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Responsibility to Protect

Mit dem ICISS-Report "The Responsibility to Protect" (r2p, RtoP, deutsch: "Die Verantwortung zu beschützen") von 2001 wurde auf Anregung vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ein Prozess initiiert, die umfassende politische, wirtschaftliche und militärische Einmischung durch westliche Industriestaaten in andere Länder völkerrechtlich zu legitimieren. Innerstaatliche Konflikte, tatsächliche oder auch nur behauptete Menschenrechtsverletzungen und Naturkatastrophen sollen als Vorwand dienen, um in souveränen Staaten

  1. die "westliche" Vorstellung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und wirtschaftspolitischen "Reformen" durchzusetzen,
  2. als humanitäre Interventionen deklarierte NATO-Kriege und Besatzungen zu legitimieren und
  3. dann auch noch durch den so genannten "Wiederaufbau" den Konzernen der NATO-Staaten hoch-profitable Staatsaufträge zukommen zu lassen.

Auch wenn die NATO weltweit längst entsprechend agiert (u.a. NATO-Krieg gegen Jugoslawien), konnte sich diese Konzeption der Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker bzw. der Staaten im Völkerrecht bislang keineswegs (vollständig) durchsetzen. Vor allem Russland, China und zahlreiche blockfreie Staaten haben massive Vorbehalte gegen eine entsprechende Änderung des Völkerrechts, insbesondere bezüglich "militärischer Interventionen".

Für die USA und andere westliche Industriestaaten hingegen dient der ICISS-Report als Grundlage für die beabsichtigte so genannte Weiterentwicklung des Völkerrechts. Um eine solche Kriegs-Legitimation geht es, wenn beispielsweise auch deutsche Regierungsmitglieder und andere deutsche Spitzenpolitiker von der "Weiterentwicklung des Völkerrechts" sprechen.

Eine solche Änderung des Völkerrechts erscheint den an einer regelmäßigen Kriegführung interessierten Kreisen geboten, weil die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates in Widerspruch zum etablierten Verständnis des völkerrechtlichen Grundsatzes der staatlichen Souveränität steht.

Neudefinition des Souveränitätsbegriffes

"Responsibility to Protect" ist der Versuch einer Neudefinition des Souveränitätsbegriffes. Dieser wird mit der Verpflichtung zum Schutz der eigenen Bevölkerung aufgeladen. Ein Eingreifen von außen wäre so kein grundsätzlich verbotener Eingriff in staatliche Souveräntit mehr, sondern eine erlaubte Maßnahme zur Wiederherstellung der vollen Souveränität eines fremden Staates.

"Recht zur humanitären Intervention"

"Responsibility to Protect" ist der Versuch, ein bisher im Völkerrecht nicht existierendes "Recht zur humanitären Intervention" zu etablieren: Ein Recht, ja sogar eine Verpflichtung, das völkerrechtliche Kernprinzip der staatlichen Souveränität unter bestimmten Bedingungen auszusetzen, um die Grenzen von Staaten übertreten und militärisch auf ihrem Territorium und auch gegen ihre Regierung intervenieren zu können.

Zentrales Argument des ICISS-Ansatzes ist die schon im Titel formulierte und immer wieder im Mittelpunkt aller Überlegungen des Berichtes stehende "Verantwortung zu beschützen". Diese Verantwortung resultiere, so ICISS, direkt aus der Existenz der staatlichen Souveränität, und sie liege folglich auch in erster Linie bei dem Staat, in dessen souveränen Staatsgebiet die jeweilige Bevölkerung lebt.

Für den Fall aber, dass die Bevölkerung eines Landes einem großen Leid ausgesetzt ist, sei es als Resultat eines internen Krieges, eines Aufstandes, Unterdrückung oder des "Versagen des Staates" in seiner ebenfalls postulierten Versorgungsfunktion, und dieser Staat gleichzeitig unwillig oder nicht in der Lage ist, dieses Leid zu beenden, sei die "internationale Staatengemeinschaft" gefragt.

Drei Verantwortlichkeiten

Der ICISS-Report versucht drei "Verantwortlichkeiten" (responsibilities) völkerrechtlich zu etablieren:

1. Die Verantwortung zu Verhüten ("Responsibility to Prevent"). Zunächst liege es in der Verantwortung der souveränen Staaten, die Ursachen für länderinterne Konflikte und für andere von Menschen ausgelösten Krisen sowie für die Auswirkungen von Katastrophen (Naturkatastrophe) zu bekämpfen. Ist ein Staat dazu allein nicht in der Lage, dann soll er laut ICISS-Report in eine Unterstützung von außen einwilligen.

Als Mittel der Gewaltprävention werden die üblichen Vorstellungen der westlichen Industriestaaten formuliert, u. a.

  • Demokratie
  • Pressefreiheit
  • Rechtsstaatlichkeit
  • ökonomische "Strukturreformen"

Zur akuten Kriegsverhütung werden u.a. folgende Maßnahmen vorgeschlagen:

  • Fact Finding Missions
  • Sanktionen
  • diplomatische Isolation
  • Rückzug von Investitionen
  • Errichtung von Kriegsverbrechertribunalen
  • militärische Maßnahmen

2. Die Verantwortung zu reagieren ("Responsibility to React"). Militärische Interventionen werden im ICISS-Report zwar als letztes Mittel ("last resort") bezeichnet, da sie dem Selbstbestimmungsrecht der Staaten zuwiderlaufen und Kriege immer auch ein Unheil für die Bevölkerung darstellen.

Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die völkerrechtliche Legitimierung von Angriffskriegen durch Menschenrechtsverletzungen das zentrale Anliegen des ICISS-Reports ist.

Eine militäische Intervention sei dann gerechtfertigt,

  1. wenn es sich um die akute Bedrohung des Lebens einer großen Anzahl von Menschen handelt und der Staat nicht willens oder in der Lage ist, einzugreifen, oder
  2. wenn in großem Umfang ethnische Säuberungen stattfinden.

Der erste Rechtfertigungsgrund umfasst laut ICISS auch das Kollabieren eines Staates mit der Befürchtung eines massenhaften Verhungerns oder Bürgerkrieges sowie große Natur- oder Umweltkatastrophen.

Das Konzept dient somit auch dazu, die wahren Ursachen und Motive der NATO-Kriege zu verschleiern. Siehe hierzu auch:

3. Die Verantwortung zum Wiederaufbau ("Responsibility to Rebuild"). Der Verantwortung zum Handeln folgt in der ICISS-Logik die Verantwortung zum Wiederaufbau. Dies beinhaltet u. a. das Zur-Verfügung-Stellen von aller möglichen "Hilfe" beim Wiederaufbau von zerstörter Infrastruktur.

Mit anderen Worten: Nachdem die Infrastruktur eines Landes - Verkehrswege, Kraftwerke, Wasserversorgung etc. - kaputt-gebombt wurde (wovon die Rüstungsindustrie profitiert), soll die "Internationale Staatengemeinschaft" weitere Steuergelder bereitstellen, um den Großkonzernen der NATO-Staaten großzügig Aufträge zum "Wiederaufbau" zu erteilen. Krieg als profitables Geschäft.

ICISS - "International Commission on Intervention and State Sovereignty"

ICISS steht für "International Commission on Intervention and State Sovereignty" (Internationale Kommission zu Intervention und staatlicher Souveränität).

Grundlage für die Bildung dieser Kommission und den Bericht "The Responsibility to Protect" war ein Appell von UN-Generalsekretär Kofi Annan bei der UN-Vollversammlung 1999 und erneut 2000 - im Gefolge des Kosovo-Konfliktes und des nachfolgenden NATO-Krieges gegen Jugoslawien - an die "internationale Gemeinschaft":

"... wenn humanitäre Intervention tatsächlich einen inakzeptablen Anschlag auf das Souveränitätsprinzip darstellt, wie sollen wir dann auf ein Ruanda, auf ein Srebrenica reagieren - auf schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen, die jegliches Prinzip unserer gemeinsamen Menschlichkeit tangieren?"

Die kanadische Regierung nahm daraufhin, unterstützt von mehreren großen Stiftungen, diesen Annan-Appell zum Anlaß, die Bildung einer internationalen Kommission anzukündigen, die sich des Problems annehmen sollte. Die Schaffung der "International Commission on Intervention and State Souvereignty (ICISS)" erolgte also abseits der Vereinten Nationen (UNO) durch die kanadische Regierung.

Zum Co-Vorsitzenden wurde, neben einem algerischen Top-Diplomaten, der Australier Gareth Evans ernannt, ehemals Außenminister und Mit-Initiator der "Canberra Commssion". Zu den Mitgliedern der Kommission zählten u.a. ein früheres US-Geheimdienstausschuss-Mitglied (Lee Hamilton) und ein ehemaliger NATO-Spitzengeneral (Klaus Naumann), aber auch Dritte-Welt-Größen einschließlich eines früheren ANC-Funktionärs.

Der deutsche Klaus Naumann war bis 1999 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Er war ein führender Stratege bei der Umsetzung der neuen NATO-Doktrin und der darauf gründenden Militärintervention gegen Jugoslawien 1999. Zuvor war er Generalinspekteur, also höchster Offizier der deutschen Bundeswehr.

Das Ergebnis ihrer Arbeit veröffentlichte die Kommission kurz nach dem 11. September 2001 unter dem Titel "The Responsibility to Protect".

Am Anfang stand der NATO-Krieg gegen Jugoslawien

Mit dem Konzept der "Responsibility to Protect" begann eine neue Ära in der Außenpolitik. Diese neue Ära begann faktisch bereits, bevor 2001 der Begriff "Responsibility to Protect" mit dem gleichnamigen Bericht der ICISS (International Commission on Intervention and State Sovereignty) erstmals breit innerhalb und außerhalb der UNO propagiert wurde. Zunächst wurden Fakten geschaffen, und zwar mit dem Angriffskrieg von 1999, mit dem die NATO Jugoslawien unter Bruch der UN-Charta in Grund und Boden bombardierte und als Staat letztlich von der Landkarte tilgte.

Erst nach dem Krieg gegen Jugoslawien wurde mit dem Begriff "Responsibility to Protect" der Versuch unternommen, die völkerrechtlichen Hindernisse für einen derartigen, mit Menschenrechten begründeten Militärinterventionismus aus dem Weg zu räumen.

Der historische Wendepunkt hatte seinen Ausgangspunkt somit nicht in der UNO, sondern in der NATO: in ihrer nach dem Ende des Kalten Krieges veränderten, wesentlich aggressiver formulierten und nicht mehr völkerrechtskonformen neuen Strategie, die sie zu ihrem 50-jährigen Jubiläum 1999 offiziell einführte - wobei sie mit dem Krieg gegen Jugoslawien zugleich ein leicht vorauseilendes praktisches Exempel dafür statuierte.

Die Rezeption des Konzepts im Rahmen der Vereinten Nationen

Da das Konzept "Responsibility to Protect" von UN-Generalsekretär Kofi Annan angeregt wurde, verwundert es nicht, dass der ICISS-Report von den Vereinten Nationen aufgegriffen wurde.

Zunächst fand der Begriff Eingang in den 2004 erschienenen Bericht "A more secure world: Our shared responsibility" einer von Kofi Annan eingesetzten hochrangigen Gruppe. Diese Gruppe vertrat den Standpunkt, dass der Sicherheitsrat im Fall von Völkermord, sonstigen Massentötungen, ethnischen Säuberungen und schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht militärische Interventionen genehmigen dürfe.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen nahm dieses Konzept in ihre Resolution über das Ergebnis des Weltgipfels der Vereinten Nationen 2005 (A/RES/60/1) vom 24. Oktober 2005 auf. Demnach sind im äußersten Fall militärische Interventionen der "internationalen Gemeinschaft" im Fall von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich.

Zugleich unterstrich die Generalversammlung der Vereinten Nationen aber die Notwendigkeit, das Konzept "Responsibility to Protect" weiter zu prüfen.

Völkerrechtliche und politische Einordnung

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon geht ebenso wie sein Sonderberater Edward Luck, Professor für Internationale Beziehungen der Columbia Universität New York, davon aus, dass der Resolution der Generalversammlung (noch) keine völkerrechtliche Bindungswirkung zukommt. Es fehlt die erforderliche politische Untersützung.

UN-Sonderberater Luck hält auf der Basis der Resolution der Generalversammlung das Konzept "Responsibility to Protect" ferner auf Naturkatastrophen nicht für anwendbar.

Politische Widerstände bestehen insbesondere hinsichtlich der Zulässigkeit der militärischen Durchsetzung des Schutzes. Vor allem Russland, China und zahlreiche blockfreie Staaten haben diesbezüglich Vorbehalte.

Literatur / Quellen

  • Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Responsibility to Protect (Schutzverantwortung), W - aktueller Begriff Nr. 28/08, 29. Mai 2008
  • Krämer, Christoph, Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW)
  • www.rootcauses.de