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Scheer will Biblis und Strommasten durch Windräder und Solarzellen ersetzen

"Verschönerung der Landschaft"

Die SPD hält ein Abschalten der beiden hessischen Biblis-Atomreaktoren für möglich, ohne dass neue Kohle- oder Gaskraftwerke gebaut werden müssen. Um die von Biblis jährlich produzierten 17 Milliarden Kilowattstunden zu ersetzen, könnten landesweit 1700 Anlagen zur erneuerbaren Energiegewinnung errichtet werden, heißt es in einem Konzept, das der SPD-Bundestagsabgeordnete und Träger des Alternativen Nobelpreises, Hermann Scheer, für den hessischen Landeverband der SPD erarbeitet hat. Scheer schlägt vor, Solarzellen und Windkraftanlagen entlang der Autobahnen und ICE-Trassen zu errichten. Dann könnte Hessen 2012 atomstromfrei sein. Im Gegenzug könnten "Tausende Hochspannungsmasten" abgebaut werden, die derzeit unter anderem für das Atomkraftwerk Biblis benötigt würden.

Der Präsident von Eurosolar hat ausgerechnet, dass 1700 Anlagen aus erneuerbaren Energien die Leistung der beiden Biblisblöcke ausgleichen könnten. Bei der Vorstellung des Konzepts am Donnerstag in Wiesbaden betonte Scheer, dass rein rechnerisch damit auf jeweils 15 Quadratkilometern nur eine Anlage aufgestellt werden müsste.

Die Anlagen ließen sich an den belasteten Flächen entlang den Autobahnen und ICE-Linien errichten, schlug er vor. Allerdings müssten dazu "Planungshemmnisse abgebaut und erneuerbare Energien in Hessen zusätzlich gefördert werden". Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien könnten, so Scheer, 40.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Die Gefahr einer Verschandelung der Landschaft durch die Windparks am Straßen- oder Schienenrand sieht Scheer nicht. Im Gegenteil. Es gebe "erhebliche Landschaftsgewinne", meint der Experte für erneuerbare Energien. Denn wenn der Strom künftig dezentral von kleinen Kraftwerken käme, könnte man die Hochspannungsmasten und Leitungen abbauen.

"Selbst bei einer – energiewirtschaftlich unnötigen – isolierten Betrachtung allein der hessischen Stromerzeugung lässt sich trotz des Anteils von 60 Prozent Atomstrom in der hessischen Stromerzeugung eine in Hessen realisierbare Kraftwerksersatzleistung allein durch Erneuerbare Energien darstellen", heißt es in dem Konzept.

Scheer: Die hessische Landesregierung hat systematisch und willkürlich den Ausbau der Windenergie blockiert

Zwingende Voraussetzung hierfür sei eine offensive Inanspruchnahme des im Rahmen landespolitischer Kompetenzen möglichen Instrumentenmixes. Die hessische Landesregierung habe dieses Instrumentarium jedoch "mehr obstruktiv als konstruktiv eingesetzt, indem sie systematisch und willkürlich den Ausbau der Windenergie blockiert". Die Methode, mit der sie versuche, das Bundesbaugesetz zu unterlaufen, habe "verfassungswidrigen Charakter".

Selbst auf dem Gebiet der Bioenergie fielen "ihre praktischen Aktivitäten bisher weit hinter die rhetorisch geweckten Erwartungen zurück".

Die mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien anstehenden Neudisponierungen der Bereitstellung von "Grund-, Mittel- und Spitzenlasten" seien durch die Möglichkeiten des integrierten Netzmanagements sowie durch die Einbeziehung und teilweise Ausweitung "verfügbarer Stromspeicher" zu lösen, heißt es in dem Konzept unter Verweis auf die Pumpspeicherwerke Waldeck I und II mit zusammen 580 Megawatt Leistung. Darüber hinaus stehe auch "die Speichertechnik der Druckluft" ausbaufähig zur Verfügung, um die Wind- und Solarenergie grundlastfähig zu machen.

Scheer: Die Atomkraftwerks-Betreiber sind schuld an Preissteigerungen im Strombereich

Die Mobilisierung der Erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sei "zugleich der wichtigste Schritt zur Entmonopolisierung der Stromproduktion und damit zur marktwirtschaftlichen Außerkraftsetzung des Stromkartells". Die oligopolistische Struktur der deutschen Stromwirtschaft, in der die vier Atomkraftwerks-Betreiber 80 Prozent der Stromproduktion und 100 Prozent des Übertragungsnetzes kontrollierten, sei "die Hauptursache der Preissteigerungen im Strombereich, die ein soziales und wettbewerbspolitisches Ärgernis ersten Ranges sind".

Generell stiegen die Kosten konventioneller Energien, während die für Erneuerbare Energien "laufend sinken, zumal außer bei der Bioenergie alle Kosten nur solche der Technikbereitstellung sind". Scheer ist davon überzeugt, dass zwischen 2010 und 2020 alle Erneuerbaren Energien zu niedrigeren Erzeugungskosten kommen als die atomaren und fossilen Energien, "bei denen mit laufenden Preissteigerungen zu rechnen ist". Da heute nicht mehr "der Kostenpreis" ausschlaggebend sei, sondern der "Markpreis", sei "bei einer Struktur mit potentiell tausenden Anbietern mit tendenziell sinkenden Marktpreisen zu rechnen gegenüber den steigenden unter den konventionellen Oligopolstrukturen".

Schon im Jahr 2005 habe die Windkraft in Deutschland eine preisstabilisierende Wirkung gehabt. "Seit 1990 sind die Erzeugungskosten in Deutschland bei Wind- und Solarstrom um etwa 65 Prozent gesunken."

Deshalb sei jede Politik widersprüchlich und kontraproduktiv, die eine Dämpfung bei den Strompreisen anstrebe und "gleichzeitig durch ein Festhalten an der Atomenergie die oligopolistisch organisierte Stromerzeugung betonieren und in die Zukunft fortschreiben will".

Damit blieben auch die mit Erneuerbaren Energien breit möglichen neuen "regionalen und kommunalen wirtschaftlichen Wertschöpfungen und die damit verbundenen Arbeitsplatzchancen sträflich ungenutzt". Erneuerbare Energien sind nach Auffassung von Scheer "die wichtigste treibende Kraft für eine stabile Binnenkonjunktur und die gleichzeitige Sicherung der deutschen Rolle als Exportnation".

"Die konventionelle Energieversorgung stützt sich auf wenige Großkraftwerke in konzentrierten Unternehmensformen", kritisiert Scheer. Der Wechsel zu dezentraler Erzeugung führe jedoch dazu, dass diese durch viele mittlere und kleinere Anlagen "in vielfältigen Eigentumsformen" ersetzt würden. Die Möglichkeit dazu ergebe sich aus politischen Rahmenbedingungen, die autonome Investitionen in dezentrale Energieanlagen ermöglichten. "Dass die Chance solcher Rahmenbedingungen genutzt wird, zeigt sich daran, dass das jährliche Investitionsvolumen für Erneuerbare Energien im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland bereits bei jährlich über 6 Milliarden Euro liegt." Bis zum Jahr 2012 wären das – von 2006 an gerechnet – über 40 Milliarden Euro. Es liege damit bereits jetzt bei mehr als dem Doppelten der geplanten Investitionen der konventionellen Energiewirtschaft.

Boddenberg: Was die hessische SPD da heute vorgetragen hat, ist so nicht möglich

Der Generalsekretär der CDU Hessen, Michael Boddenberg, sagte zu dem Konzept, Kernkraft durch Wind und Sonne zu ersetzen, zeuge von völliger Unkenntnis der energiewirtschaftlichen Tatsachen. "Was die hessische SPD da heute vorgetragen hat, ist so nicht möglich, weil Wind-, Sonnen- und erneuerbare Energiequellen nicht in der Lage sind, die 60 Prozent Strom zu ersetzen, die in Biblis produziert werden", behauptete der Politiker. Das sei "ein Schlag ins Gesicht der hessischen Stromkunden, denn für Bürger und Wirtschaft würde diese Energiepolitik eine teure Angelegenheit".

Die hessische SPD könne die Frage, wo preisgünstiger und umweltverträglicher Grundlast-Strom nach dem Abschalten der Kraftwerke herkommen solle, nicht seriös beantworten. Die jetzige Energieversorgung könne "nicht ohne weiteres" durch Wind- oder Sonnenenergie aufgefangen werden, so Boddenberg. "Der Wind weht nicht immer und die Sonne scheint nicht immer", sagte der CDU-Politiker, ohne hierbei aber auf die von Scheer genannte Möglichkeit der Stromspeicherung einzugehen.

"Es gibt kaum gleichmäßigere, sicherere und kostengünstigere Energiequellen als die Kernenergie", so Boddenberg. "Zudem sagen wir in der CDU: Es muss nicht auf jedem Berg eine Windkraftanlage stehen." Das wolle auch die Mehrheit der Bevölkerung so nicht. Die SPD müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Windenergie, gerade weil sie so umstritten sei, auf nicht einmal ein Prozent des Energieverbrauchs gesteigert werden könne. Auch künftig würden 99 Prozent des Energieverbrauchs nicht mit Wind abgedeckt werden.

Boddenberg kritisiert einen - nicht vorgeschlagenen - Ersatz von Biblis durch fossile Energien

Die SPD nehme mit einem vorzeitigen Abschalten "der Kraftwerke" zudem "eine massive Umweltbelastung" in Kauf, "weil durch den vermehrten Einsatz von fossilen Energien - die an die Stelle der Kernkraft treten müssten – zusätzlich immense Kohlendioxidemissionen ausgestoßen würden", so Boddenberg bezugnehmend auf das von Scheer vorgestellte Konzept, in dem das Atomkraftwerk Biblis nicht durch fossile Energien, sondern durch erneuerbare Energien ersetzt werden soll.

"Die hessische CDU macht Politik für die Menschen", so der Generalsekretär der CDU Hessen. "Wir treten ein für preisgünstige, sichere und umweltverträgliche Energie und einen vernünftigen Energiemix." Im Regierungsprogramm der CDU-Landesregierung sei festgelegt, dass bis 2015 rund 15 Prozent des Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien abgedeckt sein sollen. "Darauf können die hessischen Bürgerinnen und Bürger sich verlassen", so Boddenberg.

Scheer: Eine Beleidigung für jeden hessischen Ingenieur

Scheer nannte Boddenbergs Kritik "eine Beleidigung für jeden hessischen Ingenieur". Er verwies auf existierende Kraftwerke mit der Fähigkeit zur Speicherung auch von Solar- und Windstrom. Zum Beispiel werde bei den Pumpkraftwerken am Edersee Wasser hochgepumpt und nur bei Bedarf zur Energieerzeugung abgelassen.