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Autismus bei Kindern: Gesund geboren, trotzdem schwerbehindert

Ein Leben mit Autismus

Ilse Gretenkord klärt zum frühkindlichen Autismus aufWelche Eltern freuen sich nicht, wenn Ihnen nach der Geburt ihres Kindes gesagt wird: Ihr Kind ist völlig gesund. Doch dann folgt die tragische Diganose: FrühkindlicherAutismus. Die ersten zwei Lebensjahre scheinen normal zu verlaufen. Das kleine Mädchen entwickelt sich körperlich prächtig, bei den Vorsorgeuntersuchungen wird nichts Auffälliges festgestellt. Allerdings warten die Eltern vergeblich auf die ersten Worte, auf Blickkontakt und wundern sich, dass es sich sehr lange allein mit einem einzigen Spielzeug beschäftigt. Auch ist es merkwürdig, dass die Kleine auf nichts zeigt, sich nichts zeigen lässt und ihr Spielzeug atypisch nutzt. Sie verweigert jegliches Interesse, wenn z. B. ein Elternteil das Bechertürmchen „richtig“, also pyramidenartig von groß bis klein vor ihr aufbauen möchte. Schauen sie eine Weile später wieder hin, so hat das Kind von allein die schwierigere Variante gewählt und es umgekehrt gestapelt. Überhaupt geschieht alles Lernen autodidaktisch. Es spielt allein, scheint Anwesende im Zimmer gar nicht zu brauchen oder wahrzunehmen.

Die Essgewohnheiten geben den Eltern ebenfalls im zweiten Lebensjahr irgendwann Rätsel auf. Obwohl ihr Töchterchen alle Zähne problemlos bekommt, weigert sie sich, zu kauen. Selbst bei einem kleinen Keksstückchen scheint es, als könne sie das nicht bewältigen und droht fast zu ersticken. Nur breiig-flüssige Nahrung einer Sorte nimmt sie zu sich. Doch mangels Vergleichsmöglichkeiten mit anderen gleichaltrigen Kindern fassen die Eltern die Verhaltensweisen ihres Kindes als Eigenarten auf.

Bis zu jenem Tag, als ihnen ein Schlüsselerlebnis schlagartig die Augen öffnet …

Der Vater bringt das kleine Mädchen mit dem Auto zum Treffpunkt, wo die Mutter sie übernehmen soll. Das Kind wird vom Vater aus dem Auto gehoben, während die Mutter es schon mit offenen Armen erwartet. Was passiert? Anstatt, dass das Mädchen freudig auf die Mutter zuläuft, dreht es sich um und läuft los in die Felder.

Die Eltern sehen sich wortlos an. Ihr Hund wäre jetzt freudig am Frauchen hochgesprungen. Das eigene Kind scheint die Mutter gar nicht wahrzunehmen und schaut sich nicht einmal um, ob die Eltern ihm folgen. Der Mutter, die über Kenntnisse aus der Psychologie verfügt, geht nur ein Begriff durch den Kopf: Frühkindlicher Autismus.

Ab diesem Tag geht es Schlag auf Schlag: Kinderarzt, Kinderpsychologe, sozialpädiatrisches Zentrum, Frühförderung, 100% Schwerbehinderungsanerkennung nach der Diagnose „Verdacht auf frühkindlichen Autismus“, Pflegestufe, Förderung durch Autismusambulanz, später folgt der heilpädagogische Kindergarten.

Inzwischen ist das Mädchen, das als gesund geglaubtes Baby zur Welt kam, vier Jahre alt. Die Kleine spricht nicht, versteht den Sinn von Sprache nicht, sodass sie Erklärungen, Anweisungen, verbale Lerninhalte nicht aufnehmen kann. Ihr Alltag und der ihrer Eltern sind geprägt von strengen Ritualen, die sie vorgibt und die sie braucht, um sich sicher zu fühlen und mit ihrer Umwelt zurecht zu kommen. Werden Rituale durchbrochen, schreit sie laut, schlägt um sich und ist nicht zu bändigen. Ansonsten ist sie ein extrem fröhliches, glückliches Kind, das den ganzen Tag Liedmelodien trällert, durch ihren Charme bezaubert und schallend lacht, wenn Erwachsene mit ihr herumalbern. Ihren Eltern gegenüber hat sie inzwischen eine feste Bindung aufgebaut.

Der Umgang mit Kindern allerdings gestaltet sich schwierig, da diese auf die notwendigen Rituale keine Rücksicht nehmen und mit plötzlichen Schreiattacken sowie Wutausbrüchen, verbunden mit extremen Kraftaktionen, nicht umgehen können.

Wie wird die Zukunft für dieses Mädchen aussehen?

Sonderschule, wohnen und arbeiten in einer Behinderteneinrichtung. Dieses gesund geborene Baby, dieses gesund geglaubte Kind wird immer ein Pflegefall bleiben, nie ein selbst bestimmtes, eigenständiges Leben führen können.

Es wird in seiner eigenen Welt gefangen bleiben. Denn mangelnde Sozialkompetenz und große Defizite in vielen Bereichen der Kommunikation verhindern eine angemessene Öffnung und Anpassung an das normale gesellschaftliche Leben. Zusätzlich engen starke Bedürfnisse nach Sicherheit durch strenge Klarheit in Strukturen täglicher Abläufe autistische Menschen so ein, dass sie ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht frei entfalten können.

Ihre Welt, ihre Wahrnehmung von Welt ist eine andere als die der so genannten „normalen“ Menschen. Deshalb werden sie sich nie voll in die Welt integrieren lassen, die nach den vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen Regeln erstellt. (ig)

Mehr Männer betroffen

Eine kleine Gruppe von Genen am X-Chromosom reguliert den "Bedrohungsmelder" des Gehirns und könnte so die hohe Verbreitung von Autismus bei Männern erklären. Wissenschaftlern des Institute of Child Health ist es laut New Scientist gelungen, die Anzahl der möglichen Gene auf drei bis vier einzuschränken. Menschen, denen diese Gen-Gruppe fehle, hätten Schwierigkeiten damit, Angst im Gesichtsausdruck anderer Menschen zu erkennen. Genau diese Probleme gehören zu den häufig auftretenden Merkmalen von Autismus. Das Angstzentrum des Gehirns, der so genannte Mandelkernkomplex, ist ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.

Die Ergebnisse weisen auf einen möglichen genetischen Mechanismus für die ungleiche Verteilung von Autismus auf die beiden Geschlechter hin. Autismus ist bei Jungen zehn Mal häufiger als bei Mädchen. Frauen verfügen über zwei X-Chromosome, Männer über ein X- und ein Y-Chromosom. Bei den meisten Frauen ist ein X-Chromosom nicht aktiv. Das Team um David Skuse untersuchte Patientinnen, die krankheitsbedingt nur über ein X-Chromosom verfügten. Diese Frauen sind für Probleme mit Genen im Zusammenhang mit dem X-Chromosom genauso anfällig wie Männer und erkranken auch deutlich häufiger an Autismus.

Autismus-Patienten und Frauen mit Ullrich-Turner-Syndrom verfügten über gemeinsame Charakteristiken, so die Forscher. Sie vermeiden Augenkontakt und haben Schwierigkeiten, Furcht im Gesichtsausdruck zu erkennen. Laut Skuse können diese Merkmale auch im Gehirn nachgewiesen werden. Beide Gruppen zeigten Anomalien in der Funktion des Mandelkernkomplexes und seiner kortikalen Verbindungen. Die auf dem derzeit stattfindenden British Association Festival of Science präsentierten Forschungsergebnisse wurden im Fachmagazin Brain veröffentlicht.

Am 04. Jul. 2013