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Die Atomenergie-Förderpolitik der Regierung Schröder

Chronologie wichtiger Entscheidungen

Die Bundesregierung vermittelt in der Öffentlichkeit den Eindruck, sie betreibe eine ausstiegsorientierte Atomenergie-Politik. Fachleute aus atomkritischen Organisationen wie der IPPNW sehen das anders. Sie weisen auf die Kontinuität von Entscheidungen der Bundesregierung zur Förderung der Atomenergie und der Atomindustrie hin. Auch der "Atomkonsens" sei bei genauer Betrachtung nicht der Einstieg in den Ausstieg, sondern ein jahrzehntelanger Bestandsschutz für die deutschen Atomkraftwerke. Hier eine Chronologie der wichtigsten atompolitischen Entscheidungen nach Darstellung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW.

Juli 1999: Hermes-Bürgschaft für Nachrüstung eines slowenischen Atomkraftwerks

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit vergibt die rot-grüne Bundesregierung - erst wenige Monate im Amt - im Juli 1999 eine 36-Millionen-Mark-Hermesbürgschaft für die Nachrüstung des slowenischen Atomkraftwerks Krsko durch die Siemens AG.

März 2000: Drei Hermes-Bürgschaften

Erstmals nach 20 Jahren gewährt eine deutsche Bundesregierung, wieder eine Hermes-Bürgschaft für den Neubau eines Atomkraftwerkes. Mit Beschluss vom 10. März 2000 erhält Siemens diese Bürgschaft für die Beteiligung am Neubau von von zwei Atomkraftwerksblöcken (Lianyungang) in einer chinesischen Sonderwirtschaftszone beteiligen. Siemens errichtet diese Atomkraftwerksblöcke vom russischen Typ WWER-1000 gemeinsam mit der russischen Atomwirtschaft. Bundeskanzler Schröder hatte zuvor gemeinsam mit Siemens-Managern in China die Baustelle des Atomkraftwerkes besichtigt und sich davon begeistert gezeigt. Siemens erhält eine zweite Hermes-Bürgschaft für die Nachrüstung des argentinischen Atomkraftwerks Atucha-1. Eine dritte Hermes-Bürgschaft dient einer Zementieranlage für radioaktive Abfälle beim litauischen Atomkraftwerk Ignalina.

Juni 2000: Der "Atomkonsens" und die Änderung des Atomgesetzes

Nach mehr als einjähriger Diskussionen paraphiert die Bundesregierung am 14. Juni 2000 eine Vereinbarung mit den deutschen Atomkraftwerksbetreibern, wonach deutsche Atomkraftwerke noch mehr als 20 Jahre lang betrieben werden dürfen ("Atomkonsens"). Obwohl das Bundesumweltministerium in einem internen Papier zu dem Ergebnis kommt, dass alle deutschen Atomkraftwerke nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, sichert die Bundesregierung der Atomindustrie die Beibehaltung der völlig überholten Sicherheitsstandards zu. Da es kein Endlager für den Atommüll gibt, darf die Atomindustrie nach der Vereinbarung die hochradioaktiven Abfälle in neuen standortnahen Zwischenlagern deponieren. Auf der Basis der Vereinbarung schreibt die Bundesregierung unter förmlicher Beteiligung der Atomkraftwerksbetreiber einen Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgestzes. Der Deutsche Bundestag wird im Dezember 2002 genötigt, diesen Gesetzentwurf ohne weitere Änderungen zu beschließen. Das Gesetz tritt am 22. April 2002 in Kraft.

Okt. 2000: Genehmigung zum Export der Hanauer Plutoniumfabrik

Der von Deutschlands größtem Atomkraftwerksbetreiber E.ON "beurlaubte" Wirtschaftsminister Werner Müller erteilt die Genehmigung zum Verkauf der Hanauer Plutoniumfabrik von Siemens an Russland (später platzt das Geschäft). Nach den Vorstellungen von Siemens und dem russischen Atomministerium soll in der Anlage russisches Waffenplutonium zusammen mit Uran zu sogenannten MOX-Brennelementen verarbeitet und dann jahrzehntelang in Atomkraftwerken "verheizt" werden. Obwohl bei einer direkten Immobilisierung und Endlagerung des Waffenplutoniums das Proliferationsrisiko bei weitem geringer wäre und zudem ein jahrzehntelanger Weiterbetrieb gefährlicher Atomkraftwerke eindeutig gegen die MOX-Option spricht, setzt sich Siemens mit seinen seit Jahren gehegten Interessen durch. Ein Teil der MOX-Brennelemente soll auch in deutschen Atomkraftwerken zum Einsatz kommen. Im Gegenzug würde Russland deutschen Atommüll übernehmen und irgendwo in dem großen Reich endlagern. Der Export der Plutoniumfabrik nach Russland kommt trotz der Genehmigung nicht zustande.

Dez. 2000: Kredit für die Fertigstellung von zwei Atomkraftwerken in der Ukraine

Die Bundesregierung enthält sich am 7. Dezember 2000 bei einer Entscheidung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und ermöglicht damit eine Kreditentscheidung für den Fertigbau der beiden urkrainischen Atomkraftwerksblöcke Khmelnitzki-2 und Rowno-4 (K2R4) unter Beteiligung von Siemens und Framatome. Acht andere Staaten zeigen Rückgrat und stimmen gegen den 467-Millionen-DM-Kredit, darunter die Niederlande, Norwegen und Österreich. Hätte Deutschland mit "Nein" gestimmt und hätte sich dann der G7-Staat Italien - wie angekündigt - dem deutschen Votum angeschlossen, wäre der Kredit für den Bau von zwei Atomkraftwerken nicht durchgegangen! In Folge der Entscheidung der EBRD bewilligte die EU-Kommission einen Euratom-Kredit von über einer Milliarde DM. Da die EBRD-Kriterien für die Kreditvergabe von der Atomindustrie später nicht erfüllt werden, zahlt die Bank den Kredit letztlich nicht aus.

Juli 2001: Änderung der Strahlenschutzverordnung

Die Änderung der Strahlenschutzverordnung führt zu einer Verschlechterung des Strahlenschutzes für Schwangere, Jugendliche und die allgemeine Bevölkerung. Voraussetzung für eine preiswerte Unterbringung von Atommüll zu Lasten des Strahlenschutzes.

Nov. 2003: Förderung des Exports der Hanauer Plutoniumfabrik nach China

Am 2. Dezember 2003 wird bekannt, dass Siemens seine Hanauer Anlage zur Fertigung plutoniumhaltiger MOX-Brennelemente nach China exportieren möchte. Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützt Siemens bei seiner China-Reise um den 2. Dezember 2003 bei den Verhandlungen mit dem Reich der Mitte. Für die IPPNW ist es unverständlich, wie der Gerhard Schröder als Sozialdemokrat die Plutoniumwirtschaft in China fördern kann, obwohl seine Partei in den 80er Jahren maßgeblich daran beteiligt war, den Einstieg in diesen gefährlichen Zweig der Atomenergie in Deutschland zu verhindern.

Nov. 2003: Entscheidung zur Gewährung einer Hermes-Bürgschaft für den AKW-Neubau in Finnland

Am 16. Oktober 2003 fällt Finnland die Vorentscheidung für die Errichtung eines neuen Atomkraftwerks vom Typ "Europäischer Druckwasser-Reaktor (EPR)". Dieser Reaktortyp wird seit 1993 von Siemens gemeinsam mit französchen Partnern entwickelt. Am 5. Dezember 2003 wird eine Entscheidung der Bundesregierung bekannt, Siemens eine Hermes-Bürgschaft für den Neubau des Atomkraftwerks in Finnland gewähren zu wollen. Eine sicherheitstechnische Beurteilung des neuen Reaktors durch die IPPNW ergab das Urteil, dieser sei "supergroß statt supersicher".