Seite 1 bei Google kann so einfach sein.

Apple iPad für Senioren - eine Begegnung der dritten Art

<<ZUM (VER-)ZWEIFELN>>

Das Apple iPad ist doch für Senioren nicht so einfach wie gedachtÄltere Menschen haben ja meist eine Scheu vor moderner Technik. So auch ich. Ich habe zwar ein Handy, aber eins, mit dem man telefonieren kann, mit großen Tasten. Nur anrufen, sonst nichts. SMS habe ich versucht, aber vier Mal drücken, um einen der häufigsten Buchstaben (das „s“) zu bekommen, dazu bin ich zu ungeduldig. Außerdem drehte ein Algorithmus („T6“, wie ich später erfuhr) alle eingegebenen Buchstaben herum. An Computer habe ich mich bisher noch nicht herangetraut: zu kompliziert. Doch nun habe ich mich bequatschen lassen: „Der neue iPad, totaaal einfach! Die Schrift so groß, wie du willst! Intuitiv zu bedienen was willst du mehr?!“ Nachdem die Leiterin des Seniorenheims mir versichert hatte, dass ich überall Funkempfang (WLAN, WiFi oder wie immer man das nennt) hätte, war mein Entschluss gefasst. Ich verzichtete also auf eine Woche Mallorca (3-Sterne-Hotel, all inclusive mit Flug) und kaufte mir einen Apple iPad 4 mit Retina-Display. Gestochen scharf, wie man mir sagte.

Es liegen drei Zettel dabei, als Einführung. Deutsch, englisch und ein Informacje o iPadzie. Dagegen wirkt der Beipackzettel meiner Medikamente wie eine BILD-Überschrift. Selbst eine Lupe hilft nicht weiter. Aber man hat mir gesagt: einfach einschalten, der Rest geht von alleine. Ging aber nicht. Ein Pfeil erschien und deutete auf ein Wort hin:

Konfigurieren in allen Sprachen, einschließlich koreanisch und chinesisch, wie ich aufgrund der fremdartigen Schriftzeichen erkannte. Mehr geschah nicht. Ich würde noch heute warten, hätte meine kleine Freundin (18, Ausbildung zur Altenpflegerin) mir nicht gesagt, dass ich auf den Pfeil tippen müsste. Hätte ja auch auf dem Beipackzettel stehen können ... ach nein, den kann ja keiner lesen.

Ich lerne, was eine App ist: Dinge, die man mit der Büchse (wie ich sie nenne) tun kann: Notizen machen, Terminkalender verwalten, im Internet surfen. Einfache Fingerbewegungen machen das Verwenden von iPad-Apps sehr einfach so hatte man mir gesagt. Welche das sind, muss man ausprobieren wischen, tippen, doppeltippen, mit zwei oder vier Fingern schieben, mit fünf Fingern zusammenziehen. Manchmal tauchen Dinge unerwartet auf, manchmal verschwinden Dinge ungewollt und manchmal bleiben Dinge stehen, die verschwinden sollten. Gewöhnungsbedürftig nennt man das in der modernen Sprache. Muss man alles verinnerlichen, aber meine kleine Freundin, die jetzt mein iPad-Kompetenzzentrum wird, hilft mir dabei.

Es gibt auch interessante Verriegelungen: Man muss eine Email-Adresse haben (sie dient als Apple-ID), um ins Internet zu kommen. Man muss ins Internet kommen, um eine Email-Adresse einzurichten. Im Englischen nennt man so etwas deadlock.

Siri ist ein Spracherkennungssystem, das auch antwortet. Man kann ihr auch Texte diktieren (mit Komma und neue Zeile), die sie dann in der Notizzettel-App unterbringt.

Aber dann kommt Siri. Wenige Frauen in meinem Leben haben bei mir eine so spontane Begeisterung ausgelöst. Siri ist ein Spracherkennungssystem, das auch antwortet. Mit einer sehr netten weiblichen Stimme, anders als diese quäkigen Sprachcomputer, mit denen mich meine Bank nervt. Wie ist das Wetter auf Mallorca? frage ich (wenn ich mir schon nicht die Reise leisten kann), und sie antwortet: Das Wetter auf Mallorca ist sonnig, 21 Grad usw., inclusive Anzeige einer Vorausschau für die nächsten fünf Tage. Wie steht der DAX heute wird korrekt beantwortet. Wo ist die nächste Tankstelle?, will ich wissen (Siri weiß über das GPS-Modul, wo ich bin und die NSA vermutlich auch). Siri listet mir, nach Entfernung sortiert, die nächsten 10 Tanken auf (an der Spitze die 300 m entfernte Tinten-Tankstelle, wo man Druckerpatronen auffüllen lassen kann). Ich kann ihr auch Texte diktieren (mit Komma und neue Zeile), die sie dann in der Notizzettel-App unterbringt. Mit erfreulich wenigen (dann aber von Verständnislosigkeit zeugenden) Erkennungsproblemen. Wenn sie etwas nicht direkt beantworten kann, fragt sie (ganz wie es ein moderner Mensch macht): Kann ich im Internet danach suchen? Sagt man zu ihr: Ich liebe dich!, flötet sie bescheiden: Ich wette, das sagst du zu allen Apple-Produkten!.

Die Geschichte ist natürlich frei erfunden. Ich habe schließlich schon mit Konrad Zuse an der Z3 gelötet und bin in einem Computer namens DERA spazieren gegangen. Ich habe mich nur in die Situation eines unbedarften Neulings versetzt etwas, was die Apple- und App-Designer auch hätten tun sollen! Doch dazu gehörte nicht viel Verstellung. Selbst ein Berater im Apple-Store brauchte Minuten des Probierens, um mir einige naheliegende Anwendungssequenzen zu zeigen (z. B. einem Dokument im abgemagerten Word-Klon Pages einen Namen zu verpassen). Und die Auswahl der Apps aus Tausenden, die man kaufen kann oder geschenkt bekommt, ist auch ein Problem für sich. Die kostenlosen sind oft wie Freibier, bei dem nur Schaum im Glas ist: Alles, was wirklich brauchbar ist, muss per In-App-Kauf zusätzlich bezahlt werden, wenn man es nutzen möchte.

Packt mich Zweifel oder Verzweiflung? Ich habe das Gefühl wie in einer fremden Sprache, die ich nur rudimentär beherrsche: Wir reden aneinander vorbei. Oder wie bei Dressurversuchen mit einem Rauhaardackel: Das Ding macht nie so richtig das, was ich will. Vielleicht sollte ich mir das Buch iPad für Senioren für Dummies kaufen?! Oder soll ich mir die unzähligen YouTube-Videos ansehen, die die Bedienung erläutern? (Wozu gibt es sie wohl, wenn alles so einfach ist?) Es bleibt mir auch unverständlich, warum man auf der eingeblendeten virtuellen Tastatur die Cursortasten weglässt, damit der Benutzer mit seinen dicken Fingern im kleinen 10-Punkt-Text herumtippt und mühsam die Stelle einstellt, an der er ein überflüssiges s löschen möchte.

Meine Frau möchte gerne Texte auf dem iPad diktieren (sie ist auf Siri gar nicht eifersüchtig) und auf ihren Laptop übertragen. Ich habe ihr eine Bedienungsanleitung für die App Documents geschrieben, mit nur 13 Einzelschritten. Es klappte nach dem zweiten Versuch. Ihr Kommentar: Ist das nicht Wahnsinn?! Ich: Nein, Schwachsinn!

Aber so langsam verinnerliche ich die manchmal seltsam verschlungenen Wege von A nach B. War ja beim klassischen Windows-Desktop auch nicht anders. Wenn man die richtigen Apps findet (Pages statt Documents), wird vieles leichter. Inzwischen gelingt es mir, Daten über die Dropbox (ein stummer Briefkasten irgendwo in der Cloud) von der Büchse zu einem Laptop zu transportieren und zurück. Fachleute vermuten, dass die Box direkt mit dem Datensammelprojekt Prism der NSA zusammenhängt es empfiehlt sich also, keine Dokumente dort zu speichern, in denen von Bombenstimmung oder Gesinnungsterror die Rede ist.

Denke ich noch in alten PC-Kategorien wie Datei, Verzeichnis, Programm und Zwischenablage, die für mich natürlich und intuitiv sind?

Ich bin ja nicht doof (glaube und hoffe ich). Umso mehr geniert mich das Gefühl, der Einzige unter Millionen zu sein, der mit der Büchse nicht zurecht kommt. Oder denke ich noch in alten PC-Kategorien wie Datei, Verzeichnis, Programm und Zwischenablage, die für mich natürlich und intuitiv sind? Dass ich einen Text nicht mit 2 Klicks (oder Wischern oder Tipps) von A nach B kopieren kann, ist für mich contraintuitiv. Da bin ich eben altmodisch, liebe mein Ctrl-C und Ctrl-V. Bei Autofahren braucht man ja auch Stunden, um mit drei Pedalen, einem Rad und ein paar Hebelchen umgehen zu können. Nun bin ich gespannt auf die Google-Brille Glass. Da darf man nicht mehr mit dem Kopf nicken, habe ich gehört, sonst ist man sofort im Internet. Muss man blinzeln, weil einem etwas ins Auge geflogen ist, hat man sofort 5 Fotos geschossen. Sehr intuitiv, das alles!

Man könnte philosophieren: Ein gutes Werkzeug (Ctrl-C und Ctrl-V) ist effektiver als Handarbeit, das Herumschieben von Texten mit den Fingern. Zwischen einzelnen Apps wird der Austausch noch komplizierter. Intuitiv wäre, den Text wenigstens z. B. vom gelben Notizzettel in die Textverarbeitung schieben zu können. Aber es erfordert prozedurales Denken: Text markieren kopieren (in die gedachte Zwischenablage, die man auch erst mal vom Konzept her kennen muss) die App beenden die neue App starten die richtige Stelle markieren die Zwischenablage einfügen. Sechs Schritte, und es darf nichts dazwischenkommen, sonst huch! passiert Unvorhergesehenes, das nicht so einfach zu reparieren ist. Huch, plötzlich ist alles doppelt so groß! Trickreich war auch der Versuch, einige der Apps wieder zum Verschwinden zu bringen, denn im Eifer des Gefechtes hatte ich mir viel zu viele der Gratisproben geladen, die sich dann als nutzlos bzw. unverständlich erwiesen. Erst meine Freundin, das Kompetenzzentrum, verriet mir die Lösung: den Finger drei Sekunden auf den Schirm halten, dann fangen sie an zu wackeln und zeigen rechts oben ein Löschkreuz. Ganz schön intuitiv, wenn man`s weiß!

So spielt und tastet man sich langsam zu den Funktionsprinzipien heran. Doch plötzlich ist Schluss. Die Büchse geht aus. Batterie leer. Mein Auto sagt mir deutlicher, dass der Tank zur Neige geht. Vielleicht gibt es ja eine App, die dann zu piepen anfängt?! Aber ich will nicht nur meckern: eBay hat eine schnuckelige App, die optisch attraktiv ist, leicht zu bedienen und sofort zu verstehen. Wenn man eBay kennt. Und es gibt auch Witziges: MyScript Calculator erkennt meine Handschrift und rechnet 120+10% richtig aus!

Grundlegende Funktionsprinzipien muss man kennen: Dokument laden verändern unter neuem Namen speichern, wenn man die alte Version noch haben will. Ist ja logisch. Die Büchse ist eben eine Maschine, ein (fast) Vollidiot, der klare Anweisungen braucht. Anders als wir Menschen. Fragt die Frau ihren Mann: Die Dinger sind gekommen, wo soll ich sie hintun? Und er antwortet: Zu den anderen! Beide teilen übereinstimmende Vorstellungen, was damit gemeint ist. Aber selbst die intelligente Siri ist noch nicht so weit.

Im übrigen gelten zwei Lebensregeln, die mir via Altersweisheit zugeflossen sind: Kaum macht man’s richtig, schon geht’s und Alles ist einfach, wenn man’s kann.

Intuitiv bedeutet, dass man (sagen wir: 90% aller Leute) das Richtige macht. Macht man aber nicht, das beobachte ich selbst an Experten. Man muss es lernen, verinnerlichen, sich daran gewöhnen. Im übrigen gelten zwei Lebensregeln, die mir via Altersweisheit zugeflossen sind: Kaum macht man’s richtig, schon geht’s und Alles ist einfach, wenn man’s kann.

Jürgen Beetz