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Genitalverstümmelung auch in Deutschland großes Problem

Tabuthema

Die Genitalverstümmelung von Frauen ist immer noch ein Tabuthema. Eine am Donnerstag in Berlin von Unicef, der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes und dem Berufsverband der Frauenärzte vorgestellte Studie belegt, wie sehr die hierzulande strafrechtlich als schwere Körperverletzung geltende Praxis ignoriert wird. Die Geschäftsführerin von Terres des Femmes, Christa Stolle, schätzte, dass in Deutschland rund 29.000 Mädchen und Frauen von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht seien. Die Organisationen forderten unter anderem bessere Informations- und Bildungsangebote für Ärzte und Hebammen. Fast 90 Prozent der insgesamt 493 Ärzte, die den Fragebogen beantworteten, zeigten sich an Fortbildung interessiert.

Nach UNICEF-Angaben werden jedes Jahr zwei Millionen Mädchen zumeist aus afrikanischen Ländern an ihren Geschlechtsorganen verstümmelt - aus so genannter kultureller Tradition, wie es zumeist heißt. Weltweit leiden schätzungsweise 130 Millionen Frauen und Mädchen an den Folgen des Eingriffs, der im Kindesalter vorgenommen wird. Doch auch in Deutschland leben vermutlich Zehntausende Migrantinnen mit gleichem Schicksal oder sind davon bedroht.

Von den rund 13.000 im Berufsverband der Frauenärzte zusammengeschlossenen Gynäkologen beteiligten sich lediglich knapp 500 an der Umfrage, die damit kaum repräsentativ sein dürfte. Sie besagt, dass 43 Prozent der teilnehmenden Frauenärzte bereits eine beschnittene Frau in ihrer Praxis behandelt haben. 30,4 Prozent der Ärzte betreuten eine beschnittene Frau bei einer Geburt. Und: "Fast neun von zehn Befragten (87,4 Prozent) halten es für richtig, dass die Beschneidung als Fortbildungsthema für medizinisches Personal angeboten werden sollte", sagt UNICEF-Sprecherin Helga Kuhn. Auch UNICEF-Schirmherrin Eva Luise Köhler plädiert für mehr Aufklärung in Deutschland.

UNICEF forderte, es müssten eindeutige Richtlinien für die Behandlung und Beratung von beschnittenen Frauen und Mädchen erarbeitet werden. Zielgruppe sollten Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Pflegefachkräfte sein. Als Vorbild könne die Schweiz dienen. Auf Initiative von UNICEF gebe es dort seit März 2005 offizielle Empfehlungen für Ärzte, Hebammen und Pflegekräfte zum Umgang mit beschnittenen Patientinnen.

UNICEF vertritt die Ansicht, das Thema Beschneidung gehöre in die Ausbildung von Ärzten, Psychologen und Sozialarbeitern. Diese Fachkräfte könnten eine wichtige Rolle übernehmen, wenn es darum gehe, Eltern davon zu überzeugen, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen. Vor allem betroffene Frauen sowie Mädchen, die in Gefahr seien, beschnitten zu werden, und ihre Eltern bräuchten dringend mehr Beratung und Information. Dazu gehöre Aufklärung über die Rechtslage, die medizinischen Konsequenzen der Beschneidung und die Behandlung von Folgeerkrankungen. In den Praxen von Frauen- und Kinderärzten und in Gesundheitsämtern solle es Informationsmaterial und spezielle Beratungsangebote geben, erklärte UNICEF.

Für die Geschäftsführerin von Terres des Femmes, Christa Stolle, ist eindeutig, dass dieses Problem "eines von vielen" sei, die im Zusammenhang mit der Integration von Einwanderern in Deutschland "bislang nicht genügend zur Sprache" gebracht worden seien. Terres des Femmes forderte eine "klare gesetzliche Regelung" und ein "Verbot jeglicher Form von Genitalverstümmelung" in Deutschland. Außerdem "den Einsatz aller Möglichkeiten," um die hier lebenden Mädchen zu schützen. Weiterhin solle die Flucht vor Genitalverstümmelung als Asylgrund anerkannt werden. Terres des Femmes forderte auch die Aufnahme der Strafbarkeit von Genitalverstümmelung in den §5 StGB, "wodurch eine im Ausland begangene genitale Verstümmelung in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden" könne.

Auch die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck (Grüne), forderte ein konsequenteres Vorgehen gegen Genitalverstümmelungen. Dieser Eingriff sei "eine strafbare, krasse Menschenrechtsverletzung, die mit allen Mitteln und in jedem Fall verhindert und bekämpft werden" müsse, sagte Beck der Nachrichtenagentur ddp.

Berichte darüber, dass in einigen Einzelfällen in Deutschland lebende Mädchen zur Beschneidung in das Herkunftsland der Eltern gebracht würden, bezeichnete sie als "sehr besorgniserregend". Wenn dies rechtzeitig bekannt werde, müssten die Jugendämter einschreiten und etwa das elterliche Aufenthaltsbestimmungs- oder Sorgerecht gerichtlich einschränken.

Die Verstümmelung der Genitalien wird trotz jahrelanger internationaler Aufklärungskampagnen immer noch vor allem in afrikanischen Ländern praktiziert. Dabei werden - je nach Art des Eingriffs - die äußeren Schamlippen und die Klitoris abgeschnitten, und die Vagina mitunter zu einer erbsengroßen Öffnung zusammengenäht.

Die gesundheitlichen Folgen der schmerzhaften und oft unter katastrophalen hygienischen Umständen vollzogenen Prozedur sind gravierend: Häufige Infekte, ständig wiederkehrende Zysten und Abszesse sind an der Tagesordnung. Das sexuelle Empfinden ist später oft gestört, hinzu kommen - wie Mediziner betonen - die Scham vor Untersuchungen und Angst vor verletzender Neugier.

In Deutschland gilt die Genitalverstümmelung zwar als schwere oder gefährliche Körperverletzung, einen eigenen Straftatbestand wie in Großbritannien, Spanien oder Italien gibt es hierzulande allerdings nicht.