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Niebel diskutiert mit Ärzteverband über Sicherheit von Atomkraftwerken

"Mehr als 150 Sicherheitsdefizite"

Nach Angaben der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW gibt es in deutschen Atomkraftwerken mehrere Hundert "schwerwiegende Sicherheitsdefizite". Die Organisation widersprach am 3. Juli FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, der am Vortag in einem Pressegespräch gesagt hatte, wenn der frühere Bundesumweltminister, Jürgen Trittin, auch nur ein einziges unsicheres Atomkraftwerk entdeckt hätte, wäre es mit Sicherheit in seiner Amtszeit abgeschaltet worden. Niebel äußerte im Umkehrschluss die Vermutung, dass es gegen die zurzeit in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke "offenbar keine ernsthaften Sicherheitsbedenken" gebe. Diese Schlussfolgerung des Generalsekretärs ist nach Darstellung der IPPNW "schlichtweg falsch". Man wisse das "sehr genau, weil wir seit Jahren sicherheitstechnische Gutachten zum Atomkraftwerk Biblis B auswerten, um die Stilllegung durch eine Klage vor Gericht zu erreichen. Wir können für Biblis B schon jetzt mehr als 150 schwerwiegende Sicherheitslücken zweifelsfrei nachweisen", so ein Sprecher der Organisation. Niebel reagierte postwendend mit der grundsätzlichen Aussage: "Im Betrieb unsichere Kernkraftwerke gehören abgeschaltet".

Laut IPPNW beruhen die behaupteten mehr als 150 Sicherheitsdefizite von Biblis B nicht auf eigenen Einschätzungen, sondern auf offizielle Bewertungen unter anderem der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), der Reaktorsicherheitskommission des Bundes (RSK), des TÜV Süd und des Atomkraftwerksherstellers Siemens.

Dabei habe man noch nicht einmal alle verfügbaren Unterlagen ausgewertet. Hinzu komme, dass die Hessische Atomaufsicht seit Juni der IPPNW den Zugang zu weiteren Sicherheitsgutachten im Umfang von mehreren Tausend Seiten verweigert habe. Man könne aufgrund der Erfahrungen mit den verfügbaren Unterlagen davon ausgehen, dass es in Biblis B mehrere hundert gefährliche Sicherheitslücken gibt.

Seriöse Sicherheitsdebatte oder billige Stimmungsmache?

Ein anderer Kritikpunkt des FDP-Generalsekretärs ist nach Auffassung der IPPNW allerdings zutreffend. Niebel hat den Grünen vorgeworfen, es gehe ihnen längst nicht mehr um eine "seriöse Sicherheitsdebatte", sondern um "billige Stimmungsmache".

Die Ärztorganisation kritisiert, dass auch Umweltminister der Grünen und der SPD die Bevölkerung "nur sehr unzureichend über die Sicherheitsdefizite der deutschen Atomkraftwerke informieren", obwohl diese Informationen in den Ministerien großteils verfügbar seien. Die Bevölkerung habe aber ein Recht darauf, konkret über die sicherheitstechnischen Schwachstellen der deutschen Atomkraftwerke in Kenntnis gesetzt zu werden.

Die IPPNW kritisiert, dass sich die Politiker "nicht wirklich für die Sicherheitsdefizite interessieren. Das mag daran liegen, dass sie die Atomkraftwerke stilllegen müssten, wenn sie die große Zahl von Sicherheitslücken offen eingestehen würden." Denn das Atomgesetz sehe den Widerruf der Betriebsgenehmigungen vor, wenn der Sicherheitsstandard nicht mehr dem "aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik" genüge. "Der Sofortausstieg aus der Atomenergie ist insofern nicht nur eine berechtigte Forderung der Anti-Atom-Bewegung, sondern darüber hinaus auch atomrechtlich zwingend geboten", meint die Organisation.

Die IPPNW bot Niebel und Politikern anderer Parteien Gespräche an, damit sich die Politiker am Beispiel der Sicherheitslücken von Biblis B einen "realen Eindruck" von den Gefahren der Atomenergie verschaffen und eine "seriöse Sicherheitsdebatte" führen könnten.

Niebel: IPPNW soll sich an die Atomaufsicht der Länder wenden

Der FDP-Generalsekretär reagierte noch am 3. Juli mit einem offenen Brief an die IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen. Er habe zur Kenntnis genommen, dass die Ärzteorganisation über Informationen über mehrere Hundert "schwerwiegende Sicherheitsdefizite" in deutschen Kernkraftwerken verfüge.

"Ich bitte Sie, sich mit Hinweisen auf gravierende Sicherheitsmängel im Betrieb deutscher Kernkraftwerke an die zuständigen Behörden in den Ländern zu wenden", so Niebel. "Meine Haltung ist ganz unzweideutig: Im Betrieb unsichere Kernkraftwerke gehören abgeschaltet, sichere sind für die voraussehbare Zukunft ein notwendiger Bestandteil von jenem Energiemix, der allein Klimaschutz und Energiesicherheit ermöglicht."