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Defekte Pumpgun verhinderte offenbar noch schlimmeres Massaker

Erfurter Amok-Lauf

Ein technischer Defekt hat möglicherweise ein noch schlimmeres Blutbad am Erfurter Gutenberg-Gymnasium verhindert. Der Todesschütze Robert Steinhäuser benutzte seine Pumpgun offenbar nur deshalb nicht, weil sie beim ersten Schuss versagte. Eine Schrotkugel hatte sich im Lauf der Waffe verklemmt, die so umgebaut war, dass sie statt der üblichen zwei Patronen acht Schuss aufnehmen konnte, sagte Erfurts Polizeichef Rainer Grube am Mittwoch.

Für seine Tat benötigte Steinhäuser höchstens 10 bis 20 Minuten, bestätigte Grube frühere Aussagen. Der Lehrer Rainer Heise habe vor 11.20 Uhr am Hauptportal der Schule Polizeibeamte erwartet und ihnen mitgeteilt, dass er den Täter eingesperrt habe. Der Raum sei verschlossen gewesen, den Schlüssel habe Heise gehabt. Steinhäuser hatte das Massaker, dem 16 Menschen zum Opfer fielen, kurz vor 11.00 Uhr begonnen.

Bei den Ermittlungen durchforsten die Ermittler auch das private Umfeld des Täters. Grube berichtete, Steinhäuser habe keinen stabilen Freundeskreis und keinen Vertrauten gehabt. Vielmehr flüchtete er sich offenbar in eine Scheinwelt. In seinem Zimmer habe man 12 Videokassetten von insgesamt 50 Stunden Spielzeit gefunden. Auf zwei fanden sich Musik und Folgen der Lindenstraße-Serie, zehn seien jedoch mit Gewaltvideos vollgepackt gewesen. Von "dunklen, bluttriefenden und gewaltverherrlichenden Filmen" habe ein Ermittler laut Grube gesprochen. "Cut", "From Dusk Till Dawn", "Predator I und II" und "Killers", nennt Grube die Titel einiger Filme, in den Szenen vorkommen, die in erschreckender Weise an Steinhäusers Tat erinnern. Auf dem PC gab es 35 Computerspiele; in fast allen schießt sich der Spieler den Weg frei.

Ein weiterer Fund vervollständigt das Bild: Eine Video-8-Kassette enthält die ersten Aufnahmen zu einem Film, den mehrere Mitschüler drehen wollten. Das Drehbuch liegt den Ermittlern vor. Der Inhalt folgt dem Szenario von Gewaltfilmen: Ein Mann erschießt die Freundin des Haupthelden. Der rächt sich an allen Beteiligten und tötet sich am Ende selbst.

Nach Angaben des Erfurter Staatsanwaltes Michael Heß schließen die Ermittler einen zweiten Täter weitgehend aus. Zwar stehe die Untersuchung auf Fingerabdrücke noch aus, doch ließen die bisher bekannten Fakten es unmöglich erscheinen, dass die Pistole während der sehr kurzen Tatzeit weitergegeben werden konnte. Zweifelsfrei fest steht dagegen, dass alle Kugeln aus der einen Waffe abgefeuert wurden.

Nicht gänzlich ausschließen wollen die Ermittler dagegen, dass es Mitwisser oder einen Komplizen gegeben haben könnte. Grube verweist auf mehrere Zeugenaussagen. Die einen beschreiben einen Mann mit einer Pistole, andere Zeugen sprechen von einem größeren Mann mit einem Gewehr. Auch wollen mehrere Zeugen Schüsse aus verschiedenen Richtungen gehört haben. Grube gab zu bedenken, dass alle Zeugen sich in einer extremen Ausnahmesituation befanden.

Rätsel geben den Fahndern auch SMS auf, in denen Schüler des Gymnasiums gewarnt wurden, am 26. April in die Schule zu kommen. Grube lässt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen anklingen. Über die Provider wollen die Ermittler versuchen, an diese SMS heranzukommen. Doch dazu bedarf es noch richterlicher Beschlüsse. Steinhäusers Handy seien solche SMS jedenfalls nicht zuzuordnen, sagte Grube. Auch von Steinhäusers PC wurde nichts derartiges versandt.

Den genauen Tatablauf wollen die Ermittler möglicherweise nachstellen. Eine erste Rekonstruktion sei aber frühestens in zwei Wochen möglich, sagte Grube. Doch selbst wenn die Ermittlungen einmal abgeschlossen sein werden, letzte Klarheit wird es wohl nicht geben, vermutet Grube: Es wird zum Schluss mit Sicherheit noch weiße Flecken im Tathergang geben, und weiße Flecken auch hinsichtlich der Person des Robert Steinhäuser.