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Leutheusser-Schnarrenberger sieht Grundlagen der Demokratie bedroht

"Nutzbar für NS-Verharmlosung"

In der ersten Lesung des Deutschen Bundestages über die geplante Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gingen Rot-Grün und Union aufeinander zu. FDP und PDS lehnen eine Einschränkung der Grundrechte ab. Für die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geht das Gesetzesvorhaben "an die konsitutionellen Grundlagen unserer Demokratie". Im Gespräch mit ngo-online sagte sie, sie habe "erhebliche Bedenken", ob die Einschränkung der Meinungsfreiheit mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Jedenfalls sei sie "verfassungspolitisch falsch". Falls mit der Gesetzesinitiative auch Meinungsäußerungen zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien unter Strafe gestellt werden sollten, fände sie das "erschreckend und verheerend". Sie habe den Krieg, der ohne UN-Mandat geführt worden sei, kritisiert. Leutheusser-Schnarrenberger: "Darüber muss man offen reden und streiten können." Die Diskussion über den Jugoslawienkrieg "mit einem Straftatbestand aus der Welt schaffen zu wollen" ist für Leutheusser-Schnarrenberger unerträglich. "Ich bin wirklich entsetzt darüber", sagte sie. Die Menschen sollten jetzt "auf die Straße gehen und die Demokratie verteidigen".

Die FDP-Politikerin unterstellt der Bundesregierung nicht, dass diese die NS-Verbrechen relativieren wolle, wenn für deren Leugnung das gleiche Strafmaß gelte wie für andere Völkermorde. Das geplante Gesetz könne aber genutzt werden für eine Verharmlosung der NS-Verbrechen. Rechte könnten dann sagen, "ihr verharmlost ja selbst". Mit all diesen Dingen biete man den Rechten die Möglichkeit, so zu agitieren. "Das regt mich so auf."

Nach Auffassung von Leutheusser-Schnarrenberger sollen auch Rechtsradikale offen ihre Meinung sagen können. Hierbei seien natürlich die geltenden Strafrechtsbestimmungen zu beachten, die beispielsweise die "Auschwitzlüge" und den Tatbestand der Beleidigung beträfen. Ansonsten müsste man sich offen mit Rechtsradikalen auseinandersetzen, "insbesondere mit jungen Leuten".

Den Gesetzentwurf der Bundesregierung hält die Politikerin auch deswegen "für eine katastrophale Entwicklung", weil mit den geplanten Verschärfungen nicht mehr abgrenzbar sei, "was noch eine zulässige Meinungsäußerung ist und was nicht". Statt Rechtssicherheit würde "Rechtsunsicherheit" erzeugt. Die Bürger wüßten nicht mehr "wozu sie etwas sagen dürfen und wozu nicht".

Leutheusser-Schnarrenberger sieht insgesamt eine "verhängnisvolle Entwicklung". Schrittweise würden Grundrechte und Freiheitsrechte beschnitten. Sie verweist auf die Entwicklung beim Datenschutz, auf das Terrorismusbekämpfungsgesetz, auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. "Wenn man einmal anfängt, demokratische Grundrechte zu beschneiden", so Leutheusser-Schnarrenberger, "dann kann das eine verhängnisvolle Entwicklung nehmen".

Den Bundestagsabgeordneten lagen am Freitag Gesetzentwürfe von Rot-Grün und CDU/CSU vor, mit denen der für den 60. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai geplante NPD-Aufmarsch am Brandenburger Tor verhindert werden soll. Die Koalitionsvorlage sieht die Möglichkeit von Versammlungsverboten an bestimmten Orten wie dem Berliner Holocaust-Mahnmal vor, die "zu einem nationalen Symbol für die systematische Vernichtung von Menschen geworden sind". Umstritten ist in der Koalition noch eine Bestimmung zur strafrechtlichen Ahndung von "Verherrlichung und Verharmlosung" der NS-Herrschaft.

Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe soll nach dem Willen der Bundesregierung künftig aber nicht nur bestraft werden, wer Handlungen der "nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft" billigt, rechtfertigt, leugnet oder verharmlost. Das gleiche Strafmaß soll künftig auch für das Leugnen von Handlungen einer "anderen Gewalt- und Willkürherrschaft" verhängt werden können. Richtete sich der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches bislang nur gegen die Leugnung des Holocaust, so soll nach Vorstellung der Bundesregierung künftig auch das Leugnen von als "geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen" unter Strafe gestellt werden. Als Beispiel wird in der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 11. Februar 2005 ein "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien" genannt.

Die derzeitige Bundesregierung hatte 1999 ohne UN-Mandat im Rahmen der NATO einen Krieg gegen Jugoslawien geführt. Als Grund für den Krieg wurde genannt, in Jugoslawien finde ein Völkermord statt. Interne Lageberichte des Auswärtigen Amtes und des Bundesverteidigungsministeriums, die unmittelbar vor dem Krieg erstellt wurden, enthielten offenbar aber keinerlei Hinweise auf einen Völkermord. Es ist insofern fraglich, ob der behauptete Völkermord in Jugoslawien als "geschichtlich gesichert anerkannte Tatsache" gelten kann.

Die Union möchte zudem das Demonstrationsrecht in Berlin weiter einschränken. Nach ihren Vorstellungen sollen das Brandenburger Tor und das benachbarte Holocaust-Mahnmal in den "befriedeten Bezirk" um das Reichstagsgebäude einbezogen werden. Zudem will die Union eine Umkehrung des bisherigen Grundsatzes, wonach Demonstrationen innerhalb der Bannmeile grundsätzlich zuzulassen sind.

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach betonte, Bilder von Neonazi-Demonstrationen am Brandenburger Tor diskreditierten Deutschland und seine Demokratie in der ganzen Welt. Zwar könnten Demonstrationen von Rechtsextremisten nicht grundsätzlich verboten werden. Dies bedeute aber keine Verpflichtung, etwa der NPD "besonders sensible Orte mit herausragender nationaler, historischer Bedeutung auch noch als medienwirksame Kulisse für ihre unappetitlichen Aufzüge zur Verfügung zu stellen".

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) warb nachdrücklich dafür, das "Verherrlichen" der NS-Gewaltherrschaft unter Strafe zu stellen. Auch solle die angestrebte Neuregelung nicht nur in Berlin, sondern ebenso an anderen Stellen in Deutschland wirksam sein. Der SPD-Abgeordnete Wiefelspütz sagte, mit der geplanten Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung werde auch das Versammlungsrecht für ganz Deutschland verschärft.

Grünen-Fraktionsvize Christian Ströbele nannte es "unerträglich, wenn "braune Kolonnen" am 60. Jahrestag des Kriegsendes wieder durch das Brandenburger Tor zögen. Entgegen dem Unions-Antrag sollte es aber um das Brandenburger Tor keine "demonstrationsfreie Zone" geben. Schließlich habe sich dieser Bereich nach dem Mauerfall zu einem der wichtigsten Kundgebungsorte entwickelt.

Der FDP-Rechtsexperte Jörg van Essen (FDP) lehnte eine Verschärfung des Versammlungsrechts ab, da die bestehenden Gesetze für ein Verbot rechtsextremistischer Aufmärsche ausreichten. Van Essen warnte ferner davor, die Neuregelung schon in der nächsten Woche "durchpeitschen" zu wollen.