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Innensenator kritisiert türkischen Arbeiterführer wegen Äußerungen zu Armeniern

Meinungsfreiheit?

Öffentliche Äußerungen zu historischen Begebenheiten werden von staatlicher Seite zunehmend mit rechtlichen Schritten beantwortet. Nach einer Demonstration türkischer Nationalisten in Berlin lässt Innensenator Ehrhart Körting (SPD) rechtliche Konsequenzen für den Chef der türkischen Arbeiterpartei, Dogu Perincek, prüfen. Der Politiker habe am Rande der Demonstration den Genozid an den Armeniern 1915 im osmanischen Reich geleugnet, sagte Körting am Montag vor dem Innenausschuss. Damit er keine "Hassreden" mehr halten könne, prüfe die Ausländerbehörde jetzt vorbeugend eine Ausweisung von Perincek für den Fall seiner Wiedereinreise nach Deutschland.

Nach Angaben Körtings hatten am Samstag in Berlin 1350 türkische Nationalisten demonstriert. Sie forderten unter anderem die Rücknahme eines Bundestagsbeschlusses von Mitte 2005, in dem an die "fast vollständige Vernichtung der Armenier in Anatolien" erinnert wird.

Westlichen Schätzungen zufolge wurden während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich zwischen 600-000 und 1,5 Millionen armenische Zivilisten getötet. Zahlreiche Historiker, Parlamente und internationale Organisationen werten die Vertreibung und Vernichtung der christlichen Bevölkerungsgruppe als Völkermord. Die Türkei weist diese Darstellung vehement zurück.

"Geschichtlich gesichert anerkannte Tatsachen"

Wie schwierig historische Bewertungen sein können, zeigen beispielsweise auch die Diskussionen über die Menschenrechtssituation in Sudan und die Auseinandersetzungen um den NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999. Die ehemalige rot-grüne Bundesregierung hatte 2005 den Versuch unternommen, kritische Meinungsäußerungen über die Motive dieses Krieges mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu bedrohen. Das Bundesjustizministerium, SPD und Grüne hatten Mitte Februar Gesetzentwürfe zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgelegt, wonach das Leugnen von als "geschichtlich gesichert anerkannten Tatsachen" unter Strafe gestellt werden sollte, zum Beispiel ein "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien".

Ob im ehemaligen Jugoslawien vor Beginn des Krieges am 24. März 1999 ein Völkermord im völkerrechtlichen Sinne stattfand, ist heftig umstritten. Der ehemalige Bundeswehr-General Heinz Loquai hatte als Militärberater der deutschen OSZE-Vertretung in Wien Zugang zu den relevanten Lageberichten im Vorfeld des Krieges. Ergebnis nach Darstellung des Ex-Generals: "In keinem dieser Berichte, die vor dem 24. März erstellt wurden, ist nach meiner Kenntnis von großräumigen Vertreibungen der albanischen Zivilbevölkerung oder gar von Völkermord die Rede.

Im Vorfeld der geplanten - und letztlich gescheiterten - Änderung des Strafgesetzbuches, hatte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am 18. Februar 2005 im Gespräch mit ngo-online gesagt, das Gesetzesvorhaben gehe "an die konsitutionellen Grundlagen unserer Demokratie". Sie habe "erhebliche Bedenken", ob die Einschränkung der Meinungsfreiheit mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Falls mit der Gesetzesinitiative auch Meinungsäußerungen zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien unter Strafe gestellt werden sollten, fände sie das "erschreckend und verheerend". Die Diskussion über den Jugoslawienkrieg "mit einem Straftatbestand aus der Welt schaffen zu wollen" bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger als unerträglich. "Ich bin wirklich entsetzt darüber." Die Menschen sollten jetzt "auf die Straße gehen und die Demokratie verteidigen", hatte die ehemalige Bundesjustizministerin gesagt.

Am 24. Februar 2005 wandte sich schließlich der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Stadler schriftlich an seinen "Lieben Herrn Kollegen Wiefelspütz" von der SPD. Bezugnehmend auf die Debatte am 23. Februar meldete Stadler "grundsätzliche Bedenken" gegen das Vorhaben an, "die Billigung, Rechtfertigung, Leugnung oder gröbliche Verharmlosung von Völkermord, der unter einer anderen als der Naziherrschaft begangen wurde, strafrechtlich zu sanktionieren". Leider ereigneten sich in aller Welt immer wieder schreckliche Vorgänge, so Stadler, die zur gezielten Tötung vieler Menschen führen. "Solche Vorgänge werden je nach Standpunkt des Betrachters oft von der einen Seite als Völkermord qualifiziert, von der anderen Seite als legitimer Waffeneinsatz." Ein aktuelles Beispiel sei etwa der Vorwurf gegen den früheren Präsidenten Boliviens, der sich in den USA im Exil aufhalte, dem nun wegen Völkermordes der Prozess gemacht werden solle.

"Jedenfalls", so Stadler, "geht es oft um zeithistorische Ereignisse, über deren Bewertung in einer Demokratie eine strittige und kritische Auseinandersetzung möglich sein muss. Es ist meiner Meinung nach sehr bedenklich, wenn eine solche Auseinandersetzung wie sie beispielsweise unter Politikern, Journalisten oder Wissenschaftlern geführt wird, in § 130 Abs. 3 Nr. 2 StGB für einen Teil der Diskutanten unter Strafe gestellt wird."

Bezogen auf den Passus im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen, wonach von der Vorschrift nur Fälle erfasst werden sollen, bei denen ein internationales Gericht einen Völkermord festgestellt habe, schrieb Stadler: "Die Vorgänge, die sich wie gesagt leider in aller Welt zutragen, sind eben häufig historisch noch nicht ein für allemal in ihrer Einordnung geklärt, selbst wenn in einem Strafprozess der Tatbestand des Völkermordes bejaht wird. Man sollte der Diskussion hierüber weiterhin Raum lassen und zwar straffreien Raum." Man solle die freie Debatte unter Zeithistorikern zulassen.