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Fortsetzung der neoliberalen Wirtschaftspolitik geplant

Nach Genua

Nach dem von Gewalt überschatteten G8-Treffen in Genua ist eine Debatte über die Zukunft derartiger Gipfel entbrannt. Regierungssprecher Bela Anda sagte am Montag, die Bundesregierung dringe weiter darauf, beim nächsten G8-Gipfel in Kanada die Zahl der Teilnehmer zu reduzieren und sich auf die "Wirtschaftskernthemen" zu konzentrieren, womit deutlich wird, worum es bei diesen Treffen im Kern geht. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) beklagte bei der Globalisierung ein erhebliches Demokratiedefizit. Die globalisierungskritische Organisation "Attac" sieht im Abschlußcommuniqué des G8-Gipfels "nicht das geringste Zeichen eines Abrückens von einer neoliberalen, anti-sozialen, und international ausbeuterischen Politik."

Attac sieht kritisiert, dass es beim G8-Gipfel keinerlei Initiativen gab, um den Globalisierungsprozess "sozial und ökologischen zu regulieren". So habe es in der Frage der Entschuldung der Entwicklungsländer keinerlei neue Initiativen gegeben, die über den bereits verabredeten und völlig unzureichenden Rahmen der HIPC-Initiative hinausgehen. Auch gebe es keine Ansätze für eine Regulierung des internationalen Finanzsystems, um spekulative Geldbewegungen zu begrenzen, wie Attac es mit Hilfe der sogenannten Tobin-Steuer fordert.

Ausserdem plane die G8 trotz aller Kritik, beim nächsten Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) eine neue Handelsrunde einzuleiten. Dies werde die Stellung der Entwicklungsländer in der internationalen Handelspolitik noch weiter schwächen.

Die offizielle Politik beschäftigte sich insbesondere mit Fragen der Gewalt in Genua und bei künftigen Gipfeltreffen. In Genua war ein Demonstrant durch einen Kopfschuss von der Polizei getötet worden. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren unter den 300 in Genua festgenommenen Demonstranten 52 Deutsche, darunter 10 "Gewalttäter". 42 der Festgenommenen haben demnach friedlich demonstriert. Zudem seien 42 Menschen bei einer Razzia in einer Unterkunft von Globalisierungsgegnern festgenommen worden. Bereits im Vorfeld des Gipfels sei 81 Globalisierungskritikern die Ausreise nach Italien verweigert worden.

Die äußerst brutale Erstürmung des Organisations- und Medienzentrums des Genua Social Forum in der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde unter anderem von Attac Deutschland scharf kritisiert. Wie Attac inzwischen von Augenzeugen und Journalisten vor Ort erfuhr, ging die Polizei bei der Razzia mit großer Brutalität innerhalb des Gebäudes vor. So wurde im Gebäude mit Tränengasgranaten geschossen. Auf schlafende DemonstrantInnen wurde eingeprügelt. Bei der Erstürmung wurden mindestens 20 Mitarbeiter des Genua Social Forums verletzt. "Die Erstürmung des Organisations- und Medienzentrums erweckt den Eindruck, als ob gezielt ungeliebtes Beweismaterial vernichtet werden sollte", kritisierte Felix Kolb von Attac.

Bayerns Inneminister Günther Beckstein (CSU) konzentrierte sich hingegen auf die Gewalt seitens der Globalisierungegner. Er forderte eine internationale Kartei von "Gewalttouristen". Mit Blick auf den Datenschutz sagte der CSU-Politiker, dieser dürfe nicht zum Täterschutz werden. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sagte, eine europäische Datei für politische Gewalttäter sei in der EU derzeit nicht durchsetzbar. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) war jüngst mit einer entsprechenden Initiative gescheitert.

Der Chef der Jungsozialisten (Jusos), Niels Annen, hob hervor, dass der Einsatz von Schusswaffen "durch nichts zu rechtfertigen" sei. Der Vorsitzende der Europäischen Polizeigewerkschaft, Hermann Lutz, kritisierte, die italienischen Sicherheitskräfte seien aufgetreten "wie Soldaten".

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sieht bei der Globalisierung ein erhebliches Demokratiedefizit. Darauf hätten die Demonstranten beim G8-Gipfel in Genua zu Recht aufmerksam gemacht, sagte Wieczorek-Zeul am Montag in Berlin. "Die Sorgen der friedlich Demonstrierenden müssen wir als Anstoß nehmen, noch stärker auf Reformen zu drängen", forderte die Ministerin. Dies gelte etwa für "Diskriminierungen, die immanent in den Regelungen der Welthandelsorganisation (WTO) angelegt sind". Die Ministerin erneuerte zudem ihre Forderung nach einem UN-Sicherheitsrat für Wirtschaftspolitik, um die Beteiligung von Entwicklungsländern an internationalen Entscheidungenzu stärken.

Zugleich warnte sie, wer die Globalisierung nur dem Markt überlasse, nehme in Kauf, "dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet". Bereits heute würden 68 Prozent des Weltbruttosozialprodukts in den sieben führenden Industrienationen plus Russland erwirtschaftet, obwohl hier nur elf Prozent der Weltbevölkerung lebten. Von den 6 Milliarden Bewohnern der Erde müssten 1,2 Milliarden in absoluter Armut leben. Alarmierend sei auch die "digitale Kluft" zwischen Industrie und Entwicklungsländern, fügte die SPD-Politikerin hinzu. Heute gebe es allein in New York mehr Internetanschlüsse als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.