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Wahlkampf 2013: Der unmündige Bürger geht zur Wahl

<<ZUM (VER-)ZWEIFELN>>

Zwei Kandidaten überhören die Frage von vier Moderatoren und sprechen Einstudiertes. Das ist langweilig. Wäre da nicht eine Kette in den Farben unseres Landes, nur falsch sortiert. Das schafft Aufregung, Teilnahme, Kommentare. Eine zweite Runde: Drei Kandidaten und zwei Moderatoren reden gleichzeitig und laut. Niemand versteht, wer was wie warum sagen will. Das ist eine lebhafte Diskussion! Lebendige Demokratie, sozusagen. In den anschließenden Talkshows darf dann "die zweite Garde der Politfiguren in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten ihre Sprechblasen entleeren. Und wenn bei der intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich beim Privatfernsehen an der emotionalen Pissrinne unter das Volk mischen." So ähnlich hat es der große politische Kabarettist Georg Schramm in seiner Rolle als Lothar Dombrowski schon vor Jahren formuliert. Er fuhr fort: "Interessenverbände machen die Politik. Die ziehen die Fäden, an denen politische Hampelmänner hängen, die uns auf der Bühne der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen dürfen." Im Brüsseler Puppentheater findet auf größerer und teurerer Bühne dasselbe statt – auf einen Parlamentarier kommen mehr als zehn Lobyisten.

Der unmündige Bürger ärgert sich über vermeintlich verordnete Gemüsetage und nimmt einem snobistischen Weinliebhaber krumm, dass er keinen billigen Fusel trinkt.

Der unmündige Bürger sieht sich das alles an und verliert die Lust. Er mag keine Politiker und keine Parteien mehr und eine Wahl sowieso nicht. Er regt sich über vermeintlich verordnete Gemüsetage mehr auf als über die offensichtliche Unfähigkeit der Regierungen, die "Steueroptimierung" der Unternehmen zu stoppen, die ganze Staaten in den Ruin treibt. In Griechenland könnte die Besteuerung von Reedern, Banken und der Kirche 40 – 50 Mrd. Euro in die Staatskasse spülen. 800 Mrd. Privatvermögen aus den USA liegen auf den Caymans und das Land treibt auf fiscal cliffs zu. In der gesamten EU manövrieren die Großkonzerne Milliarden an Steuern an den Staaten vorbei in „Steuerparadiese“ – würden sie sie in den Ländern zahlen, in denen sie de facto Gewinne machen, gäbe es keine "Euro-Krise". Die Staaten retten sich mit Zinssenkungen der Notenbanken. Deswegen bekommt der kleine Sparer keine Zinsen mehr – also Zinsen rauf! Die müssten dann aber auch für unsere 2000 Milliarden Staatsschulden bezahlt werden – lieber Zinsen runter!

Der unmündige Bürger nimmt einem snobistischen Weinliebhaber auch krumm, dass er keinen billigen Fusel trinkt. Ob dessen Einsatz für eine menschenwürdige Bezahlung von über 7 Mio. Arbeitnehmern glaubhaft ist, interessiert nicht. Er ist ja nicht betroffen und plant gerade einen Tauchurlaub auf den Malediven, solange sie noch nicht versunken sind.

Folgt auf den unmündigen Bürger der unmündige Politiker, der dem Volk Entscheidungen vorspielt, die er gar nicht getroffen hat?

Folgt auf den unmündigen Bürger der unmündige Politiker, der dem Volk Entscheidungen vorspielt, die er gar nicht getroffen hat? Die Lobbyisten und ihre Finanzberater schreiben die Gesetze. In Frankreich zahlt ein umsatzstarker Drogeriewarenkonzern keine Ertragssteuern, denn sein Hauptquartier ist in der steueroptimierten Schweiz. Ugland House auf den Cayman Islands ist mit seinen 4 Stockwerken vermutlich "das größte Gebäude der Welt", denn dort residieren über 18.000 Firmen. Präsident Obama vermutet dahinter allerdings "den größten Steuerbetrug der Welt" und ist damit offensichtlich falsch informiert, denn in der North Orange Street #1209 in Wilmington (US-Bundesstaat Delaware) gibt es in einem kleinen Flachbau 200.000 Firmen. Briefkastenfirmen ohne Briefkasten. In den USA verdient auch ein großer Internet-Buchversender Millionen, zahlt aber keine Steuern, weil sein Unternehmen in Luxemburg sitzt.

Der lange angekündigte Überraschungsangriff auf Syrien soll die Glaubwürdigkeit der USA bewahren und die Präsident Obamas – ein Lichtblick, dass sich überhaupt mal ein Politiker über seine Glaubwürdigkeit Gedanken macht! Weder ist die Ernsthaftigkeit solcher Ankündigungen glaubwürdig, noch hat irgendwer einen potentiellen Nutzen davon erwähnt und gegen die Schäden an Leib und Leben der Bevölkerung abgewogen. Auf deren Grabsteinen wird stehen: »Sie sind für die Glaubwürdigkeit eines anderen Staates gestorben.«

Auf ihren Grabsteinen wird stehen: »Sie sind für die Glaubwürdigkeit eines anderen Staates gestorben.«

Die Politiker "gehen zur Zeit davon aus, dass"… d. h. sie nehmen ohne jede Überprüfung einfach an, dass a) wir nicht von der NSA total überwacht werden, b) die demokratischen Spielregeln eingehalten werden c) die Gesetze von den Abgeordneten und Beamten und nicht von den Wirtschaftsverbänden formuliert werden (z. B. hat die Fliegerlobby gerade die europäischen Fluggastrechte ausgehebelt – mit Unterstützung der Bundesregierung) c) dass ein Militärschlag in Syrien dort eine dem Westen gewogene Demokratie etabliert d) die Wählerinnen und Wähler das Schicksal unseres Landes bestimmen e) ... usw. usf. Ja, sie gehen davon aus: Das ist ihre Startlinie, die nicht mehr demokratisch diskutiert werden kann. Der Deutsche Bankenverband versichert uns, dass die NSA unsere Konten nur einsehen und jede Bewegung kontrollieren kann, aber sie nicht plündern kann. Wie beruhigend – wir hätten ungern den Militärschlag in Syrien finanziert! Den unmündigen Bürger interessiert das alles nicht.

Wer aber hält ihn unmündig? Wer hält ihm Informationen vor? Wer manipuliert ihn und lullt ihn mit Seifenopern ein? Finstere Mächte? Politische Bildung (und jede andere auch) ist eine Hol- und eine Bringschuld. Der Bürger muss Angebote und Chancen bekommen und er muss sie wahrnehmen. "Fördern und fordern" ist kein so dummer Spruch. Umso sträflicher ist es, wenn Leitfiguren des Volkes oder Leute von der Straße unkommentiert im Fernsehen dafür werben, nicht zu wählen. Wählt in Teufels Namen die PdP (Partei der Protestierer), wenn ihr mit allem nicht einverstanden seid!

Benutzt euren Verstand! Seid mündig! Wählt! Wählt sie in die Verantwortung oder zum Teufel! Aber wählt!!

Vor 250 Jahren verlangte ein deutscher Philosoph: "Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!" Mit "Yes, we can!" ist es in den USA ja nicht so gut gelaufen. Vielleicht sollte der nächste Kandidat auf "Use your brain!" bauen. Und ihr, die ihr das lest: Benutzt euren Verstand! Seid mündig! Wählt! Wählt sie in die Verantwortung oder zum Teufel! Aber wählt!!

Jürgen Beetz