nach unserer Auffassung die Möglichkeit haben, bei wichtigen politischen Fragen mitzureden. Ich wünsche mir, dass sie in die Lage versetzt werden, deutlicher zu erklären, was sie bei bestimmten Themen politisch wollen." Dies schwäche "natürlich" nicht die parlamentarische Demokratie, "denn die Antworten, die dort auf bestimmte Fragen gegeben werden, werden dann ja im Parlament umgesetzt".

Reichel: Laut Grundgesetz wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen "und Abstimmungen" ausgeübt

Der SPD-Abgeordnete Maik Reichel verwies auf Artikel 20 des Grundgesetzes, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dort sei zudem festgehalten, dass die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen "und Abstimmungen" ausgeübt werde. Auf Bundesebene sei diese direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger noch nicht eingeführt, "auf kommunaler und Landesebene aber schon".

"Wir beklagen gerade in dieser Zeit zu Recht die allmähliche Politikverdrossenheit unserer Bürger", so Reichel. Demokratie sei "nun einmal auf eine aktive, verantwortungsbewusste und vor allem interessierte Mitarbeit von Bürgerinnen und Bürgern angewiesen. Das Verantwortungsbewusstsein sollte sich nicht nur auf einen Urnengang alle vier Jahre beschränken."

Ein europaweiter Vergleich zeige, dass in den meisten Ländern Volksentscheide mit Volksinitiativen und Volksbegehren eingeleitet würden. Das bekannteste System habe die Schweiz. Volksabstimmungen gebe es unter anderem auch in Österreich und Italien. "Dabei finden wir die unterschiedlichsten Regelungen hinsichtlich der Mindestbeteiligung, der Quoren", so Reichel. "Diese dienen dazu - das halte ich für besonders wichtig -, dem Missbrauch von Volksabstimmungen vorzubeugen."

In den deutschen Bundesländern stelle "diese Form der direkten Demokratie einen wesentlichen Bestandteil demokratischen Umgangs mit den Bürgerinnen und Bürgern dar". Diese Form werde unterschiedlich stark genutzt: "Bis zum Jahr 2002 gab es allein in Bayern 40 solcher Abstimmungen, in Brandenburg 21, in Mecklenburg-Vorpommern 15, in Hessen 14, in Nordrhein-Westfalen zehn und in Baden-Württemberg nur vier."

Vor dem Hintergrund eines Bürgerentscheids in seiner Heimatstadt Lützen, in der Reichel Bürgermeister ist, sieht der Bundestagsabgeordnete aber auch einige Punkte kritisch. "Überblicken denn alle Beteiligten das Thema und die Folgen? Wird der Bürger also richtig und sachlich informiert?", fragt Reichel. Dennoch sprächen solche Argumente für ihn nicht gegen die Einführung eines Volksentscheids. "Ich persönlich habe in meiner Stadt erlebt, dass ein solches Verfahren das Interesse an der Mitgestaltung des Gemeinwohls steigen lässt. Die Menschen gehen bewusster mit manchen Entscheidungen um und versuchen, sich einzubringen." Man müsse "bereit sein, die Bürgerinnen und Bürger teilhaben zu lassen".

Reichel zu den Unterschieden in den drei Gesetzentwürfen

Reichel sprach auch die Unterschiede in den Gesetzentwürfen von Gründen, FDP und Linksfraktion an. Die Zahl der Mindestbeteiligung liege bei den Grünen und der FDP bei 400.000 und bei der Linksfraktion bei 100.000 Wahlberechtigten. Die vorgeschlagenen "Beschlussfristen des Bundestages" bei einer Volksinitiative reichten von sechs bis acht Monaten. Auch die vorgeschlagenen Prozentklauseln einer erfolgreichen Beteiligung bei einem Volksbegehren lägen mit knapp 1,7 Prozent - "das ist der Vorschlag der Linksfraktion" - und 10 Prozent "deutlich auseinander".

Auch bei den so genannten Quoren, also der Mindestbeteilung bei den Abstimmungen, gebe es Unterschiede zwischen den drei Gesetzentwürfen: "Bei der Linksfraktion reicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ohne Mindestbeteiligung. Bei der FDP und den Grünen müssen es mindestens 15 Prozent sein." Das sei "die Bandbreite, über die wir noch diskutieren müssen".

Der Gesetzentwurf der Linksfraktion enthalte noch einen "Zusatzpunkt" bezogen auf die reguläre Bundestagswahl. So sehe der Entwurf vor, dass drei Wochen nach Festlegung des Wahltermins zum Deutschen Bundestag jede Fraktion des Bundestages das Recht habe, "eine Sachfrage zur Abstimmung am Wahltermin vorzuschlagen". Der gewählte Bundestag sei dann für seine Wahlperiode an die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger in diesen Fragen gebunden.

Was das praktisch bedeuten könnte, erläuterte der Abgeordnete Volker Schneider mit einem Zwischenruf: "Da hätte man Sie jetzt auf die Mehrwertsteuer festgenagelt". Dazu Reichel: "Ich habe damit keine Probleme. Das gebe ich doch zu." Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sei vereinbart worden, die "Einführung von Elementen der direkten Demokratie" zu prüfen. Damit liegen nach Auffassung von Reichel "die besten Voraussetzungen vor, einen gemeinsamen Weg zu gehen". Die Koalition werde sich auch in dieser Frage ihrer Verantwortung stellen.

Wieland: "Weimar ist nicht an der direkten Demokratie gescheitert"

Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland wandte sich zunächst - "ohne jede Häme" - an den FDP-Abgeordneten Burgbacher: "Über Spätbekehrte freut man sich immer am meisten. Wir freuen uns darüber, dass die FDP nunmehr fest an der Seite der Befürworter der direkten Demokratie und der Volksgesetzgebung steht."

Dem Unionsabgeordneten Wellenreuther warf Wieland vor, kein hinreichendes Vertrauen "in den Souverän, in das Volk" zu haben: "Sie haben so gut wie gar kein Vertrauen. Das Volk kann das nicht, es versteht das nicht, es ist Opfer von Demagogen und von Populisten. Politik ist viel zu komplex geworden, als dass wir sie in Form der Frage Ja oder Nein zur Abstimmung stellen könnten."

Dieses Bild decke sich aber nicht mit der Erfahrung, die in den Ländern gemacht worden sei. "Dennoch stellen Sie sich als - ich darf das sagen - noch recht junger Mensch hierhin und beschwören wieder einmal die Geister von Weimar. Weimar ist nicht an der direkten Demokratie gescheitert. Weimar ist leider an ganz anderem gescheitert", so Wieland. "Die Volksbegehren, die es dort geben sollte, kamen wegen zu hoher Quoren nicht zustande; auch das muss man im Gedächtnis behalten. Es sollte um Fragen wie Fürstenenteignungen und Militärausgaben - Stichwort Panzerkreuzerbau - gehen; doch das ist an den Zustimmungsquoren gescheitert."

"Ich ziehe daraus einen ganz anderen Schluss", so Wieland. "Funktionierbar gemachte direkte Demokratie gibt dem Volk die Möglichkeit, zu gestalten, und zwar nicht anstelle oder als Ersatz des Bundestages, sondern ergänzend. Sie gibt dem Volk das Bewusstsein, etwas in diesem Land bewirken zu können."

Der CDU warf Wieland eine uneinheitliche Politik vor: "Sie haben hier in Berlin gegen die Einführung des Bürgerentscheides auf kommunaler Ebene erbittert gestritten. Kaum war er gegen Ihren Willen da, waren die CDUler die Ersten, die Bürgerbegehren gestartet haben."

Winkelmeier: "80 Prozent der Menschen befürworten die bundesweiten Volksabstimmung"

Der fraktionslose Abgeordnete Gert Winkelmeier verwies darauf, dass in Meinungsumfragen über 80 Prozent der Menschen in Deutschland die Einführung der bundesweiten Volksabstimmung befürworten würden. "Mit dieser Einführung verwirklichen wir auch ein Stück des real verwirklichten Freiheitsbegriffes."

Winkelmeier äußerte Zweifel am Willen der SPD: "Wenn die Kolleginnen und Kollegen der SPD es wirklich ernst meinten, dann wäre jetzt die richtige Zeit, Einfluss auf ihren Regierungspartner zu nehmen, damit die CDU/CSU die Volksgesetzgebung nicht länger blockiert." Es werde "allerhöchste Zeit, dass der Bundestag zu der Einsicht findet, dass Volksabstimmungen ein wichtiges Instrument sind, weil Menschen ganz direkt Verantwortung für Politik in unserem Land übernehmen wollen", so Winkelmeier.

Nach Auffassung des Abgeordneten dürften "die Hürden nicht so hoch sein". Das Erfordernis von 100.000 Unterschriften für Volksinitiativen und von 1 Million Unterschriften unter ein Volksbegehren müsse "auch ein Signal sein, dass es möglich ist, eine Volksinitiative beziehungsweise ein Volksbegehren durchzuführen".

Burgbacher: "In aller Regel gute Erfahrungen gemacht"

Für die FDP sagte ihr Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer Ernst Burgbacher, es gehe nicht darum, die Gesetzgebung zu ersetzen, sondern darum, sie zu ergänzen und den Bürgern mehr Möglichkeiten zur direkten Beteiligung am politischen Geschehen zu geben. Burgbacher verwies darauf, dass es mittlerweile in den Verfassungen aller Bundesländer Elemente der direkten Mitentscheidung der Bevölkerung gebe. Damit habe man "in aller Regel gute Erfahrungen gemacht".

Alle drei Oppositionsfraktionen hätten sich sich für das dreistufige Verfahren entschieden: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid. "Dabei sehen wir ganz unterschiedliche Quoren vor, auf die ich nicht im Einzelnen eingehen will", so Burgbacher. Es stelle sich die Frage, wie hoch man die Hürden setze. "Die Hürden sollten schon so hoch sein, dass es nicht jeden Tag eine Initiative gibt. Aber sie dürfen nicht so hoch sein, dass sie nicht übersprungen werden können."

Eine weitere Frage sei, "ob wir Volksentscheide zu bestimmten Themen ausschließen oder ob wir Volksentscheide zu allen Themen zulassen. Wir waren beim Ausschluss von Themen sehr restriktiv." Wenn es um Ausgaben gehe, dann sollte auch ein Deckungsvorschlag gemacht werden. Ansonsten seien Abgabengesetze und Haushaltsgesetze ausgenommen.

Die FDP habe in ihrem Gesetzentwurf vorgesehen, dass drei Monate vor einer Bundestageswahl kein Volksentscheid eingeleitet werden darf. "Wir wollen nicht, dass direkte Demokratie dazu missbraucht wird, den Wahlkampf in eine bestimmte Richtung zu lenken", so Burgbacher.