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Dorfentwicklung: In Zukunft immer mehr Alte

Mehr Dorf für weniger Bürger

Die Entwicklung der Dörfer am Beispiel eines Ortes im SaarlandLeer stehende Häuser, verwaiste Bahnhöfe, zugesperrte Geschäfte, geschlossene Schulen – der demografische Wandel ist auf den Dörfern schon lange angekommen. In vielen Regionen liegt der Anteil der über 65-Jährigen bereits bei einem Viertel der Bevölkerung. Außer im Süden und Nordwesten steigt die Zahl der Älteren auf dem Lande stärker als in den Metropolen, und in den neuen Ländern ist bald jeder dritte Dorfbewohner über 65. Was tun die Bürgermeister, um mit diesem Wandel fertig zu werden? Wie können sich die Dörfer an diesen Wandel anpassen? Bei einem Forum “Ländliche Entwicklung“ auf der Grünen Woche in Berlin stellten Bürgermeister Konzepte vor.

Wie Kommunen mit dem demografischen Wandel umgehen

Armin König war irritiert. Eine Studentin wollte für ihre Examensarbeit die leer stehenden Häuser im Ort zählen. Leerstände? Der Bürgermeister aus dem saarländischen Ort Illingen fiel aus allen Wolken, als die junge Frau auf 81 verwaiste Häuser von 7.000 insgesamt im Ort kam. Und schlimmer noch: Demnächst werde sich diese Zahl verdoppeln und verdreifachen – das zeigte ein Blick in die demografische Zukunft. Es war nicht zu leugnen: Die Illinger, die in den 1960er Jahren mit 25 oder 30 ihre Häuser in den Neubaugebieten gebaut und bezogen hatten, sind heute alle zwischen 75 und 80 Jahren alt. Eine Karte zeigte, dass sich wie Masern die Leerstände der Zukunft als rote Punkte über den ganzen Ort ausbreiten.

Die Wahrheit ist zumutbar

Das war 2006. Armin König reagierte nicht mit Beschwichtigungen oder der Forderung nach Babygeld und Neubauprämien. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, lautet sein Motto. Und er startete das Programm „Illingen 2030“. Ein ungeschminkter Demografiebericht in verständlicher Sprache klärte die Bürger auf. König gewann im ersten Anlauf über 500 Bürgerinnen und Bürger, sich an Workshops zu beteiligen, die sich den Problemen Schrumpfung, Alterung und Leerstand widmeten. „Was alle angeht, können nur alle zusammen lösen“, sagt er, „und einer muss ja mal anfangen, etwas zu tun, auch wenn es mal schiefgehen kann.“

Anfangs hielt sich aus diesen Debatten heraus, weil er die Bürger aktiv einbeziehen wollte. Und die schlugen Prämien für den Erhalt von Wohnraum vor und legten Abrisspläne für marode Häuser auf den Tisch.

Aus einer leer stehenden Schule sollte eine Schaukäserei werden. Jugendliche selbst waren aufgefordert, dabei zu helfen, das ehemalige Arbeitsamt zu einem Jugendzentrum umzubauen. Und gemeinsam planten Eltern den Bau eines Kinderhauses, das Krippe, Kita und Ganztagsbetreuung unter einem Dach anbietet. Landes- und EU-Fördermittel halfen, die ehrgeizigen Pläne zu realisieren. Heute sind verwaiste Häuser wieder bewohnt und über 1.000 Bürger (von rund 17.000 Illingern) ehrenamtlich tätig. Sie haben nicht aufgehört, weiter Pläne zu schmieden: Bildungszentrum, Naherholungsgebiet, ein Wohnpark für Senioren mit Ärzten, Läden und Nahverkehrsanschluss.

Armin König: „Heute haben wir mehr Dorf für weniger Bürger“.

Ein Problem hat er noch nicht gelöst: 80 km Gemeindestraßen, 40 km Feldwege und 110 km Abwasserkanäle werden nicht weniger, wenn die Einwohnerzahl schrumpft. Deswegen entstehen in den Außenbereichen auch keine Neubauflächen mehr – das Dorf konzentriert sich auf den „Innenausbau“. Weniger Bürger – so steht zu befürchten – das bedeutet eben auch: Mehr Kosten für den Einzelnen.

„Jung kauft Alt“

Ulrich Rolfsmeier, Ortsbürgermeister im ostwestfälischen Hiddenhausen (20.000 Einwohner), hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Über 600 Häuser, die leer standen oder nur von einer Person über 70 bewohnt wurden. Sein Weg: ein Förderprogramm „Jung kauft Alt“. Die Gemeinde unterstützt Familien beim Kauf eines mindestens 25 Jahre alten Hauses je nach Kinderzahl mit maximal 10.500 Euro über sechs Jahre verteilt.

„Wir wollten nicht erst abwarten bis alle weg oder gestorben sind“, sagt Rolfsmeier. Die Demografie-Experten haben seiner Gemeinde eine Schrumpfung von über elf Prozent in den nächsten Jahren vorausgesagt.

Wie sein Kollege König aus dem Saarland, weiß auch er, dass man den demografischen Wandel nicht bekämpfen kann – man kann sich ihm aber anpassen. So weist auch seine Gemeinde keine Neubaugebiete mehr aus – und hat trotzdem einige Familien neu angezogen. Über das Förderprogramm wurden 180 Häuser erworben und saniert. Ein Nachteil aber habe dieses Programm schon, meint Rolfsmeier: „Wenn es alle Gemeinden im Umkreis so machen, dann klappt es nicht mehr.“

Der Kombibus

Was den älter werden Menschen auf dem Land mit am meisten zu schaffen macht, ist der Wegfall der Verkehrsanbindung. Mit dem Rückgang der Schülerzahlen stellen die Öffentlichen Nachverkehrsbetriebe (ÖPNV)

Buslinien ein, werden Bahnhöfe dicht gemacht und Fahrpläne wertlos. Im Kreis Uckermark hat die Kreisverwaltung einen anderen Weg eingeschlagen und sich mit der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft und einigen Dienstleistern an einen Tisch gesetzt. Was dabei herauskam, war die Idee des „Kombibusses“: ein Linienbus übernimmt zusätzlich Post- und Kurierdienste, befördert in ihrer Mobilität eingeschränkte ältere Menschen, bietet in der Saison für Touristen einen Fahrrad- und Koffertransport an und vieles andere mehr. Vorbild ist Skandinavien mit seinen immer schon dünn besiedelten Regionen.

Dort macht bei den Busunternehmen das Frachtgeschäft ein Viertel des Umsatzes aus. Wie alles in Deutschland regeln aber entsprechend Gesetze Personenbeförderung und Güterverkehr. Der Kreis hat ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben. Danach steht dem Kombibus-Projekt nichts entgegen. Dennoch ist diese Frage noch nicht entschieden: Jedes Bundesland regelt in Deutschland den ÖPNV nach eigenen Gesetzen.

Dorfinnenentwicklung

Niemand wird den Wandel aufhalten – davon ist auch Werner Klöckner, Chef der Verbandsgemeinde Daun in der Eifel überzeugt. Sein Reich besteht aus 38 selbstständigen Gemeinden, die 23.000 Einwohner zusammenbringen – Tendenz fallend. Klöckner hält nicht viel von Zahlengebirgen, die den Wandel belegen sollen. „Die Menschen brauchen ein Gefühl dafür, dass sich etwas ändert“, sagt er. Gelernt hat er von dem amerikanischen Harvard Professor John Kotter, dem führenden Theoretiker des „Change Management“.

Seine fünf Schritte hat der Bürgermeister auf seine Gemeinde angewandt:
  • Schaffen Sie ein Gefühl der Dringlichkeit (was passiert, wenn nichts passiert!)
  • Stellen Sie ein Leitungsteam zusammen
  • Formulieren Sie klare Ziele und entwickeln Sie eine Strategie
  • Werben Sie um Verständnis und Akzeptanz
  • Sichern Sie andere Freiräume und sorgen Sie für kurzfristige Erfolge

Das Konzept ging auf: Klöckner schaffte es, Bürger zu mobilisieren und sich für den dörflichen Wandel zu interessieren. „Die Bürger wollen wissen, was die Politik zur Lösung ihrer Probleme beiträgt“, sagt er, „und was sie selbst tun können.“ Die Verwaltung müsse dann auch mal bereit sein, Macht abzugeben. Seit 2009 gibt es jedes Jahr einen Themenschwerpunkt in der Verbandsgemeinde: altersgerechte Dörfer, Dorfinnenentwicklung, Energieversorgung. Gerade das Konzept Dorfinnenentwicklung (DIE) hat mittlerweise auch die Verbandsgemeinden Gerolstein, Ulmen und Kelberg angesteckt. „In zehn bis 15 Jahren werden wir Leerstände von bis zu 30 Prozent haben – und das in den Ortskernen“, sagt Klöckner. Die Innentwicklung soll die Ortsmitte stärken, den Wert der bestehenden Immobilien im Dorf erhalten, den vorhandenen Wohnraum nutzbar machen und so den Landschaftsverbrauch reduzieren.

Volker Thomas Agentur für Text und Gestaltung (Berlin)