Eins abgeschaltet, andere Atomkraftwerke laufen länger
Stade ist vom Netz
"Jedes abgeschaltete Atomkraftwerk ist besser als ein Laufendes", sagte zwar Renate Backhaus, Atomexpertin im BUND-Bundesvorstand. Bei einem abgeschalteten könne zumindest kein schwerer Störfall mehr eintreten. "Der Trick mit der Strommengenübertragung führt aber dazu, dass andere gefährliche Reaktoren länger laufen können", kritisierte Backhaus. So sei die Abschaltung des alten und unsicheren Reaktors in Obrigheim verzögert worden, indem eine Strommenge in Höhe von 5500 Gigawattstunden vom AKW Philippsburg auf diesen Reaktor übertragen wurde. "Nur mit einem Sofortausstieg wird das Problem der Endlagerung des anfallenden Atommülls überschaubar, nur dann sinken die Unfall- und Terrorgefahren", kritisierte die BUND-Sprecherin den "Atomkonsens" zwischen AKW-Betreibern und Bundesregierung. "Wir feiern nicht, wenn das erste - sondern wenn das letzte AKW vom Netz geht."
Der "Atomkonsens" stehe außerdem nach wie vor auf wackligen Füßen. CDU-Chefin Angela Merkel habe bereits angekündigt, die Strommengen-Begrenzung für Atomkraftwerke nach einer Regierungsübernahme aufzuheben. Kommende Bundesregierungen könnten jederzeit eine weitere Nutzung der Atomenergie beschließen. Hinzu komme, dass der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke den Umstieg in andere Strukturen der Energieversorgung zum Teil bremse. Ergebnis seien Verzögerungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien und bei der Optimierung der Energieeffizienz.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hielt Befürchtungen um eine Aufkündigung des Atomkonsenses nach einem möglichen Regierungswechsel entgegen, die Wettbewerbssituation mache einen Neubau von Atomkraftwerken unwirtschaftlich. Im Gegenteil könne mit einer modernen Windkraftanlage heute Strom wesentlich günstiger produziert werden als in jedem neuen Atomkraftwerk. Es sei klar, dass niemand in neue Kraftwerke investieren werde. Dies erkennen auch Atomkraftgegner an - sie befürchten allerdings den Weiterbetrieb der alten Meiler. Bereits in der Vergangenheit haben AKW-Betreiber offensichtlich aus Kostengründen massiv gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der E.ON Kernkraft, Walter Hohlefelder, betonte, Stade wäre auch ohne Atomkonsens stillgelegt worden. Das mit 630 Megawatt kleinste von E.ON betriebene Kraftwerk sei durch die Liberalisierung des Strommarktes "in die Unwirtschaftlichkeit gerutscht". Nach dem Atomkonsens hätte Stade bis 2004 am Netz bleiben können. Die Entscheidung zur Abschaltung sei bereits im Oktober 2000, also schon vor dem 2001 zwischen der Industrie und der Bundesregierung ausgehandelten Atomkonsens, gefallen.Am Rande der Ausstiegs-Feier führender Grünen-Politiker demonstrierten in Berlin einige Atomkraftgegner für einen schnelleren Atomausstieg. Sie kritisierten, dies sei kein Tag zum Feiern, da die Menge des produzierten Abfalls in den deutschen Anlagen nicht geringer werde.
Die Rückbauarbeiten am AKW Stade werden nach Angaben des Betreibers E.ON bis 2015 dauern.