Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf sagte, die lückenlose Aufklärung von Ursache und Ablauf des Störfalls sowie die Prüfung seiner Übertragbarkeit auf bayerische Kernkraftwerke hätten höchste Priorität. Schnappauf forderte daher "das für auswärtige Angelegenheiten der Kernenergie zuständige Bundesumweltministerium" nachdrücklich auf, "Detailinformationen über Ursache und Ablauf des Störfalls schnellstens für weitergehende Untersuchungen zu übermitteln und darauf hinzuwirken, dass der internationale Informationsfluss auf dem Gebiet der Kernenergie weiter verbessert wird".
TÜV hält direkte Wiederholung für ausgeschlossen
Der TÜV Süd hält eine direkte Wiederholung der Geschehnisse in Forsmark in den bayerischen Atomkraftwerken für ausgeschlossen: "Zusammenfassend kommen wir aufgrund der vorstehenden Ausführungen zur Notstromversorgung der bayerischen Kernkraftwerke sowie der uns bisher vorliegenden Informationen zu dem Ergebnis, dass Spannungsimpulse und Überspannungen im Netz nicht zu einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Notstromversorgung wie in der Anlage Forsmark 1 führen können, da die Notstromsysteme der bayerischen Kernkraftwerke sich hinsichtlich Konzeption und Aufbau von den Einrichtungen in der Anlage Forsmark 1 unterscheiden." Damit sei eine "unmittelbare" Übertragbarkeit der Ereignisse in der Anlage Forsmark 1 auf die bayerischen Kernkraftwerke nach derzeitigem Kenntnisstand nicht gegeben.
In Niedersachen wurde als Grund für die fehlende direkte Übertragbarkeit genannt, "dass in den niedersächsischen Anlagen die Leittechnik und Instrumentierung von Sicherheitssystemen direkt von den batteriegesicherten Gleichstromschienen und nicht von den zugehörigen Wechselstromschienen versorgt werden". Darunter fielen in erster Linie auch die Verbraucher, welche für die Zuschaltung und den Betrieb der Notstromdieselaggregate erforderlich seien. "Selbst bei einem unterstellten Ausfall von Gleich- und Wechselrichtern wäre die Zuschaltung der Notstromdiesel nicht behindert. Gegen den gleichzeitigen Ausfall von Gleich- und Wechselrichtern sind die Abschaltgrenzwerte mit so großem Sicherheitsabstand eingestellt, so dass es bei Überspannungen nicht zu einer gleichzeitigen Abschaltung von Gleich- und Wechselrichtern kommen kann." Dieses "bessere Sicherheitskonzept" schließe "einen ähnlichen Vorfall" in Niedersachsen aus, so Sander.
Notstromfälle im Atomkraftwerk Biblis
Die hessische Atomaufsicht teilte mit, dass sich nach einer "Ersteinschätzung" des TÜV Nord vom 4. August die Notstromversorgung der Sicherheitsleittechnik im Atomkraftwerk Biblis gegenüber der von Forsmark konzeptionell unter anderem durch Batterien unterscheide, "die eine wesentlich höhere Kapazität besitzen". Dies führe zu einer "vergleichsweise höheren Zuverlässigkeit" des automatischen Starts der vier Notstromdiesel in Biblis und zu einer höheren Verfügbarkeit der Leittechnik.
Trotz allem werde derzeit die Verfügbarkeit der Notstromversorgung des Atomkraftwerks Biblis überprüft. Weiterhin heißt es in der Stellungnahme: "Die Hessische Atomaufsichtsbehörde weist daraufhin, dass in den vergangenen zwanzig Jahren im Kernkraftwerk Biblis nur zwei Notstromfälle in den Jahren 1988 und 2004 aufgetreten sind. In beiden Fällen hat die Notstromversorgung durch die Notstromdiesel einwandfrei funktioniert."
Diese Aussage findet die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW "bemerkenswert": Betrachte man statt eines Zeitraumes von 20 Jahren einen Zeitraum von 20 Jahren und wenigen Monaten, "dann hat man mit dem Notstromfall am 4. Mai 1986, nur wenige Tage nach der Katastrophe in Tschernobyl, noch einen dritten Notstromfall", merkt die Organisation kritisch an. "Auslöser war nichts weiter als ein Blitzschlag. Beim doppelten Notstromfall 1998 in Biblis A und B war es die Explosion eines 220-kV-Stromspannungswandlers. Beim Notstromfall am 8. Februar 2004 genügte ein Sturm, dass es in der Anlage zu einer gefährlichen Verkettung von Fehlern in der Kraftwerkssteuerung kam."
Die IPPNW kritisiert, dass die Behörden ihren Blickwinkel auf die Notstromversorgung beschränkten und "die grundlegende Sicherheitslücke" ignorierten, "wonach es aufgrund von Kurzschlüssen und Unwettern überhaupt erst zu äußerst gefährlichen Anlagenzuständen kommen kann". Außerdem werde "stillschweigend hingenommen, dass der so genannte Lastabwurf auf Eigenbedarf in deutschen Atomkraftwerken zur Stromversorgung über den Kraftwerks-eigenen Generator sehr häufig misslingt. Drittens vereinfacht man für die Öffentlichkeit die vielfältigen Detailprobleme im Bereich der Notstromversorgung und insbesondere die Gefahren, die von redundanzübergreifenden Fehlern bei der Wartung der Anlagen ausgehen."
IPPNW: 17 Prozent der meldepflichtigen Ereignisse in Deutschland betreffen die Notstromversorgung
Im Jahr 2005 hätten 17 Prozent aller offiziell gemeldeten Vorkommnisse die Notstromversorgung und hierbei insbesondere die Notstromdieselaggregate betroffen. Das zeigt nach Auffassung der Atomkritiker, "dass es sich hierbei um ein äußerst fehlerträchtiges Sicherheitssystem handelt, das jederzeit versagen kann."
Nach Darstellung der IPPNW gibt es in den deutschen Atomkraftwerken "im Bereich der Notstromversorgung ganz erhebliche Sicherheitsdefizite im Detail", die bei einer Verkettung ungünstiger Umstände zur Katastrophe führen können. "Über diese zahlreichen Sicherheitslücken sprechen die Behörden und die Betreiber natürlich nicht gerne in der Öffentlichkeit."
Länder kritisieren Informationspolitik des Bundesumweltministeriums
Die Länder kritisierten die späte Weitergabe von Informationen über den Störfall in Schweden. In einem Brief an das Bundesumweltministerium kritisierte Niedersachsen, dass erste einigermaßen belastbare Informationen durch das Bundesumweltministerium und die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) erst am Montag eingegangen seien. "Und das, obwohl die GRS als auch das Bundesumweltministerium über die Meldung nach dem Internationalen Meldesystem INES seit dem 26. Juli Kenntnis von dem Störfall haben mussten."
Eine gründliche und sachgerechte Prüfung der vom Bundesumweltminister gestellten Anforderungen sei nur möglich, wenn die Länder umfassend und kurzfristig über den Störfall, seinen Ablauf und die Konsequenzen unterrichtet würden, heißt es in dem Schreiben. "Wir erwarten, dass der Informationsfluss in die Länder künftig verbessert wird", so Sander.