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Kauder will Grenzen bis 2011 geschlossen halten

Grüne kritisieren "Abschottung"

Entgegen von Forderungen der Wirtschaft nach einer vorzeitigen Öffnung des Arbeitsmarkts für Osteuropäer will die Union die geltenden Beschränkungen verlängern. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte am 30. Juli, eine schnelle Öffnung des deutschen Jobmarks "wäre das falsche Signal". Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) plädiert für eine restriktive Zuwanderungspolitik. Deutschland hatte die grundsätzlich innerhalb der EU geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit nach dem Beitritt Polens und anderer Staaten bis 2009 eingeschränkt. Die Übergangsregelung könnte noch einmal bis 2011 verlängert werden.

Kauder lehnte die im SPD-geführten Arbeitsministerium erwogene vorzeitige Öffnung strikt ab. Man könne nicht auf der einen Seite Dumpinglöhne beklagen und gleichzeitig im großen Stil Arbeitskräfte aus Rumänien oder Bulgarien nach Deutschland holen, die hier für Billiglöhne arbeiten wollten. "Deshalb bin ich aus heutiger Sicht dafür, die vollständige Öffnung unseres Arbeitsmarktes auf 2011 zu verschieben", sagte Kauder.

Wegen des aktuellen Fachkräftemangels hatten gerade auch Wirtschaftsverbände eine Öffnung der Grenzen gefordert. BA-Chef Frank-Jürgen Weise sieht dies skeptisch: Im Hinblick auf die Arbeitslosen könne er nur darauf dringen, dass eine Zuwanderung "absolut restriktiv" gehandhabt werde. Wo es wirklichen Mangel gebe, müsse Zuwanderung sehr kontrolliert ablaufen.

Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben "noch nicht" über eine weitere Verlängerung der Zugangsbeschränkungen für Arbeitnehmer aus Osteuropa entschieden. Die Debatte sei noch nicht abgeschlossen, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg. Konsens bestehe im Kabinett darüber, inländische Arbeitnehmer zu qualifizieren.

Die SPD-Führung knüpft eine schnelle Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes an drei Voraussetzungen. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil nannte hierbei gesetzliche Mindestlöhne zur Verhinderung von Lohndumping, Integrationsbemühungen für Zuwanderer und verstärkte Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft.

DGB-Chef Michael Sommer wertete Kauders Äußerungen als "überzeugende Argumente" für den von der Union abgelehnten gesetzlichen Mindestlohn.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte, mit einer solchen Öffnung drohe "ein Lohndumping ungeahnten Ausmaßes". Die Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit gälten mit Bedacht bis mindestens 2009 und dürften erst dann gelockert werden, "wenn der Arbeitsmarkt in Deutschland vollständig vor Lohndumping geschützt ist". Buntenbach forderte die Bundesregierung deshalb auf, das Arbeitnehmerentsendegesetz so schnell wie möglich auf alle Branchen auszuweiten. "Dann gelten endlich auch für ausländische Arbeitskräfte die gleichen Bedingungen".

Die ehemelige grüne Bundestagsabgeordnete Buntenbach forderte, die Beschränkung für osteuropäische Fachkräfte zu verlängern, falls es bis 2009 immer noch keine umfassende Lösung für Mindestlöhne gebe. Sie kritisierte erneut die Pläne der Bundesregierung auf dem Niedriglohnsektor als "völlig unzureichend". Das Ziel der Gewerkschaften bleibe, Mindestlöhne von nicht unter 7,50 Euro zu erreichen. Selbst ein möglicher oder teilweiser Fachkräftemangel dürfe nicht dazu verleiten, den Arbeitsmarkt vorschnell zu öffnen, so Buntenbach. Dieser Mangel an Fachkräften könne generell nicht über Lohndrückerei begegnet werden, sondern erfordere "in erster Linie mehr Investitionen der Arbeitgeber in Aus- und Weiterbildung."

Die derzeitige Arbeitsmarktexpertin der Grünen, Brigitte Pothmer, wandte sich allerdings gegen eine verlängerte "Aussperrung" von Arbeitskräften aus Osteuropa. "Mit dem Ruf nach mehr Abschottung ist der Innovations- und Technologiestandort Deutschland nicht zu retten", so Pothmer.

Nach Ansicht des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) würde eine Lockerung der Beschränkungen den angeblich zu befürchtenden Fachkräftemangel kaum lindern. "Das wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil andere europäische Länder auch dringend Ingenieure suchen. Wir sind da nicht so attraktiv, wie wir glauben, viele gehen lieber nach England oder Frankreich", sagte VDI-Direktor Willi Fuchs. Daher sollten Potenziale im Inland ausgeschöpft werden. So müssten ältere Ingenieure qualifiziert, mehr Interessenten und dabei insbesondere mehr Frauen für den Beruf gewonnen werden.

Der Wirtschaft warf der VDI Einseitigkeit vor: "Das Problem entsteht auch in den Unternehmen. Sie unterliegen häufig einem Jugendwahn und beharren auf jungen Kräften, fünfsprachig, erfahren und auslandserprobt. In dem Beruf zählen 45-Jährige oft schon zum alten Eisen."

Der Mittelstandsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Reinhard Schultz, beschrieb die derzeitige Situation als ein Versagen von Wirtschaft und Politik: Der Fachkräftemangel sei "zum einen die Folge mangelhafter Anstrengungen auf dem Gebiet der beruflichen Aus- und Weiterbildung vor allem in Teilen der Industrie und den neuen Dienstleistungsbranchen. Er ist zum anderen Folge nachlassender Bemühungen der Bundesländer, die Zahl der Hochschulabsolventen zu erhöhen. Er ist auch Ergebnis mangelhafter Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die immer noch viele gut ausgebildete Frauen von der Berufstätigkeit ausschliesst. Und er ist Resultat einer Unternehmenspolitik in der die Frühverrentung von Fachleuten entgegen aller demografischen Vernunft immer noch auf der Tagesordnung steht."

Die Antwort auf den Fachkräftemangel sei nicht die Öffnung der Grenzen, auch nicht die Herstellung einer vorfristigen Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt für EU-Bürger aus Osteuropa, meint Schultz. "Damit würde ein Ventil geöffnet und alle anderen notwendigen Anstrengungen würden unterlaufen. Längst sind nicht alle Absichten umgesetzt, Lohn- und Sozialdumping und damit auch Dumping-Wettbewerb zwischen Unternehmen zu Lasten der Arbeitnehmer zu verhindern." Die Debatte um den Mindestlohn zeige das deutlich. Auch die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie sei nicht abgeschlossen.

Es gehe Befürwortern der vorzeitigen Öffnung der Grenzen auch nicht um eine verantwortliche Lösung des Fachkräfteproblems, meint Schultz. "Es geht ihnen darum, an billige Arbeitskräfte zu kommen." Im Interesse des deutschen Mittelstandes liege es gerade nicht, dass die in Deutschland vorhandenen Fachkräfte weiter vernachlässigt würden und gleichzeitig einer "erheblichen Wettbewerbsverzerrung" Tür und Tor geöffnet werde.