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Statt Agenda 2010 "Zeichen für Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft"

Wissenschaftler gegen Schröders Pläne

Unternehmen und Bezieher von Kapitaleinkommen sollten stärker zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben herangezogen werden. Das fordert die AG Öffentliche Finanzen des Wissenschaftlichen Beirats des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Der Sonderparteitag der SPD am 1. Juni 2003 solle ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit setzen. Die Agenda 2010, die an diesem Tage zur Abstimmung steht, beinhalte eine neue Runde sozialer Ungerechtigkeit und wirtschaftlicher Unvernunft. Sie belaste einseitig die Beschäftigten, Arbeitslosen und Bezieher sozialer Leistungen. Ein Beitrag der Wohlhabenden dagegen fehle völlig.

Dafür gäbe es zahlreiche Möglichkeiten und Vorschläge wie die Wiedereinführung einer Steuer auf große Vermögen, die Ausweitung der Erbschaftsteuer, die Abschaffung der Spekulationsfrist für Verkaufsgewinne bei Aktien und deren Besteuerung mit dem regulären Einkommensteuersatz. Ferner solle die Bundesregierung auf die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42,5 Prozent verzichten, die gegenwärtige Besteuerung von Zinsen und Dividenden beibehalten und wieder eine Steuer auf Veräußerungsgewinne von Unternehmen einführen. Die Gewerbesteuer solle durch eine kommunale Wertschöpfungsteuer ersetzt werden.

Die stärkere Besteuerung der Unternehmensgewinne und Kapitaleinkommen würde die Korrektur einer zunehmend ungerechten Verteilung der Steuerbelastungen einleiten. In den letzten 20 Jahren wurde ein wachsender Teil der Besteuerung auf den privaten Verbrauch und die Lohneinkommen verschoben, während Unternehmen und Bezieher von Kapitaleinkommen sich zunehmend aus der Finanzierung des Sozialstaates verabschiedeten.

Die Gewinn- und Vermögenseinkommen wurden im Jahre 1980 mit durchschnittlich 15,3 Prozent belastet; 2001 waren es nur noch 8 Prozent. Dagegen nahm die durchschnittliche steuerliche Belastung der Löhne und Gehälter im selben Zeitraum von 15,8 Prozent auf 18,5 Prozent zu, berichten die Wissenschaftler. 1983, zu Beginn der Ära Kohl, machten Körperschaftsteuer und veranlagte Einkommensteuer noch 14,3 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Im Jahr 2002 leisteten diese Steuern nur noch einen Beitrag von 2,3 Prozent. Dagegen tragen inzwischen die Lohnsteuern über 37 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei - 1983 waren es erst 33 Prozent. Gleichzeitig ist der Anteil der Umsatzsteuern, die die unteren Einkommen überdurchschnittlich belasten, an den Steuereinnahmen kontinuierlich angestiegen: Von rund 26 Prozent auf 32 Prozent.

"Zu dieser Entwicklung hat auch die rot-grüne Bundesregierung beigetragen, indem sie die Körperschaftsteuer gesenkt und für Kapitalgesellschaften die Steuer auf Veräußerungsgewinne abgeschafft hat", kritisiert die AG Öffentliche Finanzen. Nun plant das Bundesfinanzministerium, die Steuer auf Zins- und Dividendeneinkünfte auf pauschal 25 Prozent zu reduzieren- und damit die Eigentümer von Geldvermögen erneut zu begünstigen. "Entgegen den ursprünglichen Bekundungen hat die Bundesregierung aber keine Initiative ergriffen, die Vermögensteuer auf eine neue, verfassungsrechtlich vertretbare Grundlage zu stellen", kritisieren die Wissenschaftler. Zur Gegenfinanzierung der erwarteten Steuermindereinnahmen und zur Stabilisierung der öffentlichen Verschuldung werden derzeit sogar Mehrwertsteuererhöhungen diskutiert, wiederum ein Beitrag zur stärkeren Belastung der unteren Einkommensgruppen.

Eine Korrektur dieser Politik sei zum einen aus Gründen der Gerechtigkeit erforderlich. Sie sei aber auch wirtschaftlich vernünftig und geboten, weil sie es erlaube, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die Arbeitsplätze schaffe und damit auch die öffentlichen Finanzen auf Dauer zu sanieren.

In diesen Tagen habe sich erneut gezeigt, dass die Politik des Sparens hierzu nicht in der Lage sei. "Ausgabenkürzungen finden vor allem im sozialen Bereich statt und schlagen sich unmittelbar in Einbrüchen der privaten Nachfrage und in der Folge in einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit nieder", so die Attac-Berater. "Die Folgen für die öffentlichen Kassen sind in den letzten Tagen eindrucksvoll demonstriert worden: Die Steuereinnahmen fallen geringer und die notwendigen Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung fallen höher aus als von der Bundesregierung erwartet. Dies war absehbar, und es ist absehbar, dass auch die nächste Runde des "Sparens" zu Lasten der Schwächsten der Gesellschaft die gleiche unsoziale und ökonomisch kontraproduktive Wirkung haben würde." Die Bundesregierung solle sich über diese Zusammenhänge nicht erneut hinwegsetzen, sondern den Kurs ändern.

Zur Wiedergewinnung der wirtschaftspolitischen Handlungsfähigkeit seien nicht weniger, sondern mehr Steuereinnahmen erforderlich - und die Bereitschaft, sie zur Förderung der konjunkturellen Belebung und einer nachhaltigen wirtschaftlichenEntwicklung einzusetzen. Zur Überwindung der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit sei eine Umverteilung der Steuerbelastung zu Gunsten der Lohneinkommen und zu Lasten großer Vermögen und der Unternehmensgewinne erforderlich.

Eine sozial gerechte und ökonomisch vertretbare Besteuerung von Unternehmens- und Kapitalgewinnen, hohen Einkommen und Vermögen sei schließlich auch deshalb notwendig, weil die Finanzierungsbasis des Systems der sozialen Sicherung ergänzt werden müsse. Hierzu sollten alle Einkommensarten - also auch beispielsweise Miet- und Zinseinkommen - sowie große Vermögen und Erbschaften stärker herangezogen werden.