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Stellungnahme der IPPNW zum Gesetzentwurf zur Novellierung des Atomgesetzes

Stellungnahme

Wir dokumentieren die Stellungnahme der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW zum „Entwurf eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität" vom 5. Juli 2001 zur Vorlage bei der Verbändeanhörung der Bundesregierung am 6. August 2001 in Bonn.

A) Vorbemerkung

Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW lehnt die Nutzung der Atomenergie ab, weil sie Leben und Gesundheit der Bevölkerung bedroht. Das hohe Risiko eines Super-GAUs, die Erzeugung von Plutonium und die Proliferationsgefahr, die Produktion von Atommüll für tausende von Jahren und die Gesundheitsrisiken des „Normalbetriebs" sind nicht verantwortbar und machen einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie erforderlich.

Die IPPNW hält den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf für ungeeignet, den versprochenen Ausstieg aus der Atomenergie umzusetzen.

Bei einem ordnungsgemäßen Vollzug des geltenden Atomgesetzes wäre ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie zwingend.

Die Kritik der IPPNW am Gesetzentwurf setzt prinzipiell an vier Punkten an:

  1. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 GG wird mit dieser Atomgesetznovelle nicht hinreichend beachtet. Das Sicherheitsniveau der derzeit betriebenen deutschen Atomkraftwerke entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Die Möglichkeit eines schweren Unfalls im Verlauf der langen Restlaufzeiten wird in Kauf genommen.
  2. Mit der Gesetzesnovelle versucht die Bundesregierung in zentralen Punkten die Rechtsposition der Atomkraftwerksbetreiber zu verbessern. So heißt es in der Begründung des Gesetzes: „Insgesamt schafft die Vereinbarung zusammen mit diesem Gesetz wichtige Voraussetzungen, um langfristig die Rechtssicherheit (...) der Unternehmen zu verbessern."
  3. Die Gesetzesnovelle gewährleistet – ebenso wie das geltende Atomgesetz – in wesentlichen Punkten nicht den verfassungsmäßig gebotenen Grundrechtsschutz.
  4. Beim Vollzug des geltenden Atomgesetzes – auch unter Berücksichtigung der Verfassung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –, kommt die Bundesregierung ihren Verpflichtungen nicht nach.

Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die aus Sicht der IPPNW wesentlichen Aspekte der Atomgesetznovelle.

1. Gesetzeszweck: Sicherstellung des geordneten Betriebs von Atomkraftwerken (§ 1 AtG)

In § 1 Nr 1 wird der bisherige Förderzweck durch zwei neue Gesetzeszwecke ersetzt. Neben der „geordneten" Beendigung der Atomenergienutzung ist die Sicherstellung des geordneten Betriebs der Atomenergie vorgesehen.

Vor dem Hintergrund der langen Restlaufzeiten und der jederzeit problemlos möglichen Revierdierbarkeit des Neubauverbots ist der Zweck der Beendigung der Atomenergienutzung praktisch von geringer Bedeutung. Die Mitfinanzierung von Atomkraftwerken im Ausland über Hermes-Bürgschaften bzw. EU-Kredite (China, Ukraine) durch die derzeitige Bundesregierung macht deutlich, wie wenig ernst selbst diese Bundesregierung das Neubauverbot nimmt, wenn die Interessen eines deutschen Konzerns tangiert sind.

Von entscheidender Bedeutung ist der neue Zweck der Sicherstellung des „geordneten Betriebs" für die kommenden Jahrzehnte. Laut Begründung handelt es sich bei diesem Zweck um einen „Bestandsschutz" für die deutschen Atomkraftwerke. Zudem ist dies eine ausdrückliche Erlaubnis des Gesetzgebers zum Betrieb von Atomkraftwerken, wie aus der Begründung weiterhin hervorgeht: „(...) dass die kommerzielle Kernkraftnutzung bis zu ihrer Beendigung (...) zulässig bleibt. Das Gesetz stellt damit (...) den geordneten Betrieb von Kernkraftwerken (...) generell sicher." Diese Erlaubnis des Gesetzgebers zur weiteren jahrzehntelangen Nutzung der Atomenergie ist vor dem Hintergrund von erheblicher Bedeutung, als nach dem Kalkar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978 die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die Atomenergie beim Gesetzgeber liegt, wie in der Begründung mehrfach betont wird.

Der Gesetzgeber ist in dieser Entscheidung allerdings laut Kalkar-Beschluss keineswegs völlig frei. „Bei der Art und Schwere dieser Folgen muß bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen, um die Schutzpflicht auch des Gesetzgebers konkret auszulösen," urteilten die Verfassungsrichter. Seitdem ereignete sich in Harrisburg ein schwerer Unfall und in Tschernobyl kam es zur Katastrophe. Seitdem wurde weiterhin die „Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke" erstellt, nach deren Zahlen bei einem durchschnittlich 30-jährigen Betrieb der 19 deutschen Atomkraftwerke allein aufgrund technischen Versagens mit einer Wahrscheinlichkeit von 2 Prozent mit einem Super-GAU und massiven Freisetzungen von Radioaktivität zu rechnen ist. Das Bundesumwelt-ministerium bezifferte die Eintritts-wahrscheinlichkeit eines Super-GAU in Deutschland in einem Rechts-Dokument vom 12. August 1999 auf rund 1 Prozent . Vor dem Hintergrund derart hoher Eintrittswahrschein-lichkeiten ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht berechtigt, den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke zu erlauben.

Im Gegenteil besteht angesichts dieser Sachlage laut Kalkar-Beschluss die „Verpflichtung aller staatlicher Gewalt" die weitere Nutzung der Atomenergie zu untersagen.

2. Betriebsgenehmigungen: faktisch keine Befristung (§ 7 AtG)

In § 7 und Anlage 3 wird den Atomkraftwerksbetreibern die Möglichkeit zur Produktion von Elektrizitätsmengen eingeräumt, die einer durchschnittlichen Betriebsdauer von offiziell 32 Jahren, real eher von 35 Jahren entsprechen.

Selbst ohne die Möglichkeit der Übertragung von Elektrizitätsmengen auf andere Kraftwerke kann so das jüngste deutsche Atomkraftwerk bis zum Jahre 2024 betrieben werden. Mit der Übertragung wird ein Betrieb um weitere Jahre gesetzlich erlaubt.

Diese Betriebsdauern entsprechen in vollem Umfang den ökonomischen Interessen der Atomkraftwerksbetreiber. Da die Atomkraftwerksbetreiber bei anstehenden teuren Nachrüstungen in der Vergangenheit ohnehin schon Atomkraftwerke vorzeitig stillgelegt haben, kann nach aller Erfahrung davon ausgegangen werden, dass sie mit diesem flexiblen Modell das Maximum der technisch-betriebswirtschaftlichen Lebensdauer ihrer Atomkraftwerke vollständig ausschöpfen können. Von einer vorzeitigen Beendigung der Atomenergienutzung kann keine Rede sein. Ein Neubau in Deutschland ist nach Aussagen der Atomkraftwerksbetreiber ohnehin nicht geplant.

In der laufenden Legislaturperiode muss kein Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Aufgrund der Übertragbarkeit von Elektrizitätsmengen und aufgrund der Revidierbarkeit dieser Bestimmungen durch künftige Regierungen ist ein Ende der Atomenergienutzung mit diesem Gesetz nicht herbeizuführen.

3. Sicherheitsüberprüfung: Verzicht auf den Stand von Wissenschaft und Technik (§ 19a AtG)

Mit den Sicherheitsüberprüfungen nach dem neuen § 19a und Anlage 4 wird eine bereits gängige Praxis gesetzlich bindend.

Das Kernproblem der vorgesehenen Sicherheits-überprüfungen und der Atomgesetznovelle insgesamt besteht darin, dass in der Begründung vielfach die Behauptung aufgestellt wird, die laufenden deutschen Atomkraftwerke entsprächen dem Stand von Wissenschaft und Technik. Dies steht in eindeutigem Widerspruch zur Analyse der Abteilung Reaktorsicherheit des Bundesumweltministeriums, die am 12. August 1999 ausführte : „Der Gesetzgeber hat im Jahre 1994 in der Konsequenz dieser neuen Erkenntnis die Genehmigung von neuen Anlagen davon abhängig gemacht, dass für diese auch die Auswirkungen einer Kernschmelze auf die engste Umgebung des Kraftwerks beschränkt bleiben. (§ 7 Abs. 2a AtG ) Alle laufenden Atomkraftwerke wären nach diesem Maßstab heute nicht mehr genehmigungsfähig. Laufende Atomkraftwerke entsprechen damit heute nicht mehr einem Sicherheitsmaßstab, der vom Atomgesetz nach neuem Stand von Wissenschaft und Technik gefordert ist." Die Vor-Konvoi-Anlagen entsprächen „konzeptionell und in der Ausführung in weiten Teilen auch nicht mehr dem Stand der Technik, soweit er im kerntechnischen Regelwerk festgeschrieben ist. In einzelnen technischen Merkmalen fallen auch bereits die Konvoi-Anlagen hinter den heutigen Stand der Technik zurück."

Seit der Einführung des Absatzes 2a in § 7 des Atomgesetzes durch die Vorgänger-regierung, der für Neuanlagen einen erheblich höheren (und selbst von aktuellen Reaktorentwicklungen nicht erreichten) Sicherheitsstandard gegenüber den derzeit betriebenen Atomkraftwerken festschrieb, ist unbestreitbar, dass die derzeit betriebenen Atomkraftwerke nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Atomkraftwerke, die nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, sind nach § 17 AtG – gestützt auch auf den Kalkar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – die Betriebsgenehmigungen zu entziehen. Von dieser verfassungs- und atomrechtlich gebotenen Maßnahme sind alle 19 derzeit betriebenen Atomkraftwerke betroffen. Nur unter massiver Mißachtung des geltenden Rechts können diese Atomkraftwerke weiterbetrieben – und wie mit der Atomgesetznovelle geplant – mit einem umfassenden Bestandsschutz ausgestattet werden.

Speziell für die Sicherheitsüberprüfungen wird in der Begründung ausgeführt, dass für die Sicherheitsüberprüfungen in der Zukunft der heutige „Erkenntnisstand von Wissenschaft und Technik" zugrundezulegen ist. Diese Maßgabe steht im Widerspruch zum Kalkar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, der bezüglich des Standes von Wissenschaft und Technik einen „dynamischen Grundrechtsschutz" verlangt. Demnach muss die Sicherheitstechnik der Atomkraftwerke jederzeit dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Die Sicherheitsüberprüfungen werden von den Atomkraftwerksbetreibern durchgeführt, was einer Selbstkontrolle gleichkommt, selbst wenn diese teilweise „befreundete" Gutachterorganisationen mit der Durchführung betrauen. Mit einer unzutreffenden Begründung (die Zeitdauer der Sicherheitsüberprüfungen läge nach den in Anlage 4 genannten Terminen), dürfen Atomkraftwerke, die innerhalb von drei Jahren nach einer vorzulegenden Sicherheitsüberprüfung stillgelegt werden sollen, auf eine erneute Sicherheitsüberprüfung verzichten. Angesichts der zahlreichen Störfälle innerhalb der ersten 20 Betriebsjahre ist es nicht akzeptabel, dass die erste Sicherheitsüberprüfung erst nach dieser Frist verlangt wird. Die Verpflichtung zur Durchführung einer erneuten Überprüfung erst nach weiteren 10 Jahren ist hinsichtlich der Alterungsprozesse in Atomkraftwerken wenig problemgerecht

4. Deckungsvorsorge: absolut unzureichend (§ 13 AtG)

Die Deckungssumme für die Entschädigung von Folgen eines Super-GAU in Deutschland soll in § 13 von 500 Millionen DM auf 2,5 Milliarden Euro je Kraftwerk angehoben werden.

Dieser Deckungssumme stehen laut Begründung des Gesetzentwurfs nach einem Super-GAU erwartete „Schäden in Billionenhöhe" gegenüber. Prognos ermittelte im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums Schäden bis zu 10.700 Milliarden DM. Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Deckungssumme von 2,5 Milliarden Euro entspricht weniger als 0,1 Prozent der erwarteten Schäden. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Bundesregierung vor diesem Hintergrund in der Begründung zu dem Schluss kommt, mit der neuen Regelung werde die „Haftung in einer risikoadäquaten Weise sichergestellt".

Die Beihehaltung der extremen Unterversicherung der deutschen Atomkraftwerke ist nicht verfassungsgemäß. Artikel 14 GG schützt nicht nur das Eigentum der Atomkraftwerks-betreiber, wie die Bundesregierung dies offensichtlich sieht, sondern auch das Eigentum der Bevölkerung und das anderer Unternehmen (z.B. Grundstücke, Immobilien, Betriebe etc.). Der verfassungsmäßig gebotene Schutz des Eigentums Dritter kann nur dann gewährleistet werden, wenn in § 13 AtG eine tatsächlich risikoadäquate Deckungssumme verankert wird.

Neben dem Eigentum sind nach Artikel 2 GG auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Ein Super-GAU hätte unermeßliches menschliches Leid zur Folge und würde viele Tote und Verletzte nach sich ziehen. Dies erfordert Entschädigung und eine Finanzierung der notwendigen medizinischen Versorgung. Nur eine angemessene, risikoadäquate Deckungssumme kann daher den Schutz dieses Grundrechtes gewährleisten.

In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zu Recht darauf hingewiesen, dass im deutschen Schadensersatzrecht „angemessen hohe Deckungssummen" üblich sind. Andere risikobehaftete Unternehmungen (Pkw, Chemische Industrie etc.) sind gesetzlich verpflichtet, risikoadäquate Haftpflichtversicherungen abzuschließen. Der Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG verlangt, Gleiches gleich zu behandeln. Eine Bevorzugung der Atomindustrie durch eine derart massive Unterversicherung ist auch vor diesem Hintergrund nicht verfassungskonform.

Wie dargelegt, ist verfassungsrechtlich zwingend geboten, in § 13 eine tatsächlich angemessene und risikoadäquate Deckungssumme festzuschreiben. Können die Atomkraftwerksbetreiber derartige Deckungssummen nicht nachweisen, so sind nach § 17 Abs 4 die Betriebsgenehmigungen der Atomkraftwerke zu widerrufen.

Der neue § 14 Abs 2 sieht vor, dass die Betreiber die Deckungsvorsorge anstatt durch eine Haftpflichtversicherung durch eine „sonstige finanzielle Sicherheit" erbringen können. Laut Begründung wird den Betreibern dadurch die Möglichkeit eingeräumt, die erhöhte Deckungssumme durch „Bürgschaften Privater" und durch „gegenseitige Garantiezusagen der Kernkraftwerksbetreiber" nachweisen zu können. Ein Schreiben der Atomkraftwerksbetreiber an das Bundesumwelt-ministeriums zeigt, dass die erhöhte Deckungssumme vollständig durch Garantie-zusagen der Betreiber nachgewiesen werden soll. Auf eine Haftpflichtversicherung mit entsprechenden Prämienzahlungen soll vollständig verzichtet werden. Sowohl die Versicherungswirtschaft als auch die zuständigen Fachleute im Bundesumweltministerium vertreten die Ansicht, dass dies „versicherungstechnisch keine saubere Lösung" darstellt. Das Vermögen, mit dem die Betreiber bürgen, wäre nach einem Super-GAU möglicherweise teilweise entwertet. Eine Schadensregulierung durch die Atomkraftwerksbetreiber ist nicht realistisch. Diese Lösung ist nicht sachgerecht. Nur durch die gesetzliche Vorschrift, die Deckungssumme über eine Haftpflichtversicherung nachzuweisen, kann der Drittschutz adäquat gewährleistet werden.

Hinsichtlich der in § 13 vorgeschriebenen Anpassung der Deckungssumme im 5-Jahres-Turnus ist ein nicht akzeptables Vollzugsdefizit festzustellen.

5. Entsorgungsvorsorgenachweis: Zwischenlager statt Nachweis einer sicheren Entsorgung (§ 9a AtG)

In dem neuen Abs 1b des § 9a heißt es, „der Nachweis für die Beseitigung bestrahlter Kernbrennstoffe" werde durch Zwischenlager erbracht.

Entgegen des ursprünglichen Zwecks des § 9a, der – auf der Basis praktischer Vernunft – als Voraussetzung für den Betrieb von Atomanlagen für den anfallenden Atommüll ein Endlager verlangt, genügen künftig Zwischenlager als Nachweis für die Beseitigung bestrahlter Kernbrennstoffe.

Die Atomkraftwerksbetreiber können auch künftig auf den Nachweis eines Endlagers verzichten und müssen noch nicht einmal wie bisher tatsächliche „Fortschritte bei der Endlagerung" darlegen. Das Bundesumweltministerium stellte auf dem 10. Deutschen Atomrechtssymposium fest: „Diese Fortschritte sind nicht erzielt worden. Eine Genehmigung kann deshalb versagt werden (...). Die Bestandskraft der erteilten Genehmigungen ist in Frage gestellt." Tatsächlich aber wurden die Genehmigungen von der Bundesregierung, entgegen des gesetzlichen Auftrags, nicht in Frage gestellt. Auch wenn das Bundesumweltministerium unter Bezugnahme zum Kalkar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts weiterhin feststellte, der Gesetzgeber könne „deshalb gehalten sein, die weitere Nutzung der Atomenergie zu untersagen, um keine weiteren Abfälle mehr entstehen zu lassen", wurde seitens der Bundesregierung nichts unternommen, um ihrer verfassungsmäßigen Pflicht nachzukommen.

Um diesen rechtlich zwingenden Folgen zu entgehen, versucht jetzt die Bundesregierung in Abstimmung mit den Atomkraftwerksbetreibern, den Entsorgungsvorsorgenachweis ausschließlich auf standortnahe Zwischenlager zu stützen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass ein atomares Endlager weder vorhanden noch in Sicht ist und nach Einschätzung des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung eine dauerhafte Abschirmung der radioaktiven Abfälle von der Biosphäre nach heutigem Kenntnisstand nicht realistisch erscheint, absolut unakzeptabel.

Der vorgesehene Abs 1b des § 9a steht wegen der Gefährdung nachfolgender Generationen in eklatantem Widerspruch zum Nachweltschutz nach Artikel 20a GG. Auch hier ist weiterhin der Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG tangiert, da andere Unternehmen eine gesicherte Entsorgung ihrer Abfälle nachweisen müssen. Ein Entsorgungsnachweis, der sich faktisch allein auf Zwischenlager stützt, ist nicht verfassungsgemäß.

Die Betriebsgenehmigungen der deutschen Atomkraftwerke sind wegen des nicht zu erbringenden Entsorgungsnachweises zu widerrufen.

6. Wiederaufarbeitung: Fortsetzung der Plutoniumwirtschaft (§ 9a AtG)

Nach § 9a wird die Abgabe von Kernbrennstoffen an Wiederaufarbeitungsanlagen vom 1. Juli 2005 an unzulässig.

Das bedeutet, dass die Wiederaufarbeitung deutscher Kernbrennstoffe weit über das Jahr 2005 hinaus fortgesetzt werden kann, da bis zum Jahr 2005 Atommüll nach Frankreich und Großbritannien transportiert werden darf. Bis dieser Atommüll wiederaufgearbeitet ist, werden voraussichtlich nochmals 15 Jahre vergehen. Angesichts der radioaktiven Belastung der Nordsee und der gesundheitlichen Folgen in der Umgebung der Wiederaufarbeitungsanlagen ist dieser späte Termin nicht verantwortbar.

Um die rechtliche Position der Atomkraftwerksbetreiber nicht zu beeinträchtigen, bleibt die Bundesregierung in § 9a bezüglich der Wiederaufarbeitung bei der Terminologie einer „schadlosen Verwertung". Diese Qualifizierung enstpricht allerdings nicht dem Kenntnisstand der Bundesregierung. So führte das Bundesumweltministerium am 12. August 1999 aus : „Heute ist davon auszugehen, dass die Schadlosigkeit der Verwertung durch Wiederaufarbeitung nicht zweifelsfrei ist und der Verwertungsnachweis für die durch Wiederaufarbeitung gewonnenen Kernbrennstoffe, insbesondere Plutonium, nur schwer geführt werden kann. (...) Die Wiederaufarbeitung als Entsorgungsstrategie verfehlt somit ihre gesetzlichen Zwecke."

Das Bundesumweltministerium führte auf dem 10. Deutschen Atomrechtssymposium aus, dass „Angaben zur schadlosen Verwertung" des bei der Wiederaufarbeitung angefallenen Urans und Plutoniums „bislang nicht vorgelegt worden" sind. Bei der Wiederaufarbeitung handelt es sich um keine schadlose Verwertung, ein Entsorgungsvorsorgenachweis auf dieser Basis ist daher nicht zu erbringen. Die Betriebsgenehmigungen der deutschen Atomkraftwerke sind daher – unter Berücksichtigung eines fehlenden Endlagers – zu widerrufen.

Die vorgesehene Neufassung von § 9a Abs 4 soll zum „Wiedereinsatz" des aus der Wiederaufarbeitung gewonnenen Plutoniums verpflichten. Damit schreibt die Bundesregierung einen Zwang zur MOX-Wirtschaft für Jahrzehnte festschreiben. Das ist wegen des erhöhten Gefährdungspotentials strikt abzulehnen.

Durch die Verpflichtung zum „Wiedereinsatz" des aus der Wiederaufarbeitung gewonnenen Plutoniums in Atomkraftwerken ist nicht auszuschließen, dass durch diese gesetzliche Klausel ein Weiterbetrieb von Atomkraftwerken über die gesetzten Fristen bzw. Elektrizitätsmengen hinaus erzwungen wird.

C) Forderungen der IPPNW

Die IPPNW hält die folgenden Schritte für zwingend geboten:

1. Beschränkung der Atomgesetznovelle auf a) den Zweck der Beendigung der Atomenergienutzung (§ 1 AtG) und eine b) gesetzliche Vorschrift für eine risikoadäquate, durch eine Haftpflichtversicherung zu erbringende Deckungssumme (§§ 13 und 14 AtG)

2. Aufhebung der steuerlichen Privilegien für die Atomwirtschaft a) Angemessene Besteuerung von Uranbrennstoff b) Besteuerung der Rückstellungen für die Entsorgung des Atommülls

3. Widerruf der Betriebsgenehmigungen der deutschen Atomkraftwerke nach § 17 AtG auf der Basis der folgenden Sachverhalte: a) Die Atomkraftwerke entsprechen nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik b) Ein Nachweis für eine sichere Lagerung des Atommülls kann nicht erbracht werden c) Der Nachweis für eine risikoadäquate Deckungssumme kann nicht erbracht werden