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EU-Parlament sieht Mitschuld von EU-Staaten bei rechtswidrigen CIA-Aktivitäten

"USA gibt Folter selbst zu"

In einem Zwischenbericht macht das Europäische Parlament den US-Geheimdienst CIA in einigen Fällen unmittelbar verantwortlich "für die rechtswidrige Festnahme, Abschiebung, Entführung und Inhaftierung von Terrorverdächtigen" in Europa. Der Bericht kritisiert weiterhin die Beteiligung und "Mitschuld gewisser EU-Staaten". Der Zwischenbericht von Giovanni Claudio FAVA (SPE, Italien) war im Untersuchungsausschuss "zur behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen" erarbeitet worden. Der Kampf gegen den Terrorismus, so nun das Parlament, könne nicht gewonnen werden, "indem genau die Prinzipien geopfert werden, die der Terrorismus zu zerstören versucht". Insbesondere der Schutz der Grundrechte dürfe "nie aufs Spiel gesetzt werden". Der zuständige Nichtständige Ausschuss hat von den Abgeordneten grünes Licht bekommen, um seine Arbeit für weitere sechs Monate fortzuführen. Der Bericht wurde mit 389 Ja-Stimmen, gegen 137 Nein-Stimmen bei 55 Enthaltungen angenommen.

Alle Arbeiten des Nichtständigen Ausschusses scheinen laut Europäischem Parlament "darauf hinzudeuten", dass der europäische Luftraum und Flughäfen in Europa von CIA-Scheinfirmen genutzt wurden, um Terrorverdächtige rechtswidrig "in den Gewahrsam" der CIA oder des US-Militärs oder in andere Länder - darunter Ägypten, Jordanien, Syrien und Afghanistan - zu überführen, "die, wie die Regierung der Vereinigten Staaten im Übrigen selbst zugibt, bei Verhören häufig auf Folter zurückgreifen".

Die CIA oder andere US-Geheimdienste seien in einer Reihe von Fällen unmittelbar für die rechtswidrige Festnahme, Abschiebung, Entführung und Inhaftierung von Terrorverdächtigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, der Beitritts- und Bewerberländer sowie die außerordentliche Überstellung unter anderem von europäischen Staatsangehörigen oder in Europa ansässigen Personen verantwortlich.

Unkenntnis europäischer Regierungen "unwahrscheinlich"

Das Parlament hält es für "unwahrscheinlich", dass einige europäische Regierungen nicht Kenntnis von den Aktivitäten im Zusammenhang mit den außerordentlichen Überstellungen hatten, die in ihrem Hoheitsgebiet vor sich gingen. "Vollkommen unwahrscheinlich" sei es, dass hunderte Flüge und eine ähnliche Zahl von Bewegungen auf europäischen Flughäfen stattgefunden haben könnten, "ohne dass die Sicherheits- oder Nachrichtendienste davon Kenntnis hatten".

Diese Annahme werde auch durch die Tatsache gestützt, dass führende Politiker der US-Regierung immer behauptet hätten, vorgegangen zu sein, ohne die nationale Souveränität europäischer Länder verletzt zu haben. So sei es etwa unwahrscheinlich, dass die durch CIA-Agenten erfolgte Entführung des Ägypters Abu Omar in Mailand ohne vorherige Information der italienischen Behörden oder Sicherheitsdienste organisiert und durchgeführt wurde.

Ebenso bedauern die Abgeordneten die Ausweisung der beiden Ägypter Mohammed Al Zery und Ahmed Agiza durch Schweden, die sich ausschließlich auf diplomatische Zusicherungen der ägyptischen Regierung gestützt habe, die aber keinen wirksamen Schutz vor Folter bedeuteten.

Auch müsse die Rolle von US-Soldaten, die der Stabilisierungstruppe (SFOR) unter Führung der NATO angehörten, bei der Entführung und Überstellung von sechs Staatsangehörigen oder Bewohnern algerischer Herkunft aus Bosnien nach Guantánamo Bay geklärt werden. Die mögliche Rolle der bosnischen Regierung in diesem Fall müsse eingehender untersucht werden.

Die Abgeordneten haben im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen EU-Staaten einen Antrag der Fraktion der Europäischen Volkspartei EVP-ED Fraktion angenommen, in denen sie "Kenntnis nehmen von den Beiträgen von Herrn De Vries, EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, und Herrn Solana, Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik". Diese hätten erklärt, dass ihnen seien "keine Verstöße gegen nationales, europäisches oder internationales Recht durch mit der CIA zusammenarbeitende Mitgliedstaaten bekannt" seien. Sie hätten aber hinzugefügt, dass sie nach EU-Recht "nicht befugt seien, einschlägige Informationen von den Mitgliedstaaten zu verlangen".

Verstoß gegen Europäische Menschenrechtskonvention durch Mitgliedstaaten?

Das Parlament "bedauert die Tatsache, dass keine europäische Regierung überprüft habe, ob zivile Flugzeuge nicht zu Zwecken eingesetzt werden, die mit den international anerkannten Menschenrechtsnormen unvereinbar sind". Die Abgeordneten weisen darauf hin, dass die Mitgliedstaaten verhindern müssen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet die Menschenrechte verletzt werden, ebenso wie sie angebliche Verletzungen untersuchen und die Verantwortlichen bestrafen müssen, falls solche Verletzungen stattfanden. Sie könnten deshalb wegen Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihre Verpflichtungen nicht erfüllt haben.

"Unannehmbar" seien des Weiteren die Verfahren einiger Regierungen, die ihre "Verantwortlichkeiten begrenzen", indem sie diplomatische Zusicherungen von Ländern verlangen, bei denen gewichtige Gründe zu der Annahme existieren, dass Folterungen praktiziert werden. Derartige diplomatische Zusicherungen betrachtet der Ausschuss des Europäischen Parlaments als "stillschweigendes Eingeständnis der Existenz von Folterungen in Drittländern".

Der Fall Khaled El-MasriDie Entführung des deutschen Staatsangehörigen Khaled El-Masri durch die CIA, "der von Januar bis Mai 2004 in Afghanistan gefangen gehalten und dabei in erniedrigender und unmenschlicher Weise behandelt wurde", werde verurteilt. Auch sei der Verdacht bisher nicht entkräftet worden, dass Khaled El-Masri zuvor, vom 31. Dezember 2003 bis zum 23. Januar 2004, in Mazedonien rechtswidrig gefangen gehalten und von dort aus am 23./24. Januar 2004 nach Afghanistan verbracht wurde. Die in diesem Zusammenhang von der mazedonischen Regierung unternommenen Maßnahmen seien "unzureichend".

Geheime Haftanstalten

In einem weiteren angenommen "Änderungsantrag" der Fraktion der Europäischen Volkspartei erklären die Abgeordneten, dass die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses bisher keine Beweismittel oder Beweise für die Existenz geheimer Gefängnisse in der EU offenbart habe. Die Abgeordneten "vertreten allerdings die Auffassung, dass sich die Tätigkeit des Nichtständigen Ausschusses in den nächsten Monaten stärker auf dieses Thema konzentrieren wird".

Die Abgeordneten betonen, dass überprüft werden müsse, "ob irgendwelche Beweise für Geheimgefängnisse in einigen europäischen Ländern existieren, wie in mehreren Untersuchungen von Journalisten und maßgeblichen Nichtregierungsorganisationen behauptet".

Zudem müssten die Untersuchungen fortgesetzt werden, um die angebliche Existenz einer geheimen Haftanstalt im Kosovo und die mögliche Beteiligung der Kosovo-Friedenstruppe (KFOR) an der rechtswidrigen Inhaftierung von Terrorverdächtigen zu klären.

"Unmissverständliches Verbot" außerordentlicher Überstellungen im Völkerrecht nötig

Rechtswidrige Festnahmen, Abschiebungen oder Entführungen stünden weder in Einklang mit den anerkannten völkerrechtlichen Normen noch mit den grundlegenden Prinzipien der Menschenrechtsgesetze, heißt es in dem Zwischenbericht. Fälle von Isolationshaft, Entführung oder außerordentlicher Überstellung seien Verletzungen der Grundrechte und seien "mit Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichzusetzen".

Es sei "dringend notwendig, ein unmissverständliches Verbot außerordentlicher Überstellungen im Völkerrecht zu verankern". Darüber hinaus müssten gesetzliche Maßnahmen auf der Ebene der EU und des Europarates "möglichst rasch" eingeleitet werden, um einen angemessenen Rechtsschutz für die Personen sicherzustellen, die der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterstünden, und sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene eine "wirksame parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste" sicherzustellen. Die Einrichtung und Inbetriebnahme der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte sei deshalb "wesentlich".

Der Untersuchungsausschuss werde seine Arbeit für die verbleibende Zeit seiner 12-monatigen Einsetzung fortführen. Sein Schlussbericht soll im Januar oder Februar 2007 fertig gestellt werden.

Die Pressestelle des Europäischen Parlaments weist darauf hin, dass mehrere weitere Änderungsanträge der Fraktion der Europäischen Volkspartei und der Fraktion Union für das Europa der Nationen (UEN) bei der Abstimmung im Plenum nicht angenommen wurden. Die Anträge hätten das Ziel gehabt, "die Anschuldigungen der Beteiligung der CIA und der US-Regierung abzumildern und festzuhalten, dass es nicht genügend Beweise gibt (z.B. Änderungsanträge 20, 32, 33, 38, 42 abgelehnt)". Aus diesem Grund hätten viele Mitglieder der beiden Fraktionen gegen den Bericht gestimmt oder sich der Stimme enthalten.