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Reaktionen auf die Terroranschläge in den USA

Der Tag danach

Der Bundessicherheitsrat ist am Mittwochvormittag in Berlin erneut zusammengetreten. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) will die Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie die Öffentlichkeit am Mittag über die Ergebnisse informieren. Am Nachmittag wird Gerhard Schröder dem neuen amerikanischen Botschafter Dan Coats einen Kondolenzbesuch abstatten. Coats hatte mit seiner Frau am Vormittag die Regierungserklärung des Kanzlers im Bundestag verfolgt. Nach dem ökumenischen Trauergottesdienst am Vormittag in er Berliner St. Hedwigs Kathedrale wird sich Schröder zudem mit Bundespräsident Johannes Rau treffen, um die Lage zu erörtern. Rau hatte am Dienstag seine Skandinavien-Reise abgebrochen und war nach Berlin zurückgekehrt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bot den Vereinigten Staaten "jede gewünschte Hilfe" bei der Ermittlung und Verfolgung der Drahtzieher an. Die Vorsitzenden aller Fraktionen sicherten den USA nachdrücklich die Solidarität der Abgeordneten und ihrer Parteien zu. Das Parlament verschob seine am Dienstag unterbrochenen Haushaltsberatungen auf die kommende Sitzungswoche.

In einer Regierungserklärung sprach Schröder von einem "nie da gewesenen Terroranschlag".Er versicherte: "Die Menschen in Deutschland stehen in dieser schweren Stunde fest an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika." Schröder verwies darauf, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften dazu aufgerufen haben, am Donnerstag um 10.00 Uhr für fünf Minuten die Arbeit ruhen zu lassen. Die Bundesregierung werde diesem Aufruf im Bereich der Bundesinstitutionen folgen.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) betonte in Berlin, die Anschläge in den USA machten eine "umfassende Sicherheitspolitik" notwendig. Es sei zu überlegen, wie die Zusammenarbeit der Geheimdienste, der Sicherheitsbehörden und die Maßnahmen zur Sicherheit des Luftraumes verbessert werden könnten. Ziel müsse es sein, die Prävention gegen Terroranschläge zu verbessern, sagte Scharping.

Die Verteidigungsexpertin der Grünen, Angelika Beer, fürchtet nach dem Terrorangriff auf die Vereinigten Staaten Vergeltungsschläge der USA. Sie habe Angst, dass "aus der Hilflosigkeit einer im Herzen getroffenen Weltmacht" möglicherweise Reaktionen folgen könnten, die eine neue Spirale der Gewalt auslösen würden, sagte Beer am Mittwoch in der ARD.

Militärische Gewalt sei nicht die Antwort auf "diese neue Situation, in der sich unsere Welt befindet". Sie mahnte, nicht vorschnell zu verurteilen und über die Hintergründe der Terroranschläge zu spekulieren, sondern auf gesicherte Erkenntnisse zu warten. Zugleich betonte sie, dass es sich nicht um einen Angriff auf die Amerikaner gehandelt habe, "sondern auf jeden von uns in der Zivilisation".

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) schließt Attentate auch in Deutschland nicht aus. Es gebe zurzeit keine konkreten Hinweise, "aber wir müssen leider damit rechnen, dass dieser Terror apokalyptischen Ausmaßes auch Auswirkungen hierzulande haben wird", sagte Bosbach im F.A.Z.-Businessradio. Deshalb müsse über längere Zeit ein hoher Sicherheitsstandard aufrechterhalten werden. Er gehe davon aus, dass jetzt "auf nationaler Ebene ein Krisenstab gebildet wird, der Vorschläge an die Politik erarbeitet", sagte Bosbach.

Terroranschläge in den USA

Die rund 370 im World Trade Center (WTC) beschäftigten Mitarbeiter der Deutsche Bank in New York sind bei dem Terroranschlag offenbar nicht zu Schaden gekommen. Darauf deute der bisherige Kenntnisstand hin, sagte ein Sprecher der Deutschen Bank am Mittwoch auf Anfrage von vwd. Die Mitarbeiter hätten in mehreren Etagen im unteren Teil des Wolkenkratzers gearbeitet und seien am Tag des Anschlags nach bisherigen Informationen rechtzeitig evakuiert worden.

Auch die fünf nach den Terror-Anschlägen in New York zunächst vermissten Mitarbeiter der Siemens AG sind wohlauf. Sie hätten sich beim Unternehmen gemeldet, sagte ein Sprecher am Mittwoch in München. Von den insgesamt 73 Mitarbeitern des Technologiekonzern, die ihre Büros im World Trade Center hatten, habe einer schwere Verletzungen durch herabstürzende Trümmerteile erlitten.

Am 12. Sep. 2001

Zu den Terroranschlägen in den USA

Auszüge aus der Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Der gestrige 11. September 2001 wird als ein schwarzer Tag für uns alle in die Geschichte eingehen. Noch heute sind wir fassungslos angesichts eines nie dagewesenen Terroranschlags auf das, was unsere Welt im Innersten zusammenhält. Wir wissen noch nicht, wer hinter dieser Kriegserklärung an die zivilisierte Völkergemeinschaft steht. Wir wissen noch nicht einmal, wie viel Tausende ganz und gar unschuldige Menschen den feigen Attentaten zum Opfer gefallen sind. Was wir wissen und erfahren ist aber, jetzt geht es darum, unser Mitgefühl, unsere Solidarität zu zeigen. Solidarität mit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika, und zwar Solidarität aller, die für Frieden und Freiheit einstehen in Deutschland, in Europa, überall auf der Welt."

"Ich habe dem amerikanischen Präsidenten das tief empfundene Beileid des gesamten deutschen Volkes ausgesprochen. Ich habe ihm auch die uneingeschränkte, und ich betone die uneingeschränkte, Solidarität Deutschlands zugesichert. Unser aller Gedenken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Ihnen gilt unser ganzes Mitgefühl, unsere gesamte Anteilnahme. Ich möchte hier auch in Anwesenheit des neuen amerikanischen Botschafters Don Coats noch einmal ausdrücklich versichern: Die Menschen in Deutschland stehen in dieser schweren Stunde fest an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika. Selbstverständlich bieten wir den Bürgern und Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika jede gewünschte Hilfe an, natürlich auch bei der Ermittlung und Verfolgung der Urheber und Drahtzieher dieser niederträchtigen Attentate."

"Bei meinem Gespräch mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden am gestrigen Abend bestand völlige Einmütigkeit darüber, dass diese außergewöhnliche Situation das Zusammenstehen aller Demokraten erfordert. Die gestrigen Anschläge in New York und in Washington sind nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt, das wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben - dies stellt die Grundregeln unserer Zivilisation in Frage, bedroht unmittelbar die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens in Freiheit und Sicherheit, all das also, was in Generationen aufgebaut wurde. Wir werden diese Werte gemeinsam, sei es in Amerika, sei es in Europa oder wo auch immer in der Welt, nicht zerstören lassen. In Wirklichkeit - das zeigt sich immer mehr - sind wir bereits eine Welt. Deshalb sind die Anschläge in New York, dem Sitz der Vereinten Nationen, und in Washington gegen uns alle gerichtet. Der gestrige terroristische Angriff hat uns noch einmal vor Augen geführt, Sicherheit ist in unserer Welt nicht teilbar. Sie ist nur zu erreichen, wenn wir noch enger für unsere Werte zusammenstehen und bei ihrer Durchsetzung zusammenarbeiten."

Wir müssen nun rasch noch wirksamere Maßnahmen ergreifen, um dem Terrorismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Wer Terroristen hilft oder sie unterstützt, verstößt gegen alle fundamentalen Werte des Zusammenlebens der Völker. Ich habe noch gestern Abend mit dem französischen Staatspräsidenten Chirac und dem Ministerpräsidenten Jospin, mit dem britischen Premierminister Blair und dem russischen Präsidenten Putin gesprochen. Wir sind uns in der Bewertung einig, dass dieser Terrorakt eine Kriegserklärung an die freie Welt bedeutet."

"Viele Menschen werden sich fragen, was bedeuten diese Anschläge für uns in Deutschland. Ich habe gestern Abend unverzüglich eine Sitzung des Bundessicherheitsrates einberufen. Wir haben auf der Grundlage der uns zugänglichen Informationen die Lage eingehend analysiert. Derzeit liegen keine Hinweise auf eine außerordentliche Bedrohung der Sicherheit unseres Landes vor. Gleichwohl, wir haben zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die zum Schutz der Menschen in unserem Land erforderlich sind. Das betrifft insbesondere die Sicherheit des Luftraums und den Flugverkehr sowie den Schutz amerikanischer und anderer herausgehobener Einrichtungen. Darüber hinaus werden wir gemeinsam überlegen müssen, welche längerfristigen Konsequenzen aus diesen fürchterlichen Anschlägen zu ziehen sind."

"Ich bin davon überzeugt, gemeinsam werden wir uns dieser verbrecherischen Herausforderung gewachsen zeigen. Freiheit und Demokratie, die Werte des friedlichen Zusammenlebens der Menschen und der Völker, sie werden diese Prüfung bestehen."

Am 12. Sep. 2001

Der zweite Tag danach

Auf der Suche nach den Drahtziehern der Anschläge in den USA führt eine Spur nach Hamburg. Die Polizei nahm in der Nacht zu Donnerstag eine Frau aus einer Wohnung im Stadtteil Harburg mit, um sie als Zeugin zu vernehmen. Zudem durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes in demselben Stadtteil eine leer stehende Wohnung. Dort lebten möglicherweise bis zum Frühjahr dieses Jahres mehrere Männer arabischer Herkunft, die in Verbindung mit den Anschlägen stehen könnten. Generalbundesanwalt Kay Nehm zog inzwischen die Ermittlungen an sich, wie ein Hamburger Polizeisprecher bestätigte. Als hauptverantwortlich für die Anschläge gilt nach wie vor der aus Saudi-Arabien stammende Terrorist Osama Bin Laden.

Angesichts der Terrorwelle in den USA stellen sich Deutschland und die übrigen NATO-Partner hinter mögliche Militäraktionen der Vereinigten Staaten. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte am Mittwochabend in Berlin, Deutschland trage die NATO-Entscheidung über den kollektiven Verteidigungsfall im Bündnis mit. Der NATO-Rat hatte sich zuvor nach Angaben von NATO-Generalsekretär George Robertson in Brüssel auf ein In-Kraft-Treten von Artikel 5 des NATO-Gründungsvertrages geeinigt. Danach sind die Mitglieder im Falle eines Angriffs auf einen Staat zur gemeinsamen Verteidigung verpflichtet.

Schröder unterstrich, "es geht hier um die Verteidigung all dessen, was unsere freiheitliche und offene Gesellschaft im Kern begründet". Da die Urheber der Terrorakte bisher nicht feststünden, habe die NATO noch keine konkreten Aktionen beschlossen. Schröder betonte, dass Parlament werde in jedem Fall mit Entscheidungen über eine deutsche Beteiligung an NATO-Maßnahmen befasst.

In den USA wurden mehrere Verdächtige festgenommen. Unterdessen bestätigte US-Justizminister John Ashcroft, dass sich die Anschläge vom Dienstag auch gezielt gegen Präsident George W. Bush richteten. Ziele der Angriffe waren nach seinen Angaben unter anderem das Weiße Haus und die Präsidentenmaschine "Air Force One". Einige der Flugzeugentführer seien als Piloten in den USA ausgebildet worden. An Bord des Flugzeuges, das in der Nähe von Pittsburgh abstürzte, stellten sich Passagiere nach einem Bericht der "Washington Post" den Entführern in den Weg.

Der stark beschädigte Komplex des World Trade Center stürzte in der Nacht zu Donnerstag immer weiter zusammen. Nach Fernsehberichten brachen der Rest des Südturms des New Yorker Wahrzeichens und ein benachbartes 226 Meter hohes Gebäude vollständig ein. Bisher sind aus den Trümmern neun Überlebende geborgen worden. Die Zahl der Todesopfer geht nach Schätzungen der Behörden in die Tausende. Darunter befinden sich mindestens vier Deutsche. Ein weiterer deutscher Geschäftsmann wird seit seinem Termin am Dienstag im World Trade Center vermisst. Die Bioinformatik-Firma Lion Bioscience hat zu ihrem Finanzvorstand Klaus J. Sprockamp keinen Kontakt mehr, bestätigte der Vorstandsvorsitzende Friedrich von Bohlen.

Unter den Trümmern des Pentagon werden bis zu 800 Tote vermutet. Das Empire State Building war am Donnerstagmorgen (MEZ) offenbar Ziel einer Bombendrohung. Das Gebäude und die Pennsylvania Station wurden kurzzeitig evakuiert, meldete der Nachrichtensender n-tv. Inzwischen gebe es Entwarnung. Das Flugverbot über den Vereinigten Staaten bleibt bis auf weiteres bestehen. Die am Dienstag nach den Anschlägen umgeleiteten Flüge dürfen aber jetzt in den USA landen.

Für Rettungsarbeiten, Reparaturen und Schutzmaßnahmen gegen terroristische Angriffe will der US-Kongress Soforthilfen in Höhe von 20 Milliarden Dollar bewilligen. Der Vorsitzende des Bewilligungsausschusses, Bill Young, will einen entsprechenden Antrag in den Kongress einbringen.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt und der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger rechnen unterdessen mit heftigen Gegenschlägen der USA. Wenn die Hintermänner der Anschläge von einem Staat unterstützt wurden, "kann dies den Kriegsfall bedeuten", sagte Schmidt. Kissinger sagte: "Ich bin sicher, dass Amerika sehr energisch zurückschlagen wird."

Als Konsequenz aus den Terroranschlägen in den USA fordert EU-Kommissar Günter Verheugen eine Überprüfung des Sicherheitskonzeptes in Europa. Neben Verbesserungen der polizeilichen Zusammenarbeit müsse die Europäische Union die Prävention schwelender Konflikte "viel ernsthafter betreiben". Der EU-Erweiterungskommissar warnte davor, die Anschläge in den USA als Indiz für bevorstehende Konflikte zwischen dem Islam und dem Westen zu werten. Die islamische Welt dürfe nicht mit einer radikalen Minderheit gleichgesetzt werden.

Die deutsche Sektion der Hilfsorganisation Shelter Now sorgt sich wegen möglicher Luftschläge der USA gegen Afghanistan um die acht in Kabul inhaftierten westlichen Mitarbeiter. Es bestehe die Gefahr, dass diese als "menschliche Schutzschilde" missbraucht werden, sagte der Vorsitzende von Shelter Now Germany, Udo Stolte.

Am 13. Sep. 2001