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Die rot-rote Koalition in Berlin kann fortgesetzt werden

Heftige Kritik von links

Die rot-rote Koalition in Berlin kann fortgesetzt werden. Zum Abschluss ihrer Verhandlungen haben sich SPD und Linkspartei.PDS am Montag auf die Ressortverteilung geeinigt. Danach erhalten die Sozialdemokraten, die mit Klaus Wowereit wieder den Regierenden Bürgermeister stellen, weiter fünf Senatorenposten. Die Linkspartei besetzt trotz ihrer hohen Verluste bei der Wahl im September erneut drei Spitzenämter in der künftigen Landesregierung, muss aber Wissenschaft und Kultur abgeben. Mehrere Links-Politiker um die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht halten das Verhandlungsergebnis für so schlecht, dass sie eine Fortsetzung der Koalition "auf dieser Grundlage" ablehnen. Auch der Bundesvorstand der WASG hat sich offenbar kritisch zu dem Verhandlungsergebnis geäußert.

Die SPD stehe weiter in der Verantwortung für Inneres, das den Sport dazu bekommt, sowie für Finanzen, Justiz, Stadtentwicklung und Bildung, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Er selbst übernehme die Kultur, während die Wissenschaft dem Bildungsbereich zugeschlagen werde. Hintergrund der Aufgabentrennung ist, dass laut Verfassung neben dem Regierenden Bürgermeister maximal acht Senatorenposten vergeben werden dürfen.

Die Ansiedlung der Kultur in der Senatskanzlei sei keine Degradierung, sondern sie erhalte damit hohes Gewicht, so Wowereit. Die Entscheidung werde "kein Nachteil für die Berliner Kulturlandschaft" sein.

Die Linkspartei behält ihre bisherigen Ressorts Wirtschaft/Frauen und Arbeit/Soziales/Migration, allerdings in anderem Zuschnitt. Neu ist der Bereich Gesundheit/Umwelt/Verbraucherschutz, den die Lichtenberger Stadträtin Katrin Lompscher übernehmen soll. Mit ihr will die Parteispitze Forderungen nach einem stärkeren Ost-Profil erfüllen, die nach dem Wahldesaster erhoben worden waren. Die Linke hatte beim Urnengang Mitte September 9 Prozentpunkte eingebüßt und war nur noch bei 13,4 Prozent gelandet.

SPD und Linkspartei sprachen von einem vernünftigen Kompromiss. Den Verlust von Wissenschaft und Kultur sehe seine Partei mit "Wehmut", so Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer. Dennoch könne die Partei nach Darstellung von Wirtschaftssenator Harald Wolf, der sein Amt ebenso behalten wird wie Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, mit den drei Ressorts ihren Gestaltungsanspruch und ihre politischen Schwerpunkte deutlich machen.

Im Unterschied zur Linkspartei hält die SPD ihre Personalien noch geheim. Die Vorschläge würden erst nach dem Parteitag am 18. November bekannt gegeben, sagte Wowereit. Als sicher gilt, dass Ehrhart Körting (Inneres), Thilo Sarrazin (Finanzen) und Ingeborg Junge-Reyer (Stadtentwicklung) im Kabinett bleiben. Offen ist die Zukunft von Bildungssenator Klaus Böger. Gemutmaßt wird, dass er ebenso wie Justizsenatorin Karin Schubert ausscheidet. Als Nachfolgerin Schuberts wird die Berliner Richterin Renate Möcke gehandelt.

Der neue Berliner Senat soll am 23. November stehen. Berlin wird seit Anfang 2002 von einer rot-roten Koalition regiert.

Wagenknecht und Kollegen: Neoliberale Kürzungs- und Privatisierungspolitik fortgeschrieben Seitens der parteiinternen Kritiker der Linkspartei meldeten sich zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen Sahra Wagenknecht (Europaparlament und Parteivorstand Linkspartei), Thies Gleiss (Vorstand der WASG), Nele Hirsch und Ulla Jelpke, (beide Bundestagsabgeordnete) und Sabine Lösing (Gründungsmitglied der WASG) zu Wort. Sie meinen, dass sich nach den dramatischen Stimmverlusten der Linkspartei bei den Wahlen am 17. September in Berlin die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPD "nur mit dem klaren Versprechen zu einem grundlegenden Politikwechsel rechtfertigen" ließen.

"Gefordert wurde, dass im neuen Koalitionsvertrag die linke Handschrift deutlich erkennbar sein müsse. Nur dann käme eine Neuauflage der rot-roten Koalition in Berlin ernsthaft in Frage." Gemessen an diesem Anspruch seien die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen ein "Armutszeugnis für die Linke".

Anstatt des versprochenen Politikwechsels sei in den Koalitionsgesprächen "die neoliberale Kürzungs- und Privatisierungspolitik fortgeschrieben" worden. "Teilweise ganz unverblümt, wenn etwa der Abbau weiterer Stellen im Öffentlichen Dienst festgehalten wurde. Bei anderen Fragen versuchte man Formelkompromisse." So werde die Ablehnung der Privatisierung der Berliner Verkehrsbetriebe oder des kommunalen Wohnungsbestandes im Koalitionsvertrag wohl so unverbindlich gefasst, dass eine Privatisierung damit in keinem Fall ausgeschlossen sei. "Die anstehende Privatisierung der Berliner Sparkasse soll gar keine Erwähnung mehr finden und somit offensichtlich in Kauf genommen werden."

Eine linke Handschrift suche man in den vorgestellten Vorhaben für die kommende Legislatur "ebenfalls vergebens". Der von der Linkspartei geforderte Einstieg in den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor gerate mit nur 2.500 Stellen zur "reinen Symbolpolitik". Auch die wenigen und zu gering ausgestatteten Gemeinschaftsschulen eigneten sich "allenfalls als linkes Feigenblatt, aber führen sicherlich nicht zu einer grundlegenden Schulreform in Berlin. Der Erhalt des Sozialtickets und der neu geplante Sozialpass helfen wenig, wenn gleichzeitig weitere Kürzungen bei sozialen Leistungen drohen." Selbst um ein klares Nein zu Studiengebühren habe man sich in den Koalitionsgesprächen "herumgemogelt".

Mit dieser Politik des "Weiter so" lassen sich die Tausende verlorenen Wählerstimmen in Berlin nicht zurück gewinnen. Auch für den bundesweiten Parteibildungsprozess hätte eine Regierungsbeteiligung der Linken auf dieser Grundlage "verheerende Folgen".

Aus gutem Grund habe auch der Bundesvorstand der WASG die Berliner Genossinnen und Genossen in einem Brief zu einer Abkehr von ihrer bisherigen Politik aufgefordert und folgende Fragen gestellt: "Wie kann die Linke glaubwürdig gegen Privatisierungen mobilisieren, wenn die Linkspartei-Abgeordneten in Berlin in den nächsten Monaten die Privatisierung der Berliner Sparkasse beschließen und die weitere Verschleuderung öffentlichen Eigentums droht? Wie kann die Linke glaubwürdig für den Erhalt und den Ausbau des Öffentlichen Dienstes streiten, wenn sie sich in Berlin - nach dramatischem Kahlschlag in den letzten Jahren - am Abbau weiterer Stellen beteiligt? Wie kann die Linke glaubhaft die Proteste gegen Studiengebühren unterstützen, wenn auch in Berlin befürchtet werden muss, dass wieder Studienkontenmodelle aus der Schublade gezogen werden?"

Die bisherige Politik der Linkspartei in Berlin darf keine Fortsetzung finden, meinen Wagenknecht und Kollegen. Sie stehe im Widerspruch zu linken Grundsätzen und habe in den letzten Jahren schon zu viel an Glaubwürdigkeit gekostet. Um nicht noch den letzten Rest Vertrauen zu verspielen, dürfe es auf dieser Grundlage keine Fortsetzung der Koalition geben. "Die Zustimmung zu einem solchen Koalitionsvertrag verbietet sich für eine linke Partei von selbst", schreiben die Politiker.