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"Endgültiger Abschied von der Landesverteidigung"

Bundesausschuss Friedensratschlag

Der Bundesausschuss Friedensratschlag kritisiert in einer Pressemitteilung vom 25. Februar 2003 die Vorschläge von Bundesverteidigungsminister Peter Struck für eine Überarbeitung der "Verteidigungspolitischen Richtlinien" für die Bundeswehr. ngo-online dokumentiert die Pressemitteilung "Endgültiger Abschied von der Landesverteidigung" im Wortlaut.

Friedensbewegung: Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) überarbeiten: Ja! Strucks Vorschläge einer Neufassung der VPR gehen aber in die falsche Richtung! Endgültiger Abschied von der Landes- und Bündnisverteidigung! Rüstungspolitische Entscheidungen stärken strukturelle Angriffsfähigkeit! Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs ist verfassungswidrig

Die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken (Hamburg) und Peter Strutynski, erklären zur Ankündigung Verteidigungsministers Strucks, die zehn Jahre alten Verteidigungspolitischen Richtlinien neu zu fassen:

Der Bundesausschuss Friedensratschlag begrüßt die Ankündigung von Verteidigungsminister Peter Struck, die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" (VPR) aus dem Jahr 1992 zu überarbeiten. Seit langem fordert die Friedensbewegung, diese Richtlinien ganz aus dem Verkehr zu ziehen, weil sie ein Dokument der beginnenden Umorientierung der Bundeswehr auf weltweite Militäreinsätze darstellten. Die VPR aus dem Hause Rühe hatten die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" als vitale deutsche Sicherheitsinteressen definiert. Damals begann das Verteidigungsministerium mit dem Aufbau der sogenannten Krisenreaktionskräfte (Ziel: 52.000 Soldaten), die Rot-Grün mit ihrem Beschluss vom Juni 2000 sogar auf 150.000 Soldaten verdreifachen will.

Die Art und Weise allerdings, wie Peter Struck die VPR neu fassen will, geht in eine völlig falsche Richtung. Der Weg der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee soll nicht etwa rückgängig gemacht werden, sondern noch klarere Konturen erhalten und rüstungspolitisch abgesichert werden.

Die von Struck am 21. Februar 2003 vorgelegten "11 Kriterien" für neue VPR haben vor allem ein Ziel: Der von der CDU-FDP-Regierung eingeleitete Kurs der Herausbildung einer weltweit einsetzbaren Interventionstruppe wird zum Wesensmerkmal der Bundeswehr. Sie stellt den endgültigen Abschied von einer Verteidigungsarmee dar, wie sie im Grundgesetz vorgeschrieben ist (Art. 87 a).

Organisationspolitisch hatte die rot-grüne Bundesregierung die Weichen zur Erringung einer "strukturellen Angriffsfähigkeit" längst gestellt: Die Bildung der "Division luftbewegliche Operationen" und der "Division Spezielle Operationen" soll die schnelle globale Einsatzfähigkeit ermöglichen. Die dafür benötigten Ausrüstungen wurden in Auftrag gegeben: 80 High-Tech-Kampfhubschrauber Tiger, 600 Marschflugkörper für Tornados und Eurofighter der Luftwaffe, drei neue Fregatten, fünf neue Korvetten (vor allem für den Beschuss von See an Land), vier supermoderne U-Boote, 60 strategische Lufttransportmaschinen Airbus, ein nationales weltweit nutzbares Radaraufklärungssatellitensystem, um nur die "innovativsten" zu nennen. Die beschleunigte Beschaffung von Abstands- und Präzisionswaffen, weltweiter Transport-, Führungs- und Kommunikationssysteme trägt den Charakter einer aggressiven Militärpolitik. Finanzmittel, die durch Stilllegungen schwerer Kriegswaffen frei werden, sollen nicht etwa für andere Ressorts, z.B. für Gesundheit, Bildung und Kultur verwendet, sondern für die weltweite Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr eingesetzt werden. Rund 140 Mrd. Euro wird der Rüstungsmoloch allein für neue Waffen und Ausrüstungen in den kommenden zwei Jahrzehnten verschlingen.

Den heikelsten Punkt der neuen VPR verschwieg Struck der Öffentlichkeit. Wie stellt sich die Regierung zu den Plänen der US-Regierung, "Präventivkriege" - per se völkerrechtswidrig - zu führen, denen keine unmittelbare und gegenwärtige Bedrohung vorausgeht? Diskussionen im Vorfeld sowie die indirekte Unterstützung der sog. Bush-Doktrin des "Präventivschlages" in der Erklärung des NATO-Gipfels in Prag im November 2002 lassen befürchten, dass das "Revolutionäre" der neuen Richtlinien exakt in diesem völkerrechtswidrigen Punkt liegt.

Im Dezember letzten Jahres war Verteidigungsminister mit seinem umstrittenen Satz, dass die Verteidigung Deutschlands auch am Hindukusch stattfände, in die Kritik geraten. Dessen ungeachtet wiederholt er nun diesen Satz trotzig: "Der damals nicht unumstrittene Satz gilt: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." Die Friedensbewegung sieht in dieser völligen Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs sowohl einen Angriff auf das Völkerrecht als auch eine Verletzung des Grundgesetzes. Man stelle sich nur einmal vor, der Verteidigungsminister Chinas stellt eine neue Militärdoktrin auf, wonach sein Land auch "am Rhein" zu verteidigen sei.

Die "11 Kriterien" zur Neufassung der VPR passen nach Auffassung der Friedensbewegung nicht in die politische Landschaft. Wie will die Bundesregierung glaubhaft Widerstand gegen den drohenden Irak-Krieg leisten, wenn sie gleichzeitig die Bundeswehr für ähnliche Interventionen fit macht? Die Friedensbewegung wird sich dem Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee widersetzen. Über die Neufassung der VPR muss eine breite öffentliche Debatte stattfinden, die auch ihre Verfassungswidrigkeit thematisiert. Wer den Aufgabenschwerpunkt der Bundeswehr von der Verteidigung auf den "Einsatz jenseits unserer Grenzen" verlegen will, müsste dazu erst das Grundgesetz ändern.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag: Lühr Henken und Peter Strutynski (Sprecher) Hamburg und Kassel, 25. Februar 2003