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Nach Verfassungsgerichts-Urteil Diskussionen über Telefonüberwachung

Weiter so?

In der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen herrscht offenbar Krisenstimmung. Seit dem Regierungsantritt von CDU und FDP 2002 hatte bis auf wenige Unstimmigkeiten nie Anlass für großen Streit bestanden. Doch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe am Mittwoch, das die präventive Telefonüberwachung in Niedersachsen für verfassungswidrig erklärte, wurde nicht nur erstmals seit mindestens 15 Jahren ein Landesgesetz gekippt. Es ist auch die erste große Niederlage der konservativen Landesregierung. Über das Polizeigesetz und die Aufnahme der vorbeugenden Telefonüberwachung hatte es schon 2003 vor der Einführung harte Debatten zwischen CDU und FDP gegeben. Das Ergebnis war schließlich ein Kompromiss. Am Mittwoch nun fühlten sich die Liberalen durch das Urteil aus Karlsruhe erneut bestätigt.

"Die Regierungskoalition hat das Polizeigesetz 2003 zwar trotz großer Bedenken seitens der FDP gemeinsam beschlossen. Dennoch nehmen wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis", sagte FDP-Fraktionschef Philipp Rösler. Konsequenz sei jetzt eine sofortige Überarbeitung des Polizeigesetzes.

FDP-Landeschef und Vize-Ministerpräsident Walter Hirche (FDP) schwieg zum Thema. Er war in Stuttgart zu Gesprächen.

Innenminister Uwe Schünemann (CDU) meldete sich von Mallorcas Stränden lediglich mit einem kurzen Statement: "Die präventive Telefonüberwachung wird durch die Entscheidung zwar nicht vollständig ausgeschlossen. Für die Polizei wird aber der Einsatz dieser Ermittlungsmethode erschwert, die in den Zeiten der modernen Massenkommunikation immer wichtiger wird." Welche Folgen die Entscheidung für die Möglichkeit der vorbeugenden Telefonüberwachung habe, müsse noch geprüft werden.

Die Landesregierung wurde am Mittwoch vom Scheitern ihres Gesetzes offenbar völlig überrascht. Zumindest waren laut Innenministerium keine Vorkehrungen getroffen, wie auf ein solches Urteil reagiert werden solle. Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) unterbrach schließlich ihre Sommerreise durch Niedersachsen für eine außerordentliche Pressekonferenz und ließ durchblicken, dass auch sie seinerzeit nicht unbedingt mit dem Polizeigesetz einverstanden gewesen sei. "Heute sitze ich hier als Vertreterin der Landesregierung. Mehr sage ich dazu nicht", erklärte sie.

Auf die Kritik der FDP reagierte Heister-Neumann distanziert: "Ich glaube, unser Koalitionspartner ist in der Lage, das Urteil zu lesen und zu verstehen. Er hat das Gesetz mitgetragen und wird auch die Änderungen mittragen. Das ist das, was ich erwarte."

Nicht erst über die jetzt gestoppte Telefonüberwachung gingen die Ansichten in der Koalition auseinander. Auch der Vorstoß Schünemanns in punkto Anti-Terror-Datei stieß beim Koalitionspartner auf Kritik. Während der CDU-Minister im Bundesrat eine Volltextdatei forderte, schloss sich die FDP eher Bundesinnenminister Otto Schilys (SPD) Vorschlag einer Indexdatei an.

Welche Auswirkungen die Krise in Wahlkampfzeiten haben könnte, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Die Opposition forderte schon mal indirekt Schünemanns Rücktritt. SPD-Innenexperte Heiner Bartling sagte: "Mit seinem von Überwachung und Bespitzelung geprägten Staatsverständnis hat sich insbesondere der CDU-Innenminister als ungeeignet erwiesen, die Freiheitsrechte der Bürger in Niedersachsen angemessen zu verteidigen." Gleichzeitig warf er Wulff Führungsschwäche vor, weil dieser Schünemann nicht rechtzeitig gestoppt habe.

Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, forderte in der "Welt" Innenminister Schünemann zum Rücktritt auf. "Dem niedersächsischen Gesetz stand die Verfassungswidrigkeit auf die Stirn geschrieben", sagte Wiefelspütz. Niedersachsen habe überzogen reagiert und Grenzen überschritten, kritisierte der SPD-Politiker. "Ich bin kein Weichei, wenn es um innere Sicherheit geht, aber dieses Gesetz war einfach skandalös", sagte er.

Wiefelspütz wies auch Äußerungen der Polizeigewerkschaft zurück, das Urteil schwäche die Terrorismusabwehr. "Heutzutage wird alles, was man machen will, mit dem Verweis auf die Terrorismusabwehr begründet. Aber auch Terrorismusbekämpfung muss mit Verstand geführt werden und nicht mit jedem beliebigen Mittel", sagte er.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch geurteilt, die seit Ende 2003 in Niedersachsen mögliche vorbeugende Telefonüberwachung sei verfassungswidrig. Die Karlsruher Richter erklärten die Vorschrift für nichtig, wonach die Polizei schon weit vor möglichen Straftaten Telefone abhören durfte.

Dessen ungeachtet ging Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) schnell in die Offensive. Die Union halte an dem polizeilichen Instrument zur Bekämpfung von Terroristen fest, erklärte er der "Berliner Zeitung". "Gerade beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist Prävention von überragender Bedeutung." Das Strafrecht allein entfalte keine abschreckende Wirkung.

"Wenn jemand bereit ist, sich selbst zu töten, um andere zu ermorden, dann kann ich den nicht mit Strafen abschrecken", sagte der Innenpolitiker: "Die Überwachung des Telefonverkehrs ist für die Verhütung und für die Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich." Bosbach sprach von einer vorläufigen Schwächung des Anti-Terror-Kampfes. Erfreulich sei es aber, "dass das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die Überwachung des Fernmeldeverkehrs zu präventiven Zwecken nicht als verfassungswidrig angesehen hat." Das Gesetz müsse nun so nachgebessert werden, "dass es für die polizeiliche Praxis noch tauglich ist".

Wozu der "Anti-Terror-Kampf" in der Praxis führen kann, hat die Londoner Polizei unlängst gezeigt. Am 22. Juli erschoss sie einen bereits am Boden liegenden Mann mit fünf Schüssen. Die Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass es sich bei dem "Verdächtigen" nicht um einen Terroristen, sondern um einen unschuldigen Elektriker gehandelt hat.