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Zypries: Strafrecht im Kampf gegen Rechtsextremismus

Presseinformation

ngo-online dokumentiert die Presseinformation des Bundesjustizministeriums mit dem Titel "Zypries: Strafrecht im Kampf gegen Rechtsextremismus" vom 11. Februar 2005 im Wortlaut (Hervorhebungen zum Teil abweichend vom Original):

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erklärt aus Anlass der heutigen Vorstellung der Gesetzesinitiative zu Verschärfung des Strafrechts:

"Die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit genießen in unserem Land aus gutem Grund Verfassungsrang. Beide sind unverzichtbarer Teil des demokratischen Rechtsstaats. Sie gewährleisten, dass Bürgerinnen und Bürgern am politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess teilhaben, auf Missstände aufmerksam machen und Veränderungen einfordern können. Die verfassungsrechtliche Absicherung dieser Rechte ist nicht zuletzt eine Reaktion und ein Sicherungsmechanismus gegen eine staatlich verordnete Gleichschaltung des Meinungsbildungsprozesses, die kennzeichnend für das NS-Regime war. Wegen der herausragenden Bedeutung dieser beiden Grundrechte für die Demokratie war der Staat bisher sehr zurückhaltend, diese Grundrechte über das geltende Recht hinaus weiter einzuschränken.

Jüngere Entwicklungen im rechtsextremistischen Lager haben die Situation verändert. Nach dem letzten Verfassungsschutzbericht ist die Zahl der Neonazis im Vergleich zum Vorjahr um 15 % gestiegen (von 2.600 auf 3.000), gleichzeitig gestiegen ist der Organisationsgrad (95 statt 72 Gruppierungen). Äußerlich sichtbar wird das Zusammenrücken der rechtsextremistischen Szene durch angekündigte Wahlbündnisse von DVU und den Republikanern mit der NPD.

Wenn wir nun die Gesamtheit dieser Entwicklung zum Anlass nehmen, das Strafrecht zu verschärfen, dann bedeutet dies nicht, dass wir das Strafrecht zum Mittel der Bekämpfung eines politischen Gegners erheben. Rechtliche Maßnahmen machen die politische Auseinandersetzung keinesfalls entbehrlich, sondern sind nur ein Beitrag im Kampf gegen Antisemitismus und Rassenhass. Aber eines ist klar: Wir sind es den Opfern des verbrecherischen NS-Regimes schuldig, die Möglichkeiten, die uns das Strafrecht lässt, auszuschöpfen. Rechtsextremisten dürfen nicht von Strafbarkeitslücken profitieren. Sie dürfen nicht ungestraft ein menschenverachtendes System rühmen oder verharmlosen können. Die Grenze der Meinungsfreiheit ist überschritten, wenn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit die Opfer des Holocaust verhöhnt oder die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost und dadurch der öffentliche Friede gefährdet wird.

Das gebietet unsere Verantwortung aus der deutschen Geschichte ebenso wie die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes. Sie verpflichtet uns, ein solches Verhalten nicht länger folgenlos hinzunehmen. Mit Blick darauf, dass die Rechtsextremen verstärkt versuchen, in Schulen für ihre Ideen zu werben, soll die Verschärfung des Strafrechts nicht zuletzt ein Signal vor allem an junge Menschen sein. Das Strafrecht zieht eine klare Grenze zwischen dem, was erlaubt ist und dem, was verboten ist.

Uns allen ist bewusst, dass wir im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz vor allem die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung suchen und führen müssen. Das geht alle an – die Gesellschaft als ganzes. Dabei geht es nicht nur um öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Demonstrationen, sondern es gilt vor allem dem Rassismus im Alltag die Stirn zu bieten. Das heißt beispielsweise sich einzumischen, wenn in der U-Bahn Ausländer angepöbelt oder am Stammtisch Judenwitze gerissen werden. Und es heißt auch entschieden zu widersprechen, wenn die braunen Rattenfänger Menschen glauben machen wollen, unsere Arbeitsmarktprobleme seien schnell gelöst, wenn man nur alle ausländischen Mitbürger in ihre Heimat zurückschickte. Gerade weil die Rechtsextremen versuchen, im Umfeld von Schulen Sympathisanten für braunes Gedankengut zu gewinnen, müssen wir Politiker noch viel mehr mit jungen Menschen über dieses Thema ins Gespräch kommen. Es ist neben Elternhaus und Schule unsere Aufgabe, junge Menschen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, für die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzutreten, die die Rechtsextremisten bekämpfen und beseitigen wollen. Ich für meinen Teil werde zum Beispiel bei der Eröffnung unserer Wanderausstellung Justiz im Nationalsozialismus Anfang April in Nürnberg das Gespräch mit einer Schulklasse suchen."

A. Die geplante Rechtsänderung im Einzelnen: § 130 des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3007), wird wie folgt geändert:

  1. In Absatz 1 Nr. 1 werden nach den Wörtern "zum Hass gegen" die Wörter "eine Person oder" eingefügt.
  2. In Absatz 2 Nr. 1 werden nach den Wörtern "zum Hass gegen" die Wörter "eine Person oder" eingefügt.
  3. Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

"(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung eine Handlung im Sinne von § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches billigt, rechtfertigt, leugnet oder verharmlost, die

  1. unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft oder
  2. unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft, soweit die Handlung durch die rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts, dessen Zuständigkeit die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat, festgestellt ist,

begangen wurde."

  1. Nach Absatz 3 wird folgender neuer Absatz 4 eingefügt:

"(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost."

  1. Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5 und wie folgt geändert: Die Angabe "Absatz 3" wird durch die Angabe "in den Absätzen 3 und 4" ersetzt.
  2. Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und wie folgt geändert: Die Angabe "Absatz 4" wird durch die Angabe "Absatz 5" und die Angabe "des Absatzes 3" durch die Angabe "der Absätze 3 und 4" ersetzt.

B. Erläuterungen: 1. Inhalt des § 130 Absatz 4 nach dem Gesetzentwurf: Der neu geschaffene Absatz 4 stellt das öffentliche oder in einer Versammlung erfolgte Verherrlichen und Verharmlosen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft dann unter Strafe, wenn dieses geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die Neuregelung schließt damit eine Gesetzeslücke: Nach § 130 Absatz 3 der geltenden Fassung ist nur das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlungen der in § 6 Völkerstrafgesetzbuch bezeichneten Art (Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) strafbewehrt. Durch die Neuregelung werden nunmehr auch schwere Unrechtshandlungen erfasst, die unterhalb der Schwelle von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegen. Angesichts des gegenüber der Regelung in Absatz 3 erweiterten Anknüpfungsgegenstandes werden die Tathandlungen auf das Verherrlichen und Verharmlosen beschränkt (vgl. zu den Begriffen im Einzelnen die nachstehenden Erläuterungen).

Die Bestimmung wird zudem (wie im geltenden, aber abweichend vom neuen Absatz 3) auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft beschränkt, da ihre Verherrlichung oder Verharmlosung aufgrund der geschichtlichen Ereignisse in Deutschland sehr viel stärker geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, als etwa das Anpreisen oder Befürworten einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.

Das geschützte Rechtsgut ist der öffentliche Friede. Darunter versteht man einen objektiven Zustand allgemeiner Rechtssicherheit sowie das subjektive Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Gestört ist der Friede dann, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung innerhalb Deutschlands, mindestens aber unter einer nicht unbeträchtlichen Personenzahl eintritt.

Der öffentliche Friede kann i.S. des § 130 Absatz 4 StGB dann verletzt werden, wenn die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft durch die Glorifizierung der Unrechtshandlungen des NS-Regimes und der dafür Verantwortlichen verhöhnt werden.

Als Tathandlungen kommen das Verharmlosen und das Verherrlichen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft in der Öffentlichkeit oder auf Versammlungen in Betracht:

Der Begriff des Verharmlosens ist im vorliegenden Regelungszusammenhang nicht neu, sondern wird bereits in der geltenden Fassung von § 130 Abs. 3 StGB verwendet. Ein Verharmlosen liegt beispielsweise dann vor, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der nationalsozialistischen Gewalttaten herunterspielt, beschönigt oder ihren wahren Charakter verschleiert. Es kann auch dann gegeben sein, wenn entsprechende Unrechtshandlungen als alltägliche Verhaltensformen oder als legitimes, zumindest akzeptables und nicht verwerfliches Mittel zur Durchsetzung der Interessen des NS-Regimes gekennzeichnet werden.

Beispiel für ein Verharmlosen i.S. des Absatzes 4: Das mündliche oder schriftliche (bspw. auf Transparenten) positive Darstellen der Zwangsarbeit im Dritten Reich in der Öffentlichkeit oder auf Versammlungen (Eine Person äußert auf einer Versammlung, dass die im Dritten Reich erfolgte Zwangsarbeit für die Betroffenen positiv gewesen sei, da sie dadurch Arbeit und Unterkunft gehabt hätten.)

Der Begriff des Verherrlichens wird ebenfalls bereits im Strafgesetzbuch verwendet und zwar bei der Vorschrift der Gewaltdarstellung, § 131 StGB. Als Verherrlichen ist nicht nur die direkte Glorifizierung der Unrechtshandlungen oder der für sie verantwortlichen Personen zu verstehen, sondern es reicht aus, wenn das Dargestellte in einem positiven Bewertungszusammenhang erscheint oder in der Schilderung der Unrechtshandlungen und ihrer Verantwortungsträger entsprechende positive Wertakzente gesetzt werden.

Beispiel für ein Verherrlichen i.S. des Absatzes 4: Das Preisen/Loben eines Führers der NS-Herrschaft für dessen Taten durch Worte/Transparente in der Öffentlichkeit oder auf Versammlungen (Bei einer Demonstration in einem Ort anlässlich des Geburts- oder Todestages eines von dort stammenden berühmten NS-Führers wird auf Transparenten oder durch Skandieren von Parolen der NS-Führer als Vorbild bezeichnet).

2. Umsetzung des Ersten Zusatzprotokolls zum Übereinkommen über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersysteme begangener Hand-lungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art Der Gesetzesentwurf dient gleichzeitig der innerstaatlichen Umsetzung der Vorgaben des Ersten Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersysteme begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art.

Deutschland hat das Zusatzprotokoll am 28. Januar 2003 gezeichnet. Die Bundesregierung bereitet derzeit die Ratifikation vor.

Zur Umsetzung des Zusatzprotokolls sollen die bisherigen Absätze 1 – 3 des § 130 StGB geändert werden:

In den bisherigen Absätzen 1 und 2 wird der Kreis der geschützten Personen jeweils bei den Tathandlungen des Aufstachelns zum Hass und des Aufforderns zu Gewalt- oder Willkürhandlungen erweitert. Danach werden nicht nur – wie bisher – Teile der Bevölkerung umfasst, sondern auch einzelne Personen geschützt. Absatz 3, der bereits nach bisheriger Gesetzeslage die sog. Leugnung des Holocaust umfasst, wird dahingehend erweitert, dass nunmehr nicht nur das Leugnen, Verharmlosen, Billigen und Rechtfertigen von Handlungen, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangen worden sind, sondern auch solcher Handlungen, die unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verübt worden sind, unter Strafe gestellt wird. Voraussetzung dafür ist, dass die Handlung durch die rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts, dessen Zuständigkeit die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat, festgestellt ist. Mit dieser Einschränkung soll nur das Billigen, Rechtfertigen, Leugnen oder Verharmlosen von als geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen unter Strafe gestellt werden. Bsp: Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien