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Mobbing aus Sicht der Gesellschaft

Mobbing hat strukturelle Gründe

Mobbing - Struktur - Analyse in der GesellschaftMobbing hat strukturelle Gründe Angst, Lüge, kommunikative Verzerrungen, die Verweigerung des Konflikts und ein Umfeld, das zunehmend nur noch auf die Werte der freien Wahl setzt. Das ist die Melange in der Mobbing gedeihen kann und in der Depressionen zunehmen. Hinzu kommt meist noch ein schlechtes Management mit neurotischen, narzißtischen, psychopathischen Führungskräften. Angst, Lüge und schlechtes Management, auch neurotische und psychopathische Chefs, das sind die Zutaten, die Mobbing in Unternehmen gedeihen lassen. Die Kosten von Mobbing sind beträchtlich und lassen sich laut Schätzungen der EU, des Instituts für Markt- und Sozialforschung sowie des Statistischen Bundesamts wie folgt beziffern:

Daten und Fakten

  • 1,8 Millionen Menschen leiden in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz unter Mobbing.
  • 2,3 Millarden Euro kosten die deutschen Unternehmen die Fehltage, die durch Mobbing entstehen.
  • 20 Prozent aller Suizidfälle werden auf Mobbing zurückgeführt.

„Es gibt unzählige Möglichkeiten, einen Menschen, so fertigzumachen, dass er zusammenbricht, man kann ihn ignorieren, belächeln, ausgrenzen, aufziehen, hänseln, beschimpfen, anbrüllen, schlagen. Wann die Grenze des Ertragbaren erreicht ist, liegt an der Belastbarkeit des Betroffenen.“ (Der Spiegel, Nr.16, 16.04.2012, S. 57 „Kollege Feind“)

Die Grenze des Ertragbaren ist aber etwas höchst individuelle, etwas, was auf die betroffene Person verweist, die durch Mobbing gebrochen und allzu oft dauerhaft erkrankt. Meist fühlen sich die Betroffenen (mit)schuldig, wenn es zum Verlust des Arbeitsplatzes oder zum Bruch einer Beziehung kommt. Was weniger im Fokus der Diskussion ist, sind die strukturellen und die institutionellen Ursachen, die Mobbing begünstigen und zu einer drastischen Zunahme in den letzten Jahren geführt haben.

Die strukturellen Ursachen von Mobbing

… liegen mit in einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, der in den 1980iger Jahren als „Wende zur Härte“ begann, der in Deutschland durch die Hartz IV-Reform vollendet wurde und den man auch als eine Werteverschiebung beschreiben kann: weg von den Werten einer (Solidar-) Gesellschaft und hin zu den Werten der freien Wahl, wobei zwar formal jeder die gleichen Chancen hat, wir aber real und strukturell von Chancengleichheit weit entfernt sind. Im Zuge dieser „Wende zur Härte“ bzw. im Zuge der Durchsetzung des Neo-Liberalismus in der Wirtschaft und in der Gesellschaft haben sich bestimmte Mentalitäten, Denkfiguren und Begrifflichkeiten durchgesetzt. Dies bemerken wir kaum noch. Da ist auf der einen Seite als scheinbar harmloses Indiz zum Beispiel der Status des Sports und des sportlichen Wettbewerbs; dessen Status und der dazugehörige Markt wächst seit den 1980iger kontinuierlich und bringt mit sich, dass die Figur des Siegers […] als Symbol für soziale Vortrefflichkeit neu definiert wird, während die Unternehmen damit beginnen, den Sport auf ziemlich systematische Weise in Beschlag zu nehmen, aber auch das Abenteuer, und zwar ebenso sehr in ihrer Kommunikationspolitik wie im Personalmanagement. Auf der anderen Seite und parallel dazu wird die Figur des Unternehmers zu einem Vorbild des Handelns für alle: Das ist der Beginn einer bedeutenden Veränderung des Geistes, in dem wir handeln. Erfolg zu haben bedeutet, die eigene Sebstwerdung zu unternehmen, aus eigener Initiative vorwärts zu kommen, indem man sich persönlich engagiert, um es zu etwas zu bringen. (A. Ehrenberg)

Dieses Klima, in dem die Person im Mittelpunkt steht und die Belange der Gesellschaft weniger wichtig werden, wird auch durch die Karriere der entsprechenden Begrifflichkeit begünstigt: Fortan werden menschliche Ressourcen mobilisiert, statt Personal diszipliniert, und Wörter wie Einsatz, Motivation, Flexibilität, Verantwortung, Projekt, lebenslanges Lernen, Beschäftigungsfähigkeit, Kommunikation und auch Autonomie machen Karriere und forcieren die Deregulierung der Arbeitswelt und damit die Transformation der Gesellschaft hin zu den Dogmen des Neoliberalismus.

Der Preis der Deregulierung,

der Entfesselung der Kräfte des (freien) Marktes sind – auch bedingt durch zunehmend unsicherer werdende Arbeitsverhältnisse, die-auf Leiharbeit, Werk- und Zeitverträgen beruhen und keine Lebensplanung mehr möglich machen -, Ängste, burn outs und Depressionen. Um es klar und mit A. Ehrenberg zu sagen: Angst, Depression und Stress sind die Symptome der neuen sozialen Wirklichkeit des konkurrenzfähigen Unternehmens, in denen neurotische Vorgesetzte für die Arbeitnehmer neurotisierend sind. Unter diesen neurotischen und psychopathischen Vorgesetzten leiden die Arbeitnehmer dreifach. Sie haben Angst vor der Inkompetenz, weil sich die Anforderungen, die an sie gestellt werden, ständig wandeln und die Unternehmen wenig in Fortbildung investieren. Sie leiden unter einem Zwang zu schlechter Arbeit, der auf Kostengründen und Materialeffizienz beruht. Und sie leiden unter einem Fehlen von Anerkennung.

Angst, Lüge und kommunikative Verzerrung als Mittel der Wahl

Zur Unsicherheit des Arbeitsplatzes und der daraus folgenden Angst kommt noch die Lüge hinzu; denn hinter den positiven betriebswirtschaftlichen Beschreibungen der Arbeitsproduktivität gibt es die subjektiven, das heißt die wirklichen Beschreibungen, die zeigen, wie die Arbeitnehmer verpflichtet sind, die offiziellen Regeln nicht zu befolgen, um die Arbeitsplanung überhaupt durchführen zu können. (A. Ehrenberg)

Ehrenberg beschreibt wie die Einrichtung der Lüge aus einer Strategie der kommunikativen Verzerrung folgt. Die kommunikative Verzerrung ist institutionell und strategisch, d.h. sie erscheint als Notwendigkeit und ihre Grundlage ist die Leugnung der wirklichen Arbeit, die tagtäglich vollbracht wird. Diese Leugnung der wirklichen Arbeit beruht auf der Auswahl ausschließlich der positiven Ergebnisse, die dem Personal des Unternehmens durch die interne Kommunikation verkauft werden. Die Institution der Lüge ist eine Säuberungstätigkeit: Man muß die kompromittierenden Dokumente verschwinden lassen, die Zeugen durch Kaltstellung, Versetzung oder Entlassung zum Schweigen bringen. (A. Ehrenberg)

Das Umfeld für Mobbing

In einem solchen Umfeld gedeiht auch (systematisches) Mobbing. Lässt die Anerkennung und das Lob den Menschen Gerechtigkeit widerfahren, so ist das Leiden an den beschriebenen Verhältnissen ein Ausdruck von systemischer Ungerechtigkeit. Eine Hierarchie muß, um dieses Leid zu vermeiden, eine wirkliche Autoritätsfunktion annehmen. An dieser mangelt es und sie stellt Anforderungen, die die Intelligenz und das Wahrnehmungsvermögen der Arbeitnehmer beanspruchen. Und eine Hierarchie, insbesondere in bürokratisch geführten Institutionen verliert jegliches Vertrauen, wenn sie nur noch Unterwerfung verlangt. Deshalb muß eine Hierarchie nicht nur eine Macht sein, sondern auch eine Autorität, was nicht oft der Fall ist, weil in den heutigen Strukturen narzißtische Persönlichkeiten bevorzugt Schlüsselpositionen einnehmen.

Aus schlechtem Management folgt auf der Seite der Arbeitnehmer also das Gefühl, daß zwar Macht ausgeübt wird, aber Autorität in Form von Wissen, Bildung und Persönlichkeit fehlt. Dies wiederum führt dazu, dass Konflikte entweder auf schlechte Art und Weise geregelt werden, oder gar nicht. Dies wiederum begünstigt Machtmißbrauch und setzt sich durch einen narzißtischen Mißbrauch fort, bei dem der andere alle Selbstachtung verliert. (A. Ehrenberg)

Es sind also die Beziehungen, bei denen etwas nicht stimmt, und nicht das Individuum, das gemobbt wird. Mobbing entsteht somit aus der Ablehnung von Kommunikation. Anstatt einen offenen Konflikt auszutragen, der Gegenstand einer Diskussion oder einer Verhandlung wird, um ihn zu lösen, wird mit dem Ziel gehandelt, das Opfer abzuqualifizieren. Diese Abqualifizierung geschieht durch nichtverbale Kommunikationspraktiken (verächtliche Blicke, anzügliche Anspielungen usw.), die beim Opfer Zweifel auslösen. Durch die Destabilisierung all seiner Beziehungen am Arbeitsplatz muß das Opfer sein Selbstvertrauen verlieren. Isolation, Schikanen mit der Absicht, daß das Opfer Fehler macht (indem man ihm unmöglich zu leistende oder unnötige Aufgaben aufbürdet), all das kann >> zur psychischen Vernichtung oder zum Selbstmord führen <<, wenn es in der perversen Situation gefangen bleibt, die der Mobber hergestellt hat. Und zwar durch Verführung, Beeinflussung und „in seine Gewalt zu bekommen“, um das Opfer das Gewicht der Schuld spüren zu lassen, die es dann verinnerlicht. (A. Ehrenberg)

Auflösbar sind diese Strukturen nur, in dem man sie benennt, beschreibt und im Zusammenhang beurteilt. Dazu gehört es, auch die gesellschaftlichen Hintergründe zu analysieren, die heute zu einer Zunahme von burn out und Mobbing-Situationen führen. Einer dieser Hintergründe ist, dass „die langwierigen Methoden des Überzeugens, Verhandelns und des Kompromisse schließens“ umgangen werden, auf Kosten derjenigen, die an der Angst zerbrechen und nicht mehr mit Lügen oder mit kommunikativen Verzerrungen leben wollen.

(der Beitrag nimmt Bezug auf Alain Ehrenbergs wichtiges Buch: „Das Unbehagen in der Gesellschaft.“)

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