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Reise durch Wissenschaft und Philosophie

Buchrezension

Don Quijote und Sancho Pansa lebenDon Quijote und Sancho Pansa leben – und diskutieren über Urknall, Evolution, Hirnforschung und Ethik. Der Mathematiker Jürgen Beetz hält die Vernunft für bedroht. Um sie zu retten, schickt er in seinem neuen Buch Cervantes‘ berühmte Helden auf eine »phantastische Reise« – und verwickelt sie in einen endlosen platonischen Dialog über fast sämtliche Streitfragen zwischen »Wissenschaft« und »Philosophie«.

Eine geniale Idee des Autors, die beiden weltbekannten Renaissance-Figuren des großen Cervantes bis heute weiterleben zu lassen und ihnen den ganzen alten und modernen »Diskurs« in den Mund zu legen, während sie als Bildungsreisende mit einem R4 und einem Moped durch das heutige innere Spanien rattern. Klar, dass der weltfremde Don Quijote, bekannt für ethische Problemfälle, den Philosophen mimt, und dass sein technisch und sinnlich begabter Diener den Part der Wissenschaft übernimmt. Fragt sich nur noch, welche der 20-30 geläufigsten Wissenschaften Beetz unter dem Kollektivbegriff »die Wissenschaft« behandeln wird.

Sind Wissenschaftler seelenlos?

Um dies vorwegzunehmen: Es ist die Physik, die Mathematik, die Informatik, die Biologie (Darwin), die Physik, die Psychologie (Freud), die Neurologie (Hirnforschung), eine Prise Linguistik und Soziologie… und natürlich die Physik. Gut, ich tue dem Autor ein wenig Unrecht: In der zweiten Hälfte des Buches tritt die Physik etwas in den Hintergrund. Um die eklatante Missachtung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu rechtfertigen, bemühen die spanischen Streithähne mehrmals den Philosophen Ludwig Wittgenstein, der es offenbar auch schon so gehalten hatte.

Was sie dann alles besprechen: Urknall und Evolution; die Prinzipien der Logik; die Ordnung der Dinge; Ursache und Wirkung; Wahrheit, Wirklichkeit und Erkenntnis; Sprache und Denken; Wissen und Bildung; Gefühl und Verstand; Wirtschaft und Ethik... Sie zerbrechen sich an unserer Stelle die Köpfe über Fragen wie: Warum ist nicht nichts? Sind Wissenschaftler seelenlos? Haben Philosophen die Welt verändert? Kämen die Menschen auch ohne Gott aus? Haben wir einen freien Willen? …da war doch noch was? Ach ja, der Sinn des Lebens. Der wird en passant aufgedeckt – und er zeigt sich, so viel sei hier verraten, im Jazz!

Der Leser lauscht am Nebentisch

In seinem Buch »Denken – Nach-Denken – Handeln« hatte sich Beetz bereits als Experte für die vielfältigen Möglichkeiten einen Namen gemacht, in politischen und weltanschaulichen Diskussionen aneinander vorbeizureden – oder genau das zu vermeiden. Don Quijote und Sancho Pansa lassen wohl keine dieser Methoden aus. Der Leser sitzt in der Bodega am Nebentisch, spitzt gespannt die Ohren und fiebert atemlos mit, wenn der Ritter der platonischen Ideen in der Wüste der Materie voller Entzücken ein zartes Pflänzchen der Gattung Geist entdeckt, oder wenn der weiß gekittelte Knecht des Falsifikationsprinzips mit brennendem Sarkasmus und kühler Präzision das nächste Dogma demontiert.

Besonders groß ist der Erkenntnisgewinn bei den zahlreichen Implikationen der Evolution, die der bekennende Nichtbiologe Sancho P. erstaunlich differenziert betrachtet, während Don Q. seine Probleme mit diesem Ansatz bis zum Schluss nicht überwindet. Auch der Komplex »Komplexität, Selbstbezüglichkeit und Rückkopplungen«, den der Autor mit dem poetischen Etikett »die seltsamen Schleifen des Seins« versehen hat, ist hier zu nennen; und sogar der ewige Streit zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Intuition und Überlegung entwickelt sich am Tisch der spanischen Männerfreunde recht hintergründig. Schade nur in diesem Zusammenhang, dass eine Frau fehlt.

Spinner und Handwerker

Die Rollenverteilung zwischen Ritter und Knappe, Theorie und Praxis ist zuweilen recht einseitig. Dass Don Q. den weltfremden, nichtsnutzigen Spinner verkörpert und Sancho P. den tätigen Bürger und fleißigen Handwerker, entspricht zwar in etwa dem literarischen Original (und mehr noch der Brecht-Version »Herr Puntila und sein Knecht Matti«) – aber diese Konstellation wird längst nicht allen strittigen Fragen zwischen Philosophie und Naturwissenschaft gerecht. Es ist dann schwer zu verstehen, warum der Philosoph ständig den Dummen spielt, immer wieder den Naturwissenschaftler um Rat fragt – sogar in Fragen wie dem Komplexitätsproblem, für die er als Philosoph genuin zuständig wäre. Mehrmals fällt das sogar Sancho Pansa auf, der gerne mal arrogant auftrumpft. Dennoch kommt er als Naturwissenschaftler oft ziemlich ungeschoren durch die Debatten und erntet die fundierte Kritik nicht, die er sich als Erfinder von Rassentheorien, Eugenik, Massenmordsystemen, Atomreaktoren, Gentechnik und anderen technokratischen Monstern »redlich« verdient hätte. An solchen Stellen mangelt es seinem Widerpart leider entschieden an Biss, und das dürfte damit zu tun haben, dass er mangels geistes- und sozialwissenschaftlichem Rüstzeug ständig wie ein Flummiball durch den Raum titscht und die wunden Punkte der Wissenschaft immer nur kurz berührt.

Von Rittern und Windmühlen

Gegen Ende des Buches kommen die beiden auch auf Ethik zu sprechen, und da hält dann endlich Don Quijote das Heft in der Hand. Sehr sympathisch, wie er zu Beginn der Debatte getreu seinem großen Vorbild ritterlich für eine arme Frau, der Unrecht geschah, in die Bresche springen will! Und Sancho Pansa schlüpft in die Rolle des Spießers, der tausend Gründe findet, um sich bloß nicht einzumischen.

Auf Pfaffen und Schamanen sind die beiden Kämpen gleichermaßen schlecht zu sprechen, so dass man hier den Klartext des Autors vermuten kann. Wenn Beetz irgendwelche Wunderheiler dabei ertappt, wie sie viertelgare Schlagworte aus der Quantenphysik verwenden, um ihre Telepathiekurse damit zu würzen, dann gibt es kein Halten mehr: Dann werden wir Zeuge, wie Don Jorge seine Lanze einlegt und die wabernde Windmühle der Esoterik ins Visier nimmt. Im 14. Kapitel schickt der Autor in feiner Selbstironie seine beiden Protagonisten in die gleiche furchtbare Schlacht. Wer Wünschelrutengänger für eine Plage der Menschheit hält und Homöopathen für Scharlatane, die nichts als Placebos verkaufen, kommt hier jedenfalls voll auf seine Kosten. Doch auch, wer das anders sieht, aber offen ist für Zweifel an den eigenen Dogmen, wird sich wundern, wie anregend die Lektüre eines Jahrhunderte alten geistigen Ehekrachs sein kann.

Jens Jürgen Korff

Jürgen Beetz: Eine phantastische Reise durch Wissenschaft und Philosophie. Don Quijote und Sancho Pansa im Gespräch. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2012. Taschenbuch, 376 S., 19 €. ISBN 978-3-86569-083-8