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Altbundespräsident Herzog warnt vor "absoluten Verboten"

Gentechnik-Debatte

Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat sich in die Debatte um die Gentechnik eingeschaltet. In einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "Die Welt" tendiert Herzog dazu, die Forschung an Embryonen nicht absolut zu verbieten und rät zu sorgsamer Abwägung. Allerdings kritisierte er Bundeskanzler Gerhard Schröder, der "Arbeitsmarkt- und Ernährungsfragen allzu global in sein Kalkül einbezieht".

Das Grundgesetz schütze das Leben. Allerdings könne dieses Recht per Gesetz zum "Schutz hoch wichtiger Güter und nur bei deren flagranter Bedrohung" eingeschränkt werden, meint Herzog. Es gäbe in unserer Rechtsordnung zahlreiche Fälle, in denen in das Leben des "fertigen" Menschen eingegriffen werden würde. Beispielsweise bei gefährlichen Einsätzen der Polizei, beim "Befreiungsschuß" bei Geiselnahmen, im Verteidigungsfall und Notwehrsituationen. Zudem koste der Straßenverkehr zahllose Menschenleben.

Herzog bietet eine mathematische Formel für die Entscheidungsfindung an: "Man bewerte die Chancen einer umstrittenen Maßnahme und multipliziere sie mit der Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung. Sodann bewerte man die Risiken der Maßnahme und multipliziere sie ebenfalls mit der Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung, also des Schadenseintritts. Wenn das erste Produkt höher ist als das zweite, muss die Maßnahme erlaubt sein."

Herzog bietet eine solche mathematische Berechnung allerdings weder für die Gentechnik im allgemeinen noch für die Präimplantationsdiagnostik im besonderen auch nur ansatzweise an.

Seine Bewertung schlägt sich in folgendem Satz nieder: "Ich bin nicht bereit, einem mukoviszidosekranken Kind, das, den Tod vor Augen, nach Luft ringt, die ethischen Gründe zu erklären, die die Wissenschaft daran hindern, seine Rettung möglich zu machen."

Der derzeit amtierende Bundespräsident Johannes Rau hatte sich in seiner "Berliner Rede" sehr ausführlich mit der konkreten Abwägung zwischen Chancen und Risiken der modernen "Lebenswissenschaften" auseinandergesetzt und dabei zahlreiche Gesichtspunkte und Randaspekte erörtert.

Eine der Schwierigkeiten der Debatte liege darin, dass die wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen so schnell voranschritten. Wir kämen kaum noch dazu, ihre Chancen und ihre Risiken kritisch zu reflektieren. Nachdenken könne man nur, wenn zwischen Entdeckung und Anwendung Zeit bleibe. Es habe ja gute Gründe, dass zum Beispiel Medikamente erst nach angemessener Zeit und nach sorgfältiger Prüfung für die allgemeine Praxis zugelassen werden würden.

Medizinischer Fortschritt brächte oft nicht nur zusätzliche Wahlmöglichkeiten und Freiheiten, sondern auch neue Zwänge und Fehlentwicklungen. Rau verweist darauf, dass es in den Niederlanden bereits bei der Erprobungsphase der aktiven Sterbehilfe noch vor der gesetzlichen Regelung jährlich 1.000 Fälle gegeben haben soll, in denen, lebensbeendende Handlungen ohne ausdrücklichen Wunsch des Getöteten vorgenommen worden seien.

Rau thematisierte auch die Frage der Forschungsschwerpunkte. "Kümmern wir uns um die Luxusprobleme von wenigen?", fragt er und verweist auf AIDS, Malaria, Hepatitis und Parasitenbefall, die in anderen Teilen der Welt Hunderte von Millionen Menschen bedrohten. Hier reichten manchmal wenige Mittel, um ganz vielen leidenden Menschen wirkungsvoll zu helfen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unendlich viel Gutes erreichen können, ohne dass Forschung und Wissenschaft sich auf ethisch bedenkliche Felder begeben müssen", so Rau.

Rau zieht ein eindeutiges Fazit: "Wenn wir begründete Zweifel haben, ob wir etwas technisch Mögliches tun dürfen oder nicht, dann muss es so lange verboten sein, bis alle begründeten Zweifel ausgeräumt sind."