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Abgeordnete sollen Klage gegen Vorratsdatenspeicherung unterstützen

Bürgerrechter fordern

In der Nacht zum Freitag plant der Bundestag über einen Antrag mit dem Titel "Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom EuGH prüfen lassen" abzustimmen. 118 Abgeordnete von FDP, Grünen sowie der Linken fordern die Bundesregierung in dem Antrag auf, gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aller Kommunikationsdaten vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Bis zur Entscheidung des Gerichts solle die Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt werden, so der Antrag weiter. Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer forderten die Bundestagsabgeordneten auf, die Nacht zum Freitag zur "Nacht der Kommunikationsfreiheit" zu machen. Die Abgeordneten sollten trotz der späten Stunde zahlreich an der Abstimmung teilnehmen und parteiübergreifend für die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof stimmen. Bürger sollten die Abgeordneten ihres Wahlkreises zur Stimmabgabe gegen die Vorratsdatenspeicherung auffordern.

Die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom Februar 2006 sieht vor, dass künftig zur Erleichterung der Strafverfolgung das Telekommunikationsverhalten aller 460 Millionen EU-Bürger bedarfsunabhängig protokolliert und mindestens ein halbes Jahr lang aufbewahrt werden soll. Insbesondere soll aufgezeichnet werden, wer wann mit wem telefoniert und per e-Mail oder SMS korrespondiert hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Bislang dürfen nur die zur Abrechnung erforderlichen Verbindungsdaten gespeichert werden. Dazu gehören Standortdaten und e-Mail-Verbindungsdaten nicht. Durch die Benutzung von Pauschaltarifen kann eine Speicherung zudem bisher gänzlich vermieden werden.

Der nun vorgelegte Bundestags-Antrag rügt, dass die EG über keine Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts und der Strafverfolgung verfüge. Maßnahmen zur Strafverfolgung dürften nur einstimmig von den Mitgliedsstaaten beschlossen werden. Dies sei im Fall der Vorratsdatenspeicherung zunächst auch so geplant gewesen. Nachdem aber deutlich wurde, dass die erforderliche Einstimmigkeit nicht zustande kommen würde, sei die Vorratsdatenspeicherung "aus rein politischen Gründen" als Richtlinie beschlossen worden. Eine Klage gegen die Richtlinie sei erforderlich, um derartiges in Zukunft zu verhindern.

Neben den Unterzeichnern des Gruppenantrags haben auch Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen die Auffassung geäußert, dass die Vorratsspeicherung nicht als Richtlinie beschlossen werden durfte, so Siegfried Kauder (CDU), Günter Krings (CDU) und Peter Danckert (SPD). Die gleiche Auffassung vertrat letztes Jahr auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), unterstützt von einem einstimmigen Bundestagsbeschluss vom 27. Januar 2005.

Der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath von der Universität Bremen kritisierte am Montag, die EU habe zu "Verfahrenstricks" gegriffen, weil kaum ein Mitgliedsstaat mit der Überwachungs-Richtlinie wirklich zufrieden gewesen sei. "Von 25 EU-Mitgliedern haben zwei die Richtlinie glatt abgelehnt, sechzehn - darunter Deutschland - haben erklärt, die vorgesehene Speicherung der Internet-Daten für drei Jahre auf Eis zu legen, und eines hat angekündigt, es werde viel längere Speicherfristen einführen als vorgesehen. Damit", so Bendrath, "bleiben ganze sechs EU-Mitglieder, die voll hinter dem jahrelang umstrittenen Vorhaben stehen."

Die ursprünglichen Gründe für eine EU-Richtlinie - Harmonisierung der Speicherfristen und der Kostenerstattung für die Provider, um Marktverzerrungen zu vermeiden - seien weitgehend ausgeklammert worden. Nur diese aber hätten eine Regelung über die Binnenmarkt-Kompetenzen der EU erlaubt, mit der das Mehrheitsverfahren im Ministerrat und damit die Verabschiedung der Richtlinie erst möglich wurden, so Bendrath. "Weil sich die Regierungen nicht einigen konnten und zu Verfahrenstricks griffen, soll der Bundestag nun seine Souveränität aufgeben und ein gefährliches und illegitim zustande gekommenes Vorhaben einfach abnicken?", fragt der Politikwissenschaftler. Das wäre in seinen Augen "ein bedrohlicher Präzedenzfall".

"Unabhängig von den formalen Fragen ist die in der Richtlinie vorgesehene Totalprotokollierung der Telekommunikation verfassungswidrig", ergänzte der Jurist Patrick Breyer vom bundesweiten Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. In seinem Urteil zur Rasterfahndung habe das Bundesverfassungsgericht letzte Woche ausdrücklich "das außerhalb statistischer Zwecke bestehende strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat" bekräftigt. "Eine allgemeine, verdachtslose Protokollierung der Telekommunikation der Bevölkerung aus dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität der Polizei und zur Erleichterung der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung widerspricht den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates", SO Breyer.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, ein Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, forderte alle Bundestagsabgeordneten auf, die Nacht zum Freitag zur "Nacht der Kommunikationsfreiheit" zu machen. Bürger sollten "ihre" Abgeordneten zur Stimmabgabe gegen die Vorratsdatenspeicherung auffordern. Ein Musterbrief findet sich auf der Website des Arbeitskreises.

Die Abstimmung kann live im Internet verfolgt werden. Für den Fall, dass der Antrag keinen Erfolg hat, haben Bürgerrechtler wie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation angekündigt.

"Zunehmende elektronische Erfassung"

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) ruft für Samstag, den 31. Mai zu einem bundesweiten Aktionstag auf. Unter dem Motto "Freiheit statt Angst" erwarten die Veranstalter in mehr als 30 Städten insgesamt rund 20.000 Teilnehmer, sagte der Sprecher der Ortsgruppe Hamburg am 30. Mai. In der Hansestadt rechne man mit mindestens 500 Teilnehmern. Mit dem Aktionstag soll gegen die Protokollierung der Telekommunikation und andere Überwachungsmaßnahmen demonstriert werden. Die zunehmende elektronische Erfassung und Überwachung der gesamten Bevölkerung bringe keinen verbesserten Schutz vor Kriminalität, koste jedoch Millionen und gefährde die Privatsphäre aller Bürger.

Zur vermeintlichen Gewährleistung totaler Sicherheit würden diese ihre Freiheitsrechte aufgeben. An einem Aktionstag im vergangenen November hatten sich bundesweit rund 15.000 Menschen beteiligt.

Der Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern lehnt die Speicherung von Daten ab und will das im November 2007 beschlossene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung durch eine Verfassungsbeschwerde kippen.

Durch das Gesetz sind Telekommunikationsdienste seit Beginn des Jahres verpflichtet, die Daten ihrer Kunden sechs Monate lang auf Vorrat zu speichern. Festgehalten werden Rufnummer, Beginn und Ende einer Verbindung, Datum und Uhrzeit sowie bei Handy-Telefonaten und SMS auch der Standort des Benutzers.

Am 30. Mai. 2008