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KZ-Aufseher kommt vielleicht bald in München vor Gericht

"Verfahren sehr problematisch"

Der NS-Aufseher Iwan Demjanjuk muss sich möglicherweise in München als Kriegsverbrecher vor Gericht verantworten. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg gab am Montag bekannt, ausreichend Beweismaterial für eine Anklage gesammelt zu haben. Behördenleiter Kurt Schrimm sagte, die Beweise stammten aus aufwendigen Recherchen in Archiven in Israel, in den USA und an verschiedenen Orten in Deutschland. Schrimm sprach von "völlig neuen Vorwürfen" gegen den gebürtigen Ukrainer. Dieser werde beschuldigt, im deutschen Vernichtungslager Sobibor auf polnischem Gebiet von 27. März bis 16. September 1943 an der Ermordung von mindestens 29.000 Menschen beteiligt gewesen zu sein, darunter 1900 deutschen Juden. Da es sich um ein reines Vernichtungslager gehandelt habe, könne die "Ausrede" nicht gelten, Demjanjuk sei als Aufseher nicht für Morde verantwortlich gewesen, sagte Schrimm.

Aufgrund der Recherchen der Zentralen Stelle ist es nach deren Angaben erstmalig möglich, die Opfer mit vollständigem Namen und Geburtsdatum zu benennen. Das älteste Opfer, das demnach in den Gaskammern in Sobibor gestorben sein soll, soll ein 99 Jahre alter Jude aus Holland gewesen sein. In allen Deportationszügen haben sich den Angaben zufolge Säuglinge und Kleinkinder befunden, die unmittelbar nach ihrer Ankunft vergast worden seien.

Eine mehrere Hundert Seiten umfassende Dokumentation soll der Münchner Staatsanwaltschaft demnächst zugehen. Der Münchner Leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld sagte, seine Behörde werde dann prüfen, ob sie überhaupt örtlich für Demjanjuk zuständig sei. Dabei komme es darauf an, ob er nach dem Krieg tatsächlich in einem bayerischen Flüchtlingslager seinen Wohnsitz hatte. Eine Entscheidung über die Annahme des Verfahrens werde sicher nicht mehr dieses Jahr fallen, sagte Schmidt-Sommerfeld.

Demjanjuk befindet sich den Angaben zufolge seit Jahren im Visier der Nazi-Jäger. Er soll nach Ende des Zweiten Weltkrieges unerkannt in dem Flüchtlingslager untergetaucht und 1952 in die USA ausgewandert sein. Als seine mutmaßliche Mitwirkung am Holocaust Ende der 1970er Jahre bekanntwurde, lieferten ihn die USA 1986 an den Staat Israel aus. Dort wurde er wegen seiner mutmaßlichen Tätigkeit als besonders grausamer Wachmann "Iwan der Schreckliche" im Vernichtungslager Treblinka angeklagt. 1988 wurde Demjanjuk zum Tode verurteilt.

Der Oberste Gerichtshof Israels sprach ihn allerdings 1993 wieder frei, weil nicht sicher geklärt werden konnte, ob er wirklich der berüchtigte "Iwan" war.

Schon damals gab es nach Angaben der Ludwigsburger Ermittlerbehörde Hinweise darauf, dass Demjanjuk als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor tätig war. Nach seiner Rückkehr in die USA wurde ihm deswegen erneut die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt.

Schmidt-Sommerfeld betonte, Verfahren gegen mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher seien durch den großen Zeitabstand "sehr problematisch". Viele Zeugen seien inzwischen verstorben. Zudem lasse das Erinnerungsvermögen der Überlebenden naturgemäß stark nach. Deshalb habe es letztens auch schon einen Freispruch gegeben.