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Schäuble will angeblich die Unschuldsvermutung beseitigen

Verfassungstreue

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat vorgeschlagen, in bestimmten Fällen vom rechtlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung abzuweichen. Der Innenminister begründet dies mit dem "Kampf gegen den Terrorismus". Die SPD und die Opposition reagierten am Mittwoch mit einem Sturm der Entrüstung auf die Äußerungen des Innenministers, der bereits mit Plänen für eine Fingerabdruckdatei, Online-Durchsuchungen, die Auswertung von Mautdaten und Einsätze des Militärs im Innern in der Kritik steht. Übereinstimmend hieß es, der Verfassungsminister verlasse den Boden der Verfassung.

Schäuble sagte dem Magazin "Stern": "Wäre es richtig zu sagen: Lieber lasse ich zehn Anschläge passieren, als dass ich jemanden, der vielleicht keinen Anschlag begehen will, daran zu hindern versuche?", Eine solche Auffassung wäre falsch. Schließlich habe der Rechtsstaat die Aufgabe, die Freiheit der Bürger zu schützen.

Ein Sprecher des Innenministers erläuterte, Schäuble habe lediglich klar gestellt, dass es einen Unterschied zwischen repressiver und präventiver Strafverfolgung gebe. Ebenso äußerte sich Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Die Unschuldsvermutung - also der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" - gelte bei der Gefahrenabwehr nicht. Doch müsse auch hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet werden: "Insofern ist es trotzdem nicht so, dass ich sagen könnte, ich setze alle fest, weil ein Straftäter dabei sein könnte."

Schäuble sagte, dass er Folter ablehne, sich aber nicht gegen die Nutzung auch möglicherweise unter Folter gewonnener Informationen sperre. Wenn deutsche Stellen von anderen Nachrichtendiensten Informationen über einen sehr gefährlichen Anschlag erhielten, wäre es "absurd", diese nicht zu nutzen, weil "nicht ganz so zuverlässig wie bei uns garantiert ist, dass sie rechtsstaatlich einwandfrei erlangt wurden".

Roth: Schäuble operiert weit jenseits der Verfassung

Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) lehnte die Abschaffung der Unschuldsvermutung ab. Der Vorschlag sei "vollkommen indiskutabel". Stegner forderte Schäuble auf, in der Sicherheitspolitik nicht den Boden der Verfassung zu verlassen.

Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, Innenminister Schäuble operiere "weit jenseits der Verfassung, wenn er die Unschuldsvermutung bei Verdächtigten außer Kraft setzen will. Und er erweist sich als gelehriger Schüler von Folterbefürwortern und als Kooperationspartner von schlimmen Diktatoren, wenn er unter Folter erpresste Informationen verwerten will." Mit seinen Vorschlägen habe er sich als Verfassungsminister disqualifiziert.

Piltz: Das Bild von einem anderen Deutschland

Die FDP-Innenexpertin Gisela Piltz sprach von einem "Anschlag auf den Rechtsstaat". Schäuble erwecke fast täglich "bewusst den Eindruck, es gäbe keine effektive präventive Gefahrenabwehr". Diese sei aber in der jüngeren Vergangenheit bereits stark ausgebaut worden, so Piltz.

Bereits die Vorschläge des Innenministers zu Online-Durchsuchungen, zentraler Abrufbarkeit von biometrischen Passdaten und Einsätzen des Militärs im Innern "ließen das Bild von einem anderen Deutschland aufkommen", welches Schäuble sich offenbar wünsche, so Piltz weiter.

"Schäuble behauptet, seine Gestaltung des Rechtsstaates schaffe die Sicherheit. Das Gegenteil ist richtig", meint die Politikerin. "Wird nun die Unschuldsvermutung aufgegeben, so verliert der Staat seine Rechtsstaatlichkeit." Für sie klinge die Begründung der Vorhaben mit "dem Kampf für die Freiheit" wie der reine Hohn. "Schäubles Vorschläge terrorisieren die freiheitlichen Prinzipien unseres Landes." Die Unschuldsvermutung sei eine "Voraussetzung des Rechtsstaates".

Gerade als Minister sei Schäuble wie kein anderer aufgefordert, sich in seiner Vorbildfunktion an diese Grundsätze zu halten, meint Piltz. Deutschland brauche keine immer schärferen Sicherheitsgesetze, die lediglich die persönliche Freiheit aller Bürger – egal ob verdächtig oder nicht – einschränkten.

Nach Ansicht von FDP-Chef Guido Westerwelle sind Schäubles Pläne der Weg zum Überwachungsstaat. "Wer, wie der Bundesinnenminister, aus Meldeämtern polizeiliche Strafregister machen will, der stellt alle Bürger unter kriminellen Pauschalverdacht", kritisiert er. Auch werde das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel dadurch missachtet.

Jelpke: Der Rechtsstaat ist deshalb so verteidigenswert, weil er keine falschen Kompromisse macht

Nach Auffassung der innenpolitischen Sprecherin der Links-Fraktion, Ulla Jelpke, rücke Schäuble von den Grundsätzen des Rechtsstaats ab. Die Unverfrorenheit, mit der Schäuble die Unschuldsvermutung für erledigt erkläre und zugleich seine Kritiker beschuldige, "ein infames Spiel" mit ihm zu treiben, sei erschreckend.

"Der Rechtsstaat ist deshalb so verteidigenswert, weil er keine falschen Kompromisse macht", so Jelpke. Dass die Bürgerinnen und Bürger bis zum Beweis ihrer Schuld als unschuldig zu gelten haben, müsse ein "unverrückbarer Grundsatz" bleiben. "Wer wie Schäuble möglichst ungehemmt Telefongespräche abhören, die Bundeswehr im Inland aufmarschieren und sämtliche Einwohner zum Fingerabdruck vorführen lassen will, strebt den totalen Sicherheitsstaat an. Mit einer freiheitlichen Demokratie hat das nichts zu tun", meint die Abgeordnete.