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Europas Kampf für Freiheit und Menschenrechte

„Brot und Würde“

„Brot und Würde“ so lautete einer der Slogans, den die Menschen im Maghreb und Marrakesch skandierten. Aller Angst entledigt, kehrten sie sich so gegen die europäisch gestützten Regime in ihren Ländern. Sympathisch, lebensfroh. In dieser Parole sind die menschenrechtlichen Minima verdichtet, für die sie auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren. Notwendige Existenzmittel und Selbstbestimmung, Achtung ihrer Menschenwürde und politische Freiheiten: die Befriedigung ihrer sozialen, politischen und kulturellen Bedürfnisse. Dann erst könnten sie sich als Menschen selbst bestimmen. Ein Befreiungsruf gegen die vom zivilisierten Europa protegierten, repressiven Regimes modernen Kapitalismus’ in dieser Region. Diese hetzten ihre europäisch ausgerüsteten und trainierten Aufstandstruppen gegen die Demonstranten. Unzählige von ihnen wurden bislang getötet. Unzählige verschwanden in den staatlichen Kerkern.

Kommentar zur Ankunft tunesischer Flüchtlinge auf der italienischen Insel „Lampedusa“

FRONTEX, RABITs, Lager und Deportationen

Menschen, die aus bitterer Armut und existenzieller Perspektivlosigkeit unter Einsatz ihres Lebens dieser Tage nach Europa aufbrechen, fallen nicht unter die Definition der Genfer Flüchtlingskonvention. Dieses „Staatenrecht“ endlich den verheerenden Bedingungen weltweit anzupassen, liegt den militär- und kapitalmächtigen Staaten in Europa fern. Sie profitieren davon. Die Expansion kapitalistischer menschen- und umweltverschlingender „Rationalität“ hat Menschen vielerorts zum nützlich nutzlosen humanen Streusand gemacht. Diesbezüglich können die europäischen Staaten die tunesischen und ägyptischen „boat people“ auf der Suche nach einem menschenrechtsangemessenen Ort nach menschenrechtsherrschender Norm als Wirtschaftsflüchtlinge stigmatisieren. Nach einem „strikt rechtsstaatlichen“ Asylverfahren werden sie umgehend deportiert. Zudem änderten sich die sozialen und politischen Verhältnisse in den Herkunftsländern nun zum Besseren – heißt es regierungsamtlich. Dass die Flüchtlinge schon vor der „revolutionären Wende“ mit dieser zynischen Begründung, lediglich Wirtschaftsflüchtlinge zu sein, in ihre Herkunftsländer abgeschoben wurden, wen interessiert’s heute noch? Die Menschen sind entweder längst fort oder tot. Und noch sind die nachhaltigen Konsequenzen des „politischen Wandels“ nirgendwo gesichert.

Die selbstgefällige Täuschung Europas lautet: Armut sei nun mal nicht politisch. Sie sei marktgott- oder naturgegeben. Dass die europäisch genährten Regimes, die geostrategische Stabilität versprechen, große Teile der Bevölkerungen in aussichtsloser Armut erdrücken, wird verdrängt oder rationalisiert. Touristisch genossene Vermarktung von Sonne, Strand und Meer erblindet im Eigeninteresse. Die deutsche, nach Jahren nazistischer Barbarei anscheinend endlich menschenrechtlich besonnte Gesellschaft käme ins Frieren. Wer das gegenwärtige Geschehen nicht ausblendet, wird erkennen, wie durch die politisch und wirtschaftlich aufrechterhaltene sowie militärisch abgesicherte Weltungleichheit das sozialökonomische Gefälle zwischen Nord und Süd auf absehbare Zeit festgeschrieben wird.

Gegen diejenigen aber, die der sozialen und ökonomischen Aussichtslosigkeit zu entkommen versuchen, ist die paramilitärische Organisation FRONTEX gegründet worden (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen). Deren RABITs (Rapid Border Intervention Teams) fällt die Aufgabe zu, die Boten perspektivloser Weltarmut an ihrer Ankunft in Europa zu hindern. Das sind leidende, herrschaftlich entkleidete Menschen. Sie riskieren Gefahren und Tod. Um den Rest ihrer Würde zu bewahren.

Die Zeit ist abgelaufen, menschenrechtlich, aber ohnmächtig, in die tauben Ohren der Herrschenden zu brüllen. Es ist an der Zeit, gerade im ansonsten im ökonomisch-bürokratischen Räderwerk verlorenen Europa, sich Brot und Würde, die menschenrechtlichen Minima, zurückzuerobern. Außerparlamentarisch. Gewaltfrei. Demokratisch konsequent. Menschenrechtlich unerbittlich.

Wolf-Dieter Narr | Dirk Vogelskamp